23-09-2022
Katalanischer Zoff
Die Politik der republikanischen Linken ECR steht in der Kritik. Basis-Bewegungen werfen der ERC einen „Schmusekurs" gegenüber der spanischen Regierung vor.

Von Wolfgang Mayr
Am katalanischen Nationalfeiertag, am 12. September, drängten sich zehntausende Demonstrierende durch die Gassen und Straßen in Barcelona. Die Organisationen sprachen von 700.000, die Polizei von 150.000 Teilnehmenden. Die übliche Erbsenzählerei.
Die Slogans der Groß-Kundgebung richteten sich meist gegen die eigene Regionalregierung der ECR. „Sie haben uns für nichts geschlagen – Wir sind keine Republik“. Die Kritik aus den Reihen des „Katalanischen Nationalkongresses“ ANC an die katalanistischen Parteien. Für die ANC-Vorsitzende Dolors Feliu ist klar, „die Bevölkerung wird die Unabhängigkeit umsetzen“. Im Aufruf werden die Parteien deftig kritisiert, den Dialog der ERC mit der spanischen Regierung nennt der ANC kurz und bündig eine „Kapitulation“.
Die in Barcelona regierende ERC, die im Parlament in Madrid die Regierung unterstützt, wandte sich vor der Großkundgebung an die ANC-Mitglieder. In dem Schreiben warf die ERC dem ANC, die katalanische Einigkeit zu gefährden, die Demonstration richtet sich laut ERC gegen die Politik der Unabhängigkeitsparteien.
Die ERC setzt nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017, nach der kurzfristigen Aussetzung der Autonomie durch den spanischen Staat und nach Streitigkeiten im Unabhängigkeitslager weniger auf Kampf und Mobilisierung, sondern auf Dialog und Verhandlungen mit dem Staat. Bilanz bisher, frucht- und ergebnislos.
Die antikapitalistische, stramm kommunistische CUP und Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien/JxCat) des Exilpräsidenten Carles Puigdemont räumten der ERC zwei Jahre Zeit ein, mit der spanischen Regierung einen Dialog anzubahnen. Weder CUP noch Junts halten von diesem Dialog nichts. „Wir haben ein Regierungsabkommen, um uns der Unabhängigkeit anzunähern“, sagte Junts-Vorsitzender Turull. „Wenn wir uns davon entfernen, müssen wir Entscheidungen treffen“, warnte er vor einem Zerbrechen der katalanischen Koalition.
Die ERC hat ein veritables Problem, die sozialdemokratische Regierung zeigte in den vergangenen eineinhalb Jahren kein besonderes Interesse an einem Dialog. Sie will nicht über eine Amnestie und auch nicht über das Selbstbestimmungsrecht reden. Das Versprechen der ERC-Sprecherin Marta Vilalta wurde schon längst gebrochen. Wenn es am Verhandlungstisch nicht vorangeht, die Regierung den politischen Weg nicht beschreitet, gibt es keine Unterstützung mehr von der ERC, kündigte Vilalta an. Dann wäre die ERC-Unterstützung beendet.
Die ERC ist im Parlament ein Mehrheitsbeschaffer für Ministerpräsidenten Sanchez. Doch dieser zeigte sich bisher wenig pro-katalanisch. Die Repression gegen Unabhängigkeits-AktivistInnen wurde nicht gestoppt, noch immer wird Exilpräsident Puigdemont juristisch verfolgt. Von Anklagen betroffen sind noch immer Tausende Menschen.
Das spanische Innenministerium ließ über eingeschleuste Polizisten katalanische Jugendorganisationen bespitzeln. Mittels der Spionagesoftware Pegasus bespitzelte das Innenministerium AktivistInnen, JournalistInnen und PolitikerInnen. Auch den ERC-Regierungschef Aragonès.
Warum die ERC weiterhin an der parlamentarischen Unterstützung für die Regierung Sanchez festhält, ist nicht nachvollziehbar. Auch deshalb nicht, weil Sánchez eine erneute Zwangsverwaltung für das autonome Katalonien angedacht hat. Seine Partei stimmte nach dem Unabhängigkeitsreferendum gemeinsam mit der nationalkonservativen Volkspartei PP und den nationaliberalen Ciutadanos für die Aufhebung der Regional-Autonomie.
Für den ANC der Beleg dafür, dass mit dem spanischen Staat kein Dkialog möglich ist.
SHARE