23-06-2025
Italien-Südtirol: Braucht die Autonomie einen “Sonderstaatssekretär”?
Minister Lollobrigida von den Fratelli d’Italia hat dafür einen ehemaligen Lokalpolitiker der SVP vorgeschlagen

Der von den Fratelli d‘Italia vorgeschlagene ehemalige Kommunalpolitiker der SVP, Roland Griessmair, soll als „Kümmerer“ die parlamentarische Behandlung der Autonomiereform behandeln und zudem Ansprechpartner für die sprachlichen und nationalen Minderheiten sein. Foto: autonomie.provinz.bz.it
Von Wolfgang Mayr
Seitdem herrscht Kater- und Krisenstimmung in der Südtiroler Volkspartei, seit 1948 Südtiroler Regierungspartei. Lollobrigida legte mit seinem Vorschlag der Autonomie-Partei SVP ein großes Ei. In ihrer langen Geschichte sucht die SVP mit allen Regierungen in Rom das Gespräch und den Dialog, ließ sich aber nie in eine Regierungsmehrheit einbinden.
Die SVP-Spitze beugte dann auch rasch vor. Ein Unterstaatssekretär ist nicht ihre Forderung, sie wird auch keine Vorschläge präsentieren. Der SVPler, der berufen wird, muss alle seine Parteifunktionen zurücklegen. Der Versuch einer Distanzierun.
Es ist nicht immer nachvollziehbar, was dahinter steckt, hinter der Idee von Minister Francesco Lollobrigida, den ehemaligen Bürgermeister Griessmair in die italienische Regierung zu holen. Lollobrigida ist ein gewiefter Stratege. Er ließ im Landtagswahlkampf 2023 die SVP wissen, dass die Fratelli d´ Italia mit der Volkspartei zusammenarbeiten möchten. In der neuen Landesregierung. Aus seinem Wunsch wurde Realität.
Ausgerechnet Lollobrigida. Simon Constantini vom Blog Brennerbasisdemokratie schaute sich 2022 die parlamentarische Tätigkeit Lollobrigidas in Sachen Südtirol detailliert an. Sein Fazit damals, er und seine Kameraden sind von Südtirol besessen. In seinen Anfragen attackierte Lollobrigida Südtirol, warnte vor Sezessionisten und Selbstbestimmungs-Befürwortern. Dieser Lollobrigida will nun einen Unterstaatsekretär für Minderheitenfragen installieren. Das war auch Thema eines Treffens mit Regionenminister Calderoli, ohne dass dabei der Name Griessmairs fiel.
Griessmair lehnte sich bereits kräftig aus dem Fenster, beschrieb seine Rolle als technisch, er will Kümmerer dafür sein, dass das kleine Autonomie-Paket durch das parlamentarische Gestrüpp kommt. Als Unterstaatssekretär will er auch Ansprechpartner für die Minderheiten sein. Minister Calderoli denkt dabei an einen Sonderstaatssekretär ohne politische Verpflichtungen gegenüber der Regierung.
Ein Kümmerer für Minderheiten?
Ein Kümmerer tut not, keine Frage, ein Kümmerer für die Belange der sprachlichen und nationalen Minderheiten Italiens. Die Lage der Minderheiten ist düster, obwohl die republikanische Verfassung aus dem Jahr 1948 mit dem Artikel 6 den Schutz der Minderheiten festschreibt. Dieser Verfassungsauftrag kümmerte das antifaschistische demokratische Nachkriegs-Italien wenig bis kaum.
Erst 1999 wurde aus dem Artikel 6 der Verfassung das Rahmengesetz zum Schutz der Minderheiten. In seinem ersten Artikel unterstreicht dieses Gesetz, dass italienisch die Amtssprache der Republik ist. Eine schräge Botschaft an die Minderheiten. Der entsprechende Entwurf wurde 1991 eingebracht. Es dauerte dann weitere acht Jahre, bis es dafür eine parlamentarische Mehrheit gab.
In die damaligen parlamentarischen Verhandlungen platzte 1996 die Euromosaic-Studie der EU-Kommission über die sprachliche Vielfalt. Von den damaligen 48 Minderheitensprachen im EU-Raum hatten 23 nur noch eine “begrenzte” oder gar “keine” Überlebensfähigkeit. Zwölf weitere Minderheitensprachen wurden als „bedroht“ eingestuft.
In Italien galten als begrenzt bzw als nicht überlebensfähig Albanisch, Griechisch (Apulien und Kalabrien), Katalanisch (Sardinien), Kroatisch (Molise), Okzitanisch (Piemont) und Sardisch. Französisch (Aosta), Friulanisch und Slowenisch (Friaul) wurden als “bedroht“ eingestuft, Ladinisch als „relativ überlebensfähig“ und Deutsch in Südtirol als „vollkommen vital“.
Für Südtirol gilt der bilaterale österreich-italienische Pariser Vertrag von 1946, das internationale Fundament für das Zweite Autonomiestatut von 1972.
Dürftiger Minderheitenschutz
Das Minderheitengesetz hielt nicht, was es eh nicht versprach. Die Förderung der Minderheiten. Am Zustand der minoritären Sprachen änderte sich seit euromosaic wenig. Das änderte auch nicht die Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates. Noch bevor das italienische Parlament ein Gesetz zur Umsetzung des Verfassungsartikels 6 auf dem Weg brachte, trat 1998 diese Rahmenkonvention des Europarates in Kraft. Eine unverbindliche Konvention mit einer Menü-Liste, aus der die Staaten die ihnen genehmen Maßnahmen wählen konnten.
Die einzige Verpflichtung für die der Konvention beigetretenen Staaten sind die dem Europarat vorzulegenden Berichte. Staatenberichte. In seinem sechsten Bericht 2024 erklärt Italien, warum Sinti und Roma nicht als Minderheiten anerkannt sind. Zwei Minderheiten, deren soziale Lage in vielen Bereichen äußerst miserabel ist, menschenunwürdig.
Dann folgt im Bericht viel Schönfärberei zu den Themen Rai und Minderheitensendungen sowie Schulen in Minderheitensprachen. Es wird darauf verwiesen, daß die Regierung 2022 und 2023 für den Schutz der slowenischen, katalanischen und sardischen Minderheiten in den Regionen Friaul-Julisch Venetien und Sardinien zehn Millionen Euro zur Verfügung stellte. Das soll Förderung sein? Das sind doch Krümel. Die verschiedenen Gesetze klingen überzeugend, die politisch Realität hält der Prüfung aber nicht stand.
Immer wieder bekundeten italienische Regierungen, auch die Charta der Regional- und Minderheitensprachen des Europarates ratifizieren zu wollen. Dieses völkerrechtliche Dokument reicht weiter als die Rahmenkonvention, ist aber auch nicht einklagbar. Außerdem können sich die Staaten aus den Schutzmaßnahmen jene aussuchen, die wenig kosten und für den Staat wenig verpflichtend sind.
Griessmair, ein Autonomist?
Es gäbe viel zu tun, für einen Sonderstaatsekretär Griessmair. Was hat aber nun Griessmair mit Minderheiten und Minderheitenpolitik zu tun? Er ist SVP-Mitglied. Reicht das schon als Bestätigung für seine Kometenz? Eine schnelle google-Recherche belegt keineswegs ein Minderheitenengagement des ehemaligen Bürgermeisters.
Nur einmal gab er den harten Autonomisten. Im vergangenen November 2024 wurde ihm klar, dass er nicht ein weiteres Mal für das Bürgermeister-Amt kandidieren darf. Das Parlament schränkte die “Mandatszeit” für Bürgermeister in Gemeinden mit mehr als 15.000 Einwohnern ein (absurderweise gibt es für Parlamentarier:innen keine Beschränkungen).
Damals sagte Griessmair der “Neuen Südtiroler Tageszeitung”: “Wir sind eine autonome Provinz und wenn man als solche nur mehr staatliche Regelungen abschreiben kann, hat das mit Autonomie nicht viel zu tun.” Zweifelsohne ein guter Sager.
Griessmair, Calderolis Seketär
Als möglicher Sonderstaatssekretär, vorgeschlagen von Minister Lollobrigida, kündigte Griessmair an, das Autonomie-Paket nachbessern zu wollen. Ein schlechter Gag, denn dieser Entwurf für ein Verfassungsgesetz ist “blindato”, “unantastbar”, kann nicht mehr abgeändert bzw ergänzt werden. Auch deshalb konnten der Südtiroler Landtag, der Consiglio Provinciale von Trient und der Regionalrat nur nicht bindende Gutachten abgeben.
Griessmairs Job als Sonderstaatssekretär von Regionen-Minister Calderoli wird sein, den Verfassungsgesetzentwurf zur Autonomie durch das Parlament zu begleiten. Als die rechte Hand von Calderoli. Die Freude darüber hält sich aber bei der SVP in engen Grenzen. “Die Regierung in Rom entscheidet, nicht wir,” stellte Obmann Dieter Steger auf Rai-Südtirol klar. Und Griessmair muss seine Partei-Mitgliedschaft ruhen lassen. Ist das ein ausreichender Beleg dafür, dass die SVP dieser rechtsrechten Regierung nicht angehören will?
Siehe auch:
– Autonomie-Report der Eurac
– Autonomie-Reform – ein verfassungsrechtlicher Meilenstein?
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