Indigene Argumente zur Krise der Erde

Das Museé d'Ethnografie de Genève (MEG) präsentiert noch bis Ende August seine Ausstellung mit dem Titel "Environmental Injustice - Indigenous Alternatives" (Umwelt-Ungerechtigkeit - Indigene Alternativen). Die Klimakatastrophe trifft kleine, nicht-industrialisierte Völker besonders hart, da jene unmittelbar von einer intakten Umwelt abhängig sind. Sie sind es, denen unser Ohr gehören muss.

Von Claus Biegert

Am Genfer See ist die Welt zuhause. Hier entstand nach dem Ersten Weltkrieg der Völkerbund als Vorläufer der Vereinten Nationen. Es war in den zwanziger Jahren, die Haudenosaunee – der weißen Welt bekannt als Völkerbund der Sechs Nationen oder Irokesen-Liga – entsandten einen Botschafter, Deskaheh, der sollte auf der diplomatischen Bühne einen Platz im Völkerbund erwirken. Deskaheh traf auf Sympathie und Fürsorge, politisch ernst genommen wurde er nicht. Winston Churchill sorgte dafür, dass er keine Gelegenheit erhielt, das Anliegen der Haudenosaunee vor den Weltvertretern vorzutragen; Großbritannien duldete keine indianische Souveränität in Kanada, Quebec war Problem genug.

1977 gab es einen neuen Vorstoß: eine Woche lang gehörte das Palais des Nations in Genf den Ureinwohnern beider Amerikas, um über Landraub, Rassismus und kulturellen Völkermord Zeugnis abzulegen. Die Delegationmit angeführt von den Haudenosaunee, die diesmal in breiter Front erschienen und mit eigenen Pässen angereist waren. Die Schweizer Grenzbehörden stempelten die Papiere – ein Präzedenzfall war geschaffen. Die historische Woche öffnete die Tür in eine neue Ära, eine Arbeitsgruppe wurde geschaffen, aus ihr wuchs die „Declaration of Indigenous Peoples“, die heute die Richtlinien der Politik mit indigenen Völkern liefert. Nächster Schritt ist eine Konvention. Dieser lange Weg der indigenen Völker wird sichtbar in der Ausstellung des MEG. Wir sehen in der Vitrine einen Pass der Haudenosaunee (es ist der von Onondaga-Clanmother Audrey Shenandoah) und wir hören und sehen Mohawk-Journalist Kenneth Deere, der zum Pendler zwischen den Kontinenten wurde.

Sie mögen klein sein, zusammen sie sie viele: Weltweit verteidigen fast 500 Millionen indigene Völker ihre Rechte gegen den Umweltrassismus, der ihre Überleben bedroht. Die Ts’myen in Alaska, die Amazigh in Marokko, die Anishinaabeg in den Vereinigten Staaten und Kanada, die Sami in Fenno-Skandinavien, die Māori in Neuseeland, die Maasaï in Kenia und Tansania, die Ainu in Japan, die Inselbewohner auf den Marshall-Inseln, die Kalina in Guyana – sie erscheinen auf eigenwillige und diverse Weise in der sensibel arrangierten Ausstellungsspirale des MEG. Der Gang ist wie eine Begegnung mit dem Paradigmenwechsel – einst waren die Indigenen die Verfolgten, jetzt erhoffen wir uns von ihnen Rat in der Krise. Dank ihres überlieferten Wissens und Know-hows, das sich beim Schutz der biologischen Vielfalt, des Bodens, des Wassers und der Ökosysteme als bewährt erweist, kommt ihnen bei der Suche nach Lösungen eine entscheidende Rolle zu.

Anhand von Biografien und Videozeugnissen, künstlerischen Installationen und konkreten Fallstudien führt die Ausstellung von Brennpunkt zu Brennpunkt. Eine digitale Weltkarte offenbart uns, dass die unsere Rohstoffquellen und die Lebensräume indigener Kulturen nahezu identisch sind. Indigene Künstler und Aktivisten werfen einen nachdenklichen, traurigen Blick auf ihr Land und hinterfragen die Beziehung, die wir zu unseren Ökosystemen haben. Das sticht heraus, denn es ist nicht selbstverständlich, dass vor allem zeitgenössische indigene Künstler um ihre Meinung und ihre ästhetischen Statements gebeten werden. Sie heißen David R. Boxley, Gavin Hudson, Kandi McGilton, Ti’iwan Couchili, Máret Ánne Sara, Elizabeth LaPensée, Kathy Jetnil-Kijiner, Margret Orr.

„Diese Ausstellung zeigt, wie das Wissen und das Know-how indigener Völker zum Erhalt der natürlichen Umwelt eingesetzt werden kann. MEG gibt den Frauen und Männern eine Stimme, mit der sie uns eine andere Beziehung zu unserem Planeten zeigen, doch das setzt voraus, dass wir ihre Grundrechte respektieren“, erklärt Carine Ayélé Durand, die Chefkuratorin des Museums und Kuratorin der Ausstellung. „Environmental Injustice – Indigenous Peoples‘ Alternatives“ – unterstützt vom Hohen UN-Kommissars für Menschenrechte – ist eine Schau, die in die Zukunft weist. So könnten die Ethnografischen Museen Europas zu künftigen Botschaften indigener Nationen werden.

Post scriptum in eigener Sache: Enthalten sind diverse Exponate der Ausstellung „A River Drowned by Water“ von Rainer Wittenborn und Claus Biegert, die 1979/80 in Zusammenarbeit mit den Cree der James Bay im Norden Quebecs entstanden ist. Damals wurden für das größte Wasserkraftwerk der Welt der Großteil der Jagdgründe der Cree überflutet. Der gewonnene „regenerative“ Strom geht nach Süden in die USA. Für die MEG-Chefkuratorin Carine Durant war die beispielhafte Kooperation mit dem indigenen Jägervolk Anlass, einzelne Werke zu zeigen.

Im März dieses Jahres wurde ich eingeladen, vor den Mitarbeitern des Museums über die Methode unserer Arbeit, sowie über Action Anthropology und Action Journalism zu sprechen; im Anschluß unterhielt ich mich mit Carine A. Durant (zu diesem Zeitpunkt Interim-Direktorin) über die Zukunft der Völkerkunde-Museen.

Claus Biegert at MEG (only in English)

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