25-12-2021
Kämpfer für die Rechte der Adivasi: Stan Swamy, „ein Sucher des Friedens und ein großartiger Mensch“ verstarb inhaftiert in einem Krankenhaus in Mumbai
By Khetfield59 - Own work, CC BY-SA 4.0
Stan Swamy, Kämpfer für die Rechte der Adivasi, festgenommen unter fadenscheinigen Gründen, starb am 5. Juli 2021 – noch inhaftiert – in einem Krankenhaus in Mumbai. Der folgende Nachruf stammt von Gladson Dungdung, Menschenrechtsverteidiger aus der Adivasi-Gemeinschaft der Kharia.
VOICES bringt neben dem heute erscheinenden Nachruf morgen noch einen Blick auf das literarische Vermächtnis von Stan Swamy und eine Übersetzung des Kapitels „Adivasis – from forest-protectors to ‘forest-destroyers’! The making and unmaking of the Forest Rights Act” aus seinem letzten Buch „I am not a Silent Spectator. Why Truth has become so bitter, Dissent so intolerable, Justice so out of Reach. An Autobiographical Fragment, Memory and Reflection. Indian Social Institute Bangalore, 2021”.
Von Gladson Dungdung
Ich kannte Pater Stan Swamy länger als eine Dekade. Ich hatte die Gelegenheit, mit ihm zu arbeiten. Wir haben einige Jahre kooperiert gegen die vom Staat geförderten extremen Menschenrechtsverletzungen an Adivasis. Des Öfteren reisten wir zusammen in den dichten Wäldern in dem zu Jharkhand gehörenden Teil des sogenannten „Roten Korridors“ [Gebiete im östlichen Zentralindien, wo Untergrundkämpfer der Naxaliten aktiv sind]. Dort untersuchten wir die brutale Ermordung unschuldiger Adivasi durch die Sicherheitskräfte.
Pater Stan war ein furchtloser, unermüdlicher, neutraler, sensibler und tapferer Menschen- rechtsverteidiger. Er war eine großartige Kämpfernatur. Stets bestand er auf der Befolgung der indischen Verfassung, auf dem Schutz der Gesetze und politischen Vorgaben zugunsten der Marginalisierten.
Er kämpfte gegen die brutalen Tötungen, die Vergewaltigungen, Folter, gegen Verbrechen gegenüber Inhaftierten und gegen die Kriminalisierung tausender unschuldiger Adivasi. Unglücklicherweise wurde er selbst kriminalisiert dafür, dass er für die Sache der Marginalisierten kämpfte.
Als ich Pater Stan das erste Mal im Jahr 2006 traf, war er die einzige Person in Jharkhand, die allgemein als Menschenrechtsverteidiger anerkannt war. Zu dieser Zeit hatte er bereits eine umfassende Erfahrung im Umgang mit extremen Menschenrechtsverletzungen.
Im Bundesstaat Jharkhand war er auch als Aktivist gegen den Bergbau bekannt: Er kämpfte gegen den Diebstahl von Eisenerz in den Waldgebieten von Saranda. Er war froh über mein Interesse auf dem Gebiet der Menschenrechte. Tatsächlich war es ihm ein großes Anliegen, daß sich junge Adivasi für ihre Gemeinschaft einsetzen.
Abgesehen von der Menschenrechtsarbeit war Stan Swamy ein großartiger Vortragsredner und Schriftsteller. Er hat tausende Adivasi – Männer, Frauen und Jugendliche – geschult. Diese wurden später zu Aktivist*innen und kämpfen jetzt für die Anliegen ihrer Gemeinschaften. Des Weiteren schrieb er unermüdlich zu Adivasi-Themen. Er war eine Person, welche die Adivasi-Lebensphilosophie (die eine Zukunft für jeden beinhaltet) von Grund auf verstand.
Ich arbeitete mit Stan Swamy zusammen, als der indische Staat sich gegenüber den Adivasi in einer Offensive befand. Im Oktober 2009 organisierte der indische Staat einen umfassenden Einsatz namens Operation Green Hunt gegen Naxaliten in den neun Bundesstaaten, in welchen Naxaliten aktiv sind. Die Region mit Aktivitäten von Naxaliten wurde „Roter Korridor“ genannt und das Ziel der staatlichen Aktivitäten war die „Reinigung“ von Naxaliten.
Tatsächlich wurden unschuldige Adivasi schikaniert. Eine Flut von Fällen außergerichtlicher Tötungen, Vergewaltigungen, Folterung von Inhaftierten, Mißhandlungen und Kriminalisierung kam über die Bundesstaaten Jharkhand, Chhattisgarh und Odisha.
Unter der Leitung von Pater Stan begannen wir zu ermitteln, auf juristischer Ebene zu intervenieren und über die aktuelle Situation zu schreiben. Wir begannen auch mit Protest-Aktivitäten in Jharkhand. Als [in den Naxaliten-Gebieten] Schulgebäude in Feldlager für das Militär umgewandelt wurden, wandten wir uns mit Nachdruck dagegen. Als Resultat wurden viele Schulen wieder geräumt [so das Unterricht wieder möglich wurde].
Ich möchte einen interessanten Vorfall, in welchem Stan Swamy eine Rolle spielt, erzählen. Im Juni 2010 organisierten wir eine große Kundgebung in Ranchi. Diese wurde vom Polizeipräsidenten verboten. Er behauptete, es handele sich um eine Kundgebung der Naxaliten. Jharkhand stand damals unter „President’s Rule“ [die Landesregierung wurde vom indischen Präsidenten aufgelöst; der Präsident übernahm die Regierung, übertrug aber – wie generell üblich – die ausführende Gewalt an den Gouverneur]. Ich und Stan beschlossen, den Berater des Gouverneurs, RR Prasad, zu treffen, der für das Innenministerium zuständig war. Als wir sein Büro betraten, sagte er sarkastisch: „Sie (Stan) sind ein hochrangiger Naxalit und er (Gladson) ist ein Nachwuchs-Naxalit. Was kann ich für Sie tun?“
Wir baten ihn, uns zu erlauben, eine Kundgebung abzuhalten. Er stimmte zu und bat den obersten Polizeibeamten von Jharkhand, uns eine solche zu erlauben. Da wurde uns klar, wie der Staat uns sah. Wir waren bereits zu seinen Feinden geworden.
Stan Swamy kämpfte für die Sache der Adivasi, die ihm sehr am Herzen lagen. Er war ein sehr aufgeschlossener Mensch. Seine Grundüberzeugung war Gerechtigkeit und Versöhnung. Er engagierte sich für jeden, der sich für die Sache der Marginalisierten einsetzte. Dies war der Hauptgrund dafür, dass er ins Fadenkreuz des Staates geriet.
Dieser begann, ihn mit den Naxaliten in Verbindung zu bringen. Er setzte sich für Gerechtigkeit für alle ein. Und er war mutig. Als sich die Dinge zuspitzten und seine Verhaftung unvermeidlich wurde, schlugen viele vor, dass er sich verstecken solle. Aber sofort lehnte er dies ab und sagte, er werde die Konsequenzen tragen. Stets war er bereit, die Konsequenzen auf sich nehmen dafür, dass er dem Staat unbequeme Fragen stellte.
Als Stan Swamy von staatlicher Seite angegriffen wurde, beschuldigten ihn rechte Kräfte [Hindu-Fundamentalisten] unter anderem, Adivasi zu missionieren, was unbegründet war. Ich lache über diese absurde Behauptung, denn noch nie habe ich gesehen, wie er in einer Kirche oder anderswo eine Messe gehalten hat. Natürlich war dies auch für mich eine große Überraschung. Kann man von einem katholischen Pfarrer erwarten, dass er sich von priesterlichen Pflichten fernhält? Tatsächlich war er auf einer Mission der Gerechtigkeit und Versöhnung unterwegs anstatt die Adivasi zu bekehren. Er war ein wahrer Gerechtigkeits- und Friedensliebhaber. Ein großartiger Mensch.
SHARE