20-07-2022
„Kärnten, Katar und Nordschleswig: Fußball mehr als nur Sport“
VOICES-Kolumne im "Der Nordschleswiger". Eine Europeada bringt in der öffentlichen Wahrnehmung mehr als viele politische Pressemitteilungen und teure Info-Kampagnen. Sie trägt von ganz allein zur Identitätsbildung bei. Ganz anders sieht das beim Profi-Fußball aus, weshalb es dringend neuer Vergaberichtlinien für die Austragung internationaler Sportereignisse bedarf.
Die Europeada 2016 bei den Sorben in der Lausitz
Erschienen als Kolumne VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT im „Der Nordschleswiger“
Von Jan Diedrichsen
Wer schon einmal einem HSV-Fan nach dem zweiten Relegationsspiel in die Augen schaute, der weiß, dass Fußball so viel mehr ist als nur ein sportliches Ereignis.
Spaß beiseite: Fußball gehört zu den beliebtesten Sportarten weltweit. Das Fußballspiel an sich mag unpolitisch sein, doch bei Turnieren und sportlichen Großereignissen mischt sie immer mit, die Politik.
Beginnen wir mit einem positiven Beispiel: der kürzlich in Kärnten ausgetragenen vierten Europeada. Die Europeada – die erstmals 2008 bei den Rätoromanen in der Schweiz stattfand – ist die Fußballmeisterschaft der autochthonen Minderheiten, Nationalitäten und Sprachgruppen in Europa. Mit zwei Jahren Corona-Verzögerung fand das Turnier endlich wieder statt. Um einen Gary-Lineker Ausspruch zu paraphrasieren, Fußball ist ein einfaches Spiel: „22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Südtiroler.“ Die Fußballer aus dem Süden konnten in Kärnten den vierten Europeada-Titel holen (1:0 gegen die Gastgeber, die Kärntner Slowenen). Bei den Frauen mussten sich die Südtirolerinnen geschlagen geben! Es gewannen die Kärntner Sloweninnen nach Verlängerung 4:2.
Roma aus Ungarn, die Kimbern aus Italien, die Dänen aus Südschleswig, die Lausitzer Sorben, die deutsche Minderheit aus Oberschlesien, Mannschaften vom Balkan oder ungarische Minderheiten, Rätoromanen und viele andere zeigten in atemberaubender Kulisse eine Vielfalt, die in Europa häufig nicht wahrgenommen wird. Die Berichterstattung in den Medien war zumindest in Deutschland imponierend. Gleich zwei Ministerpräsidenten und der Präsident von Energie Cottbus feuerten die Lausitzer Sorben mit Videobotschaften an. Eine Europeada bringt in der öffentlichen Wahrnehmung mehr als viele politische Pressemitteilungen und teure Info-Kampagnen. Motivierte Spielerinnen und Fans rücken zusammen, verleben hoch emotionale Tage bei Sport und Feier. Es geschieht, das lässt sich immer wieder beobachten, auf natürliche Weise, wonach immer gerufen wird: Identitätsbildung.
Bei den „Profis“ sieht es da ganz anders aus: Die nächste Weltmeisterschaft findet in Katar statt. Katar gehört zu den wichtigsten Unterstützern des radikalen politischen Islam weltweit. Es ist kein Geheimnis, dass viele der weltweit agierenden Terrororganisationen von finanzieller, logistischer und nicht zuletzt ideologischer Unterstützung aus Katar abhängig sind. Ganz zu schweigen von den sklavenartigen Verhältnissen der Arbeiter, die in den vergangenen Jahren die strahlenden Spielstätten in dem Land errichtet haben. Die Lage der Minderheiten in Katar ist katastrophal: Hier aktuelle Berichte von Amnesty International und der Gesellschaft für bedrohte Völker, GfbV.
Die WM von politischer Seite zu verbieten bzw. zum Boykott aufzurufen, ergibt keinen Sinn. Die Fans werden sich sicher nicht davon abhalten lassen, die WM am Fernseher zu verfolgen. Was man aber tunlichst lassen sollte, ist nach Katar zu reisen und dort den Machthabern eine Fußballshow zu ermöglichen. Was dringend geboten ist, sind neue Richtlinien für künftige Vergaben von Veranstaltungen. Es kann nicht angehen, dass in Diktaturen, in denen Minderheiten verfolgt und Menschenrechte ignoriert werden, Fußballgroßereignisse stattfinden.
Die Minderheiten Europas haben solche Probleme nicht: 2024 findet die Europameisterschaft der UEFA in Deutschland statt. Es gibt sowohl von den Minderheiten als auch von der Bundesregierung Bestrebungen, die Europeada aus diesem Anlass nach Deutschland oder gar ins deutsch-dänische Grenzland zu lenken. Der organisatorische Aufwand ist nicht zu unterschätzen und 2024 schon beinah „um die Ecke“. Abzuwägen gilt dies mit der einzigartigen Möglichkeit, sich einer breiten Öffentlichkeit europaweit, nicht zuletzt unter den Minderheiten von der besten Seite zu zeigen. Die deutschen Nordschleswiger müssen sich dann und wann europäisch in Erinnerung rufen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Und wie ginge das besser als mit einem gut organisierten Fußballturnier, zu dem Minderheiten aus ganz Europa anreisen.
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