Hoffnung geben: Düzen Tekkal, die Stimme der Yeziden und bedrohten Minderheiten

Von Wolfgang Mayr

Mit ihrer Organisation Hawar.help will Düzen Tekkal die Erinnerung an den Völkermord an den Yeziden wachhalten und verfolgten, bedrohten Menschen helfen.

2015 gründete Düzen Tekkal mit ihren Geschwistern die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help.

Hawar ist kurdisch und bedeutet „Hilferuf“. Hawar.help will Hoffnung geben und Menschlichkeit leben, heißt es auf der Homepage des Vereins. Der Verein und ihre Gründerin erfahren in den Medien und der deutschen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit für das Schicksal der Yeziden und anderer Minderheiten sowie bedrohte Völker weltweit.

2021 wurde Düzen Tekkal mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

In der Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – damals noch unter dem Namen „bedrohte Völker – pogrom“- , berichtete Düzen Tekkal eindringlich über den Genozid an den Yeziden und welche wichtige Rolle die Gesellschaft für bedrohte Völker und das Engagement ihres Vaters für ihr weiteres persönliches  Engagement gespielt hat:

„In der Nacht zum 3. August 2014 gegen drei Uhr morgens fällt die barbarische Terrorgruppe islamischer Staat (IS) im irakischen Sinjar ein. Die Extremisten sind mit Schwertern bewaffnet. Sie sind skrupellos und entschlossen, die Ungläubigen auszulöschen – in diesem Fall die Yeziden. Kleine Kinder müssen mitansehen, wie ihre Eltern geköpft werden. Geschwister werden auseinandergerissen. Mädchen, Kinder und Frauen werden mitgenommen, verschleppt, um als Haus- und Sexsklaven missbraucht zu werden. Viele Mädchen sterben an inneren Blutungen als Folge der Vergewaltigungen. Manche müssen gar das Kind ihres Peinigers austragen. Viele werden sich in den kommenden Monaten noch das Leben nehmen, weil sie die Schmach nicht ertragen. Andere fliehen tagelang barfuß in der sengenden Hitze vor dem IS. Die Verzweiflung macht sie mutig. Das Land, das den Yeziden einst eine Heimat war, ist nun mit Blut getränkt.

Am 3. August 2014 begann für uns Yeziden eine neue Zeitrechnung. Meine Religion erfuhr an diesem Tag traurige Berühmtheit, aber für uns Yeziden ist das nichts Neues. Wir werden bereits seit acht Jahrhunderten von muslimischen Hardlinern unterdrückt. Und das ist nur EINES von unzähligen Massakern, die an uns begangen wurden. Auch ich bin Angehörige dieser Religionsgemeinschaft. Und hätte mein Vater Ende der 1960er Jahre im Zuge der klassischen Gastarbeiter-Anwerbung nicht den Mut gehabt, in ein neues Leben in meiner jetzigen Heimat Deutschland aufzubrechen, was wäre aus mir wohl geworden? Ursprünglich kommt mein Vater aus der Türkei, genauer gesagt aus Diyarbakir in Südostanatolien. Aber auch dort war für Yeziden kein Leben in Sicherheit möglich.

In den 1980er und 1990er Jahren kamen Zweifel in Deutschland auf, ob die Yeziden wirklich unterdrückt werden, und ob ihnen deshalb Asyl als religiös und politische Verfolgte gewährt werden müsste. Zumindest das ist heute unbestritten.

Aber damals war das anders. Dann lernte mein Vater einen Menschen kennen, der sein Leben verändern sollte: Prof. Gernot Wießner und damit auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Obwohl Prof. Wießner ein gläubiger Christ war, habe ich nie wieder jemanden erlebt, der so leidenschaftlich für die Rechte und die Anerkennung der Yeziden gestritten hat. Gemeinsam mit seiner engagierten Frau Irina Wießner, Tilman Zülch und der Öffentlichkeitsarbeit der GfbV wurde erstmals für uns Yeziden eine laute Stimme erhoben – mit Erfolg: 1993 hat uns das Oberlandesgericht in Stade offiziell als politisch Verfolgte anerkannt. Jetzt waren wir endlich in Sicherheit.

Ich war noch ein kleines Kind von fünf Jahren, als ich das alles miterlebt habe. Das hat mich so sehr geprägt, dass ich meine ganze berufliche Laufbahn danach ausgerichtet habe. Ich habe Politik und Germanistik studiert und über „Die gesellschaftspolitischen Bedingungen der Integration der Yeziden in Deutschland“ meine Magisterarbeit geschrieben. Heute arbeite ich als Journalistin und Kriegsberichterstatterin. Für meinen aktuellen Dokumentarfilm „HÁWAR – Meine Reise in den Genozid“ bin ich mit meinem Vater zurück zu meinen yezidischen Wurzeln in den Irak gereist, um über die Gräueltaten des IS an den Angehörigen meiner Glaubensgemeinschaft zu berichten und über unsere Religion aufzuklären, die leider nicht mehr losgelöst von diesem Terror zu verstehen ist.

Mein Engagement ist letztlich nur ein Ergebnis des mutigen Kampfes meines Vaters, Gernot und Irina Wießners und der Gesellschaft für bedrohte Völker, der bereits vor mehr als 45 Jahren begann. Im Abspann meines Filmes widme ich dieses Werk deshalb auch dem yezidischen Volk und bedanke mich im Einzelnen bei all diesen Menschen.

Am Ende bleibt nur zu sagen, dass der Islamische Staat sein Ziel, die Yeziden zu vernichten, leider fast erreicht hat. Zurzeit ist immer noch fast die Hälfte aller Yeziden auf der Flucht. 428.000 von weltweit einer Million, die wir gerade mal sind. Im Sinjar wurden mehr als 5.000 Yeziden bereits umgebracht und rund 7.000 Yeziden – 5.000 Frauen, 1.000 Kinder und 1.000 Männer – sind bis heute in den Fängen des Islamischen Staats.

In meinem Film stelle ich folgende Frage: Wer macht sich schuldig bei solch einem Massenmord? Die, die ihn begehen, oder die, die ihn nicht verhindern? Zumindest in Bezug auf diese wichtige Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker ist mir bewusst, dass diese Organisation ALLES tut, um ihn zu verhindern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite