Entschuldigt Euch!

Das US-Innenministerium hat seinen Bericht über die Geschichte der Indianer-Internate veröffentlicht.

Von Wolfgang Mayr

US-Innenministerin Deb Haaland und ihr Team haben den Untersuchungsbericht über die indianischen Internate vorgestellt. Die Autor:innen des Berichts fordern darin eine formelle Entschuldigung der US-Regierung sowie ein großzügiges Unterstützungsprogramm gegen das anhaltende Generationentrauma.

IndianCountryToday hat sich den Berichter genauer angeschaut. Hier einige Schlußfolgerungen. Die Berichterstatter, die Federal Indian Boarding School Initiative, drängen zudem auf die Rückgabe des Landes, auf dem die Internate errichtet wurden und ein Denkmal zu Ehren der Internats-Kinder. Sie wurde gewaltsam von ihren Familien getrennt und gezwungen, Schulen zu besuchen, die erfolgreich ihre Kultur, Identität und Sprache auslöschten.

Im Laufe der Recherche wurden weitere Grabstätten von verstorbenen Internats-Kindern entdeckt. 

Innenministerin Deb Haaland, Laguna Pueblo, kündigte weitreichende Maßnahmen der Biden-Regierung. “Der Weg zur Heilung endet nicht mit diesem Bericht, er fängt gerade erst an“, sagte Haaland bei der Vorstellung des Reports. Diese Umerziehungsschulen prägten die Geschichte der indigenen Nationen, führte sie weiter aus: “Zu lange wurde sie unter den Teppich gekehrt, während die Gemeinschaften mit den Auswirkungen generationsübergreifender Traumata zu kämpfen haben.” 

Haaland bedankte sich bei den Vorfahren, “wir sind hier, weil sie durchgehalten haben. Es ist unsere Pflicht, ihre Geschichten zu teilen.” Der Bericht und seine Empfehlungen wurden vom stellvertretenden Sekretär für indianische Angelegenheiten Bryan Newland verfasst, er ist ein Angehöriger der Bay Mills Indian Community: “Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten legt die Bundesregierung Rechenschaft über ihre Rolle beim Betrieb historischer indianischer Internate ab, die indigene Kinder zwangsweise einsperrten und versuchten, sie zu assimilieren.”

Ein Bericht für eine neue Politik

Dieser Bericht bestätigt, was indigene Völker seit Generationen kritisierten, dass die Bundespolitik darauf abzielte, die indigenen Widerstände zu brechen, sich indigene Territorien anzueignen, die Kulturen und Lebensweisen zu zerstören. Letztendlich ist diese Politik gescheitert, freut sich Newland. Er empfahl ein gut ausgestattetes Förderprogramm, “um das zu stärken, was sie nicht zerstören konnten.” 

Ruth Anna Buffalo von der National Native American Boarding School Healing Coalition regte weitere Forschung an. Mit dem Report konnte die Geschichte der boarding schools, der Internate, aus dem “Schatten der Geschichte” geholt werden. Die Recherchen ergaben, dass deutlich mehr Kinder in den Internaten starben, als bisher angenommen und befürchtet.

Die direkt Betroffenen, die Nachfahren der Opfer, deren Familien erhalten mit dem Bericht erstmals Antworten, würdigt Buffalo die Recherche-Arbeit. Auch Buffalo, eine Angehörige der Mandan Hidatsa Arikara, und ihre Familie zählen auch zu den Internats-Opfern. Ein roter Faden des Leids verbindet die Ureinwohner in allen Ecken des Landes, auf den Reservaten, in den Städten und Ghettos der Metropolen. Persönliche und gelebte Erfahrungen mit dem Trauma aus der Internatszeit, ergänzte Buffalo.

Der Abschlussbericht des Innenministeriums führt den ersten Bericht vom Mai 2022 fort. 2021 wurden die Arbeiten aufgenommen. Im ersten Bericht sind die Namen und Standorte der Internate angeführt sowie die Liste der Massengräber und Begräbnisstätten der verstorbenen Kinder. 

Der zweite Bericht, dafür wurden mehr als 100 Millionen Seiten an Dokumenten überprüft, enthält weitere Ergebnisse und zusätzliche Erkenntnisse über die Todesfälle. Die bisher geschätzte Zahl von 500 wurde auf 973 erhöht, verscharrt in 74 markierten und unmarkierten Begräbnisstätten.

Untersucht wurde die Geschichte von 417 Internaten und von mehr als 1.000 Waisenhäusern und anderen “Assimilationsmissionen”. Im Zeitraum von 1819 bis 1969 besuchten mehr als 18.600 Schülerinnen und Schüler die Internate. Für diese Internate zur Assimilierung der Kinder der restlichen Ureinwohner gaben die USA 23 Milliarden Dollar aus.   

Der zweite Bericht könnte zur Grundlage für die Arbeit der Wahrheits- und Heilungskommission werden. Die Chancen für eine solche Kommission sind gut, im Kongress sind die entsprechenden Arbeiten weit vorangekommen. Diese Kommission sollte sich mit den Internaten befassen, mit den bundesstaatlichen, kirchlichen und privaten.

Die Geschichte der Internate ist die Geschichte der Eroberung des Landes und der Unterwerfung der Ureinwohner, lobte Deb Parker, Geschäftsführerin der National Native American Boarding School Healing Coalition, den neuen Bericht. Parker zitiert einen exemplarischen Vorfall, bei dem das Militär 104 Hopi-Kinder aus ihren Familien “entnahm” und sie in ein Internat wegsperrte. Die US-Kavallerie kehrte dann zurück und verhaftete 19 Hopi als Kriegsgefangene, nachdem sie sich geweigert hatten, weitere Kinder zu schicken.

Ein Vorfall aus einer unendlich langen Liste, ist Parker – Angehörige der Tulalip – überzeugt. Diese Vorfälle erzählen eine schreckliche Geschichte, die für die Kinder, ihre Familien und Gemeinden verheerend waren. Die Coalition startet mit Befragungen von Internat-Überlebenden, ein Oral-History-Projekt, die Initiative wird von der Mellon Foundation und dem Bureau of Indian Affairs finanziert.

Die geplanten Interviews werden wohl die erste Gelegenheit für jene sein, die ihre Geschichten bisher niemand erzählen konnten und jetzt Anerkennung für ihren erlittenen Schmerz erhalten. “Es ist wichtig, den Überlebenden zuzuhören und ihre Empfehlungen direkt zu hören,” begründet Parker das Interview-Projekt.

Vorbild Kanada

Die Autor:innen des zweiten Berichts formulieren acht Empfehlungen an die Politik. Als Vorbild Kanada, das schon 2006 mit der Aufarbeitung dieser ungeheuerlichen Geschichte begann. Die kanadische Politik entschuldigte bereits beim Start des groß angelegten Projekts der Erinnerung. 

In Kanada organisierten die Rechten den Widerstand gegen die Wiedergutmachung, die Verbrechen in den Internaten werden von diesem Teil der kanadischen Gesellschaft einfach geleugnet.

Die vom Kongress geplante Kommission wird sich an der kanadischen Wahrheits- und Versöhnungskommission orientieren. Diese wurde als Teil des Indian Settlement Act von 2008 geschaffen. Kanada zahlte mehr als drei Milliarden Dollar an Reparationen an die Überlebenden der Internatsschulen. Die Reparationszahlen scheinen bemerkenswerterweise in den Empfehlungen der US-Berichts nicht auf.

Das Fehlen von “persönlichen” Reparationen begründet Bryan Newland mit dem Fehlen von konkreten Forderungen. Newland und seine Chefin Haaland besuchten auf der “Road to Healing” Internats-Überlebende, die über ihre Erfahrungen erzählten. Forderungen nach Entschädigung oder Schadenersatz für Einzelpersonen blieben aus. Stattdessen drängten die Gesprächspartner auf eine gut ausgestattete Finanzierung gemeindebasierter Heilung, auf die Wiederbelebung der Sprache, auf neue Schulen. Laut Haaland ist die Regierung in der Pflicht, “auch aufgrund von Vertragsverpflichtungen, die unsere Regierung mit den Stämmen eingegangen ist.”

Auch die kanadische Regierung ließ Geschichten von Überlebenden sammeln, stellte Geld für die traditionelle und schulmedizinische Heilung zur Verfügung, entschuldigte sich bei den indigenen Nationen, machte den Zugang zu den Internatsunterlagen zugänglich und half bei der Suche nach unmarkierten Gräbern von verstorbenen Kindern.

Haaland und Newland kopierten das kanadische Modell, besuchten Betroffene auf ihrer fast schon historischen “Road to Healing”-Tour. Auf zwölf großen Treffen konnten Überlebende erstmals über ihre Erfahrungen in Internaten berichten. Transkripte der Tour, die Ende 2023 endete, sind auf der Website der Federal Boarding School Initiative verfügbar.

Heimkehr der Toten

Das Innenministerium will menschliche Überreste und Grabbeigaben auf dem Gelände indianischer Internate auf Regierungsland “heben” und “repatriieren”, ihre Familien zurückgeben. Wie es der Native American Graves Protection and Repatriation Act vorsieht.

Die Armee kündigte an, die 180 entdeckten Überreste von Kinderleichen auf dem ehemaligen Carlisle Indian Industrial School den Angehörigen zu übergeben. Dieses Internat unterstand der U.S-Army.

Zu den wesentlichen Empfehlungen zählt die Rückgabe von Land, das die Vorgänger-Regierungen religiösen Organisationen und Bundesstaaten für den Schulbau “übertragen” hatte. In den meisten Fällen hätte das Land wieder in Stammesbesitz übergehen sollen, wenn die Organisationen den Betrieb von Schulen einstellten. Die Internate sind geschlossen. Kirchen und andere Organisationen halten am Land aber fest. Laut einer Recherche von IndianCountryToday besitzen allein katholische Einrichtungen weiterhin mehr als 10.000 Hektar dieses Landes.

Der Bericht erwähnt auch 127 Verträge zwischen der Bundesregierung und den verschiedenen Stämmen. Darin verpflichteten sich die US-Regierungen, “den Ureinwohnern eine qualitativ hochwertige Bildung” zu garantieren sowie den flächendeckenden Erhalt der indigenen Sprache. Großteils ein leeres Versprechen.

Indigene Politiker:innen haben positiv auf den zweiten Bericht zur Internats-Geschichte reagiert. Die Internate gelten als das perfideste Symbol anti-indianischer Politik in den USA. So zitierte Peter Lengkeek, Vorsitzender der Great Crow Creek Sioux in South Dakota, seine Landsleute mit der Aussage, das Internat St. Joseph Indian School war schlimmer als der Krieg.

Den Sprecher der Muscogee (Creek), Jason Salsman, lässt IndianCountryToday sagen: “Die Gräueltaten und Schrecken des von der Regierung geführten Versuchs, die Ureinwohner und die Kultur durch diese Institutionen auszulöschen, sind auch heute noch sehr real.” Salsman ergänt: “Aber es gibt auch ein Gefühl des Triumphs und der Anerkennung. Wir haben es überwunden und sind immer noch hier. Unsere Kultur, unsere Sprache und unsere Art und Weise leben weiter und bleiben stark.“

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