EIN STAAT, EIN VOLK, EINE SPRACHE? EINE INSEL BEGEHRT DAGEGEN AUF

Von Wolfgang Mayr

Bei den französischen Regionalwahlen gingen besonders viele KorsInnen zur Wahl. Sie wählten mit deutlicher Mehrheit abermals für die Autonomisten-Koalition. Ein Votum für die Autonomie und gegen den französischen Zentralstaat. Wieder stimmten die BürgerInnen Korsikas mehrheitlich für das „nationalistische“ Bündnis von Gilles Simeoni und Jean-Guy Talamoni. Ein deutliches Signal an Paris, der Insel doch endlich die Selbstverwaltung zuzugestehen.

Das Bündnis „Pè a Corsica“ (Für Korsika) von Simeoni und Jean-Guy Talamoni („Corsica Nazione Indipendente“) hatte bei der Wahl 56 Prozent der Stimmen errungen. Damit stellen sie 41 der 63 Sitze in der Regionalversammlung der einheitlichen Gebietskörperschaft (CTU).

Die beiden „nationalistischen“ Parteien streben eine Autonomie für Korsika an. Sie wollen eine gleichwertige Anerkennung der korsischen Sprache neben dem Französischen, eine Amnestie für Häftlinge, die sie als politische Gefangene betrachten, sowie die Anerkennung eines korsischen „Aufenthaltsstatus“ im Kampf gegen Immobilienspekulanten aus dem Ausland. Das soll mit einem entsprechenden Gesetz über die Bevorzugung dauerhaft auf Korsika Ansässiger bei Immobilien- und Grundbesitzkäufen umgesetzt werden. Die französische Regierung lehnte den Gesetzesvorschlag bisher ab.

Das Absurde an der korsischen Situation, mit einer Verwaltungsreform wurde eine einheitliche Region geschaffen, eine einheitliche Gebietskörperschaft mit einer Regionalversammlung. Die einheitliche Gebietskörperschaft CTU vereint die Inselverwaltung der beiden bisherigen Départements. Laut dem Bozner Autonomie-Experten Thomas Benedikter ist die CTU eine Verwaltungseinheit auf niedrigstem rechtlichem Niveau. Die Insel hat Gemeinde-Kompetenzen, um es polemisch zu formulieren. Das ärgert inzwischen eine Mehrheit der korsischen Bevölkerung.

Minderheitenfeind Macron
Die korsischen Autonomie-Parteien kritisieren Staatspräsident Macron auch dafür, dass er das kürzlich von der Nationalversammlung mit großer Mehrheit verabschiedete Minderheitengesetz verhindern will. Das Verfassungsgericht nahm die Beschwerde der Macron-Partei Republique en Marche gegen das Gesetz an und wies es als verfassungsfeindlich zurück. Die im Gesetz vorgesehene mehrsprachigen Minderheitenschulen – wie auch der Immersionsunterricht an öffentlichen Schulen – sind laut den obersten Richtern nicht zulässig, weil Französisch die Sprache der Republik ist. Unfranzösisch sei auch die geplante Einführung von Sonderzeichen für Eigennamen in den Minderheitensprachen.

Der Artikel 2 der Verfassung legt unmissverständlich fest, dass Französisch die Sprache der Republik ist. Die alleinige Sprache. 1992 wurde dieser Passus eingeführt, so die Promotoren damals, um die Anglisierung einzudämmen. Jetzt dient er dazu, den Schutz und die Förderung der Minderheitensprachen zu verbieten. Sprach-Totalitarismus?

Ein Rückschlag nicht nur für den Einbringer Paul Molac, einem bretonischen Abgeordneten der Macron-Partei. Mit der Verfassungsklage wandte sich der angeblich liberale Pro-Europäer Macron auch gegen die Listen-Verband der Sprachminderheiten Regions et Peuples Solidaires. Wohl auch deshalb erhielt die Mitgliedspartei „Unser Land“ im Elsass überraschende zehn Prozent. Das ehemalige Elsass-Lothringen ist in einer großen Verwaltungsregion „aufgegangen“.
Während sich die meisten kleinen Regionalparteien der Sprachminderheiten – die in Frankreich nicht anerkannt sind – schwer tun, politisch zu punkten, gewannen die korsischen Autonomistenparteien zum dritten Mal die Regionalwahlen. Ein doch kräftiges rebellisches Signal von der „Mohren“-Insel.

Im Wahlkampf hatte Simeoni das französische „Kolonialsystem“ angeprangert, das korsische Interessen missachtet und zu Korruption und Klientelismus geführt hat. Simeoni versprach, dass sich die Insel nicht mehr den Interessen von Paris unterwerfen wird. Korsika verdient sich eine „wahre Demokratie“, folgert Simeoni.
Wahlsieger Gilles Simeoni hofft, dass Staatspräsident Macron und seine Regierung die korsische Wählerbotschaft zur Kenntnis nehmen. Simeoni erwartet sich einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Staat. Simeoni-Verbündeter Talamoni fordert die Regierung auf, schnell Verhandlungen anzubieten.
Gilles Simeoni spricht seine Anhänger grundsätzlich in korsischer Sprache an. Der 48-jährige Vorsitzende von „Pè a Corsica“ (Für Korsika) ist der neue Freiheitsheld. Simeonis Vater Edmond hatte noch mit Waffengewalt für „die Wiedergeburt Korsikas“ gekämpft. Sohn Gilles will nun mit politischen Mitteln das Werk seines Vaters fortführen.

Terror-Insel Korsika?
Auf Korsika kämpften militante Gruppen – Freiheitskämpfer für die einen, Kriminelle und Terroristen für die anderen – jahrzehntelang gewaltsam für eine Unabhängigkeit von Frankreich. Die wichtigste Untergrundgruppe, die nationale Befreiungsfront Korsikas FLNC, erklärte im Sommer 2014 das Ende des „bewaffneten Kampfes“.

Aus dieser Zeit sind noch zahlreiche Gefangene in Haft – unter anderem Yvan Colonna, der wegen Mordes an einem früheren Präfekten 2007 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Simeoni vertrat Colonna in dem Prozess als Anwalt.
Staatspräsident Macron hat sich bisher nicht zur Zukunft Korsikas geäußert. Die neue Korsika-Beauftragte Jacqueline Gourault besuchte bereits im Auftrag der Regierung erstmals die Insel.

QUELLEN:
R&PS – site officiel de Régions et Peuples Solidaires (federation-rps.org)
(2) Pè a Corsica | Facebook
Femu a Corsica – Parti politique corse

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