Hazaras in Afghanistan: Ein Genozid im Werden? Gedenken an den Völkermord vor 128 Jahren

Von Jan Diedrichsen

Am 25. September 1893, vor 128 Jahren, brach der unabhängige Hazara-Staat „Hazaristan“ nach einem dreijährigen Krieg zusammen. Die Hazara gedenken heute dem Völkermord vor 128 Jahren, natürlich verbunden mit bangen Blicken in die Zukunft. Kündigt sich nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan eine Wiederholung der Gräueltaten an? Die Hazara haben durch die Geschichte immer wieder schlimmste Verbrechen ertragen müssen.

Die weltweite Hazara-Gemeinschaft ruft zu einem #HazaraBlackDay auf: „Zünden Sie eine Kerze an, um an den Jahrestag des Genozids an den Hazara durch Abdur Rahman Khan Jahren zu erinnern. Beteiligen Sie sich an unserer Online-Kampagne mit dem Hashtag #HazaraBlackDay von Freitag, 24. bis Samstag, 25. September 2021“, heißt es bei “Hazara International”.

Die Hazara sind eine ethnische und religiöse Minderheit, die schätzungsweise 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung Afghanistans ausmacht. Die Taliban, die überwiegend aus sunnitischen paschtunischen Kämpfern bestehen, und andere sunnitische Extremisten, insbesondere ISIS-K, betrachten die Hazara wegen ihres schiitischen Glaubens als Todfeinde.

Taliban-Vertreter haben zwar öffentlich erklärt, dass es ihr Ziel sei, eine „integrative islamische Regierung“ einzusetzen, die die Rechte der Zivilbevölkerung achte. Doch aufgrund der jüngsten Übergriffe der Taliban und ihres nur zu gut dokumentierten früheren Vorgehens, ist Skepsis angebracht.

 

Genozid-Gefahr für die Hazara

Nach Angaben von Human Rights Watch ermordeten die Taliban 1998 in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif bis zu 2.000 Menschen, als ihre Kämpfer systematisch Jagd auf Hazara-Männer machten.

Amnesty International hat nach eigenen Angaben Beweise dafür, dass afghanische Hazara erneut zur Zielscheibe werden: Laut einem aktuellen Bericht wurden im Juli neun Hazara-Männer in der Provinz Ghazni von Taliban-Kämpfern getötet.

Auch ISIS-K, der ISIS-Ableger in Afghanistan, hat die Gemeinschaft wiederholt ins Visier genommen und soll für den schrecklichen Bombenanschlag verantwortlich sein, bei dem im Mai mehr als 80 Schulkinder getötet wurden.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 dokumentierten die Vereinten Nationen 20 Angriffe, bei denen 143 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt wurden. Im Mai 2020 töteten bewaffnete Männer in einem Entbindungskrankenhaus in einer überwiegend von Hazara bewohnten Gemeinde 24 Menschen, darunter auch Frauen und Säuglinge.

Die Hazara waren immer wieder Angriffen ausgesetzt, dennoch hat die Gemeinschaft beeindruckende politische und wirtschaftliche Fortschritte gemacht.  Diese Fortschritte, z. B. in den Bereichen Bildung, politische Vertretung, Frauenrechte und demokratische Regierungsführung setzt die Hazara in einen fundamentalen Gegensatz zur extremistischen Ideologie der Taliban. Die Hazara sind mehr als nur ein religiöser Dorn im Taliban-Auge.

 

1893: Der Genozid an den Hazara

Der religiöse Feldzug von Abdul Rahman gegen die Hazara umfasste 1893 die Mobilisierung und den Einsatz von schätzungsweise 100.000 Kämpfern aus ganz Afghanistan und Teilen des heutigen Pakistan. Der Feldzug führte zu einem Genozid an etwa 62 % der Hazara-Bevölkerung und zur gewaltsamen Umsiedlung der Hazara in das heutige Pakistan, den Iran und Zentralasien. In der Folge der Gräueltaten wurden Tausende von Hazara-Männer, -Frauen und -Kinder versklavt, paschtunische Stämme und Kutschi in Hazaristan angesiedelt und die religiösen und politischen Eliten der Hazara systematisch ermordet.

Abdul Rahman war 1880 an die Macht gelangt. Nach jahrelanger Planung und Vorbereitung begann er 1890 seinen Feldzug gegen Hazaristan. In den ersten Jahren des Feldzuges stießen seine Truppen im gebirgigen Hazara-Land auf erbitterten Widerstand. Nachdem er schwere militärische Verluste erlitten hatte, passte Abdul Rahman seine militärische Strategie an.  Er erklärte den Hazara einen religiösen Krieg / Dschihad, indem er eine Fatwa, ein von sunnitischen Religionsführern gebilligtes religiöses Verdikt, erließ. Die Fatwa, mit der alle ethnischen Gruppen, Stämme und Kräfte aufgerufen wurden, sich dem heiligen Dschihad gegen die ungläubige Hazara / Shias anzuschließen, wurde über Moscheen und religiöse Führer im ganzen Land verbreitet. Dieser religiöse Aufruf zum Dschihad führte zur Mobilisierung von mehr als 100.000 Kämpfern, Stammeskräften und Glaubenskriegern aus Afghanistan und Pakistan.

Diese Truppen fielen 1892 erneut aus allen Richtungen in Hazaristan ein. Der Krieg fand im September 1893 mit der totalen Niederlage ein Ende. Der 25. September oder der „Schwarze Tag der Hazara“ ist ein Gedenktag zur Erinnerung an den Fall Hazaristans, an den Genozid an den Hazara sowie an die brutale Versklavung tausender Hazara-Männer, -Frauen und -Kinder.

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