Die Zeit läuft ab – für Erdoğan und die PKK

In seiner Kolumne „Voices“ macht Jan Diedrichsen auf die Auswirkungen aufmerksam, die eine neue geopolitische Ära mit Donald Trump auf die Kurden in der Türkei und im Nahen Osten hat.

PKK-Gründer Öcalan hat mit einer „historischen Erklärung“ den „bewaffneten Kampf“ für beendet erklärt. Foto: anf-deutsch

PKK-Gründer Öcalan hat mit einer „historischen Erklärung“ den „bewaffneten Kampf“ für beendet erklärt. Foto: anf-deutsch

Erschienen als Kolumne VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT im „Der Nordschleswiger“

 

Von Jan Diedrichsen

Die Kurden stehen am Scheideweg. Wieder einmal. Ankara fordert die Auflösung der PKK als Voraussetzung für eine politische Lösung. Ein vergiftetes Angebot – denn Erdoğan will keine Lösung, er will Unterwerfung. Doch die Zeit der PKK ist vorbei. Nicht, weil der türkische Autokrat es diktiert, sondern weil die kurdische Bewegung eine neue Antwort braucht.

Die Geschichte der kurdischen Befreiungsbewegung ist die Geschichte eines betrogenen Volkes. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde den Kurden ein eigener Staat versprochen – und dann von den Kolonialmächten und der jungen Türkei verraten. Seitdem kämpfen sie gegen Unterdrückung: in der Türkei, im Irak, in Syrien und im Iran.

Die PKK, 1978 von Abdullah Öcalan gegründet, war lange der militärische Arm dieses Kampfes. Inspiriert vom Marxismus-Leninismus, führte sie einen Guerillakrieg gegen den türkischen Staat. Öcalan wurde 1999 vom türkischen Geheimdienst in Kenia gefasst und sitzt seither in Isolationshaft. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die PKK gewandelt – ideologisch und organisatorisch. Öcalan verabschiedete sich von der Idee eines eigenen kurdischen Staates und propagierte stattdessen eine basisdemokratische, ökologische Gesellschaft: den „Demokratischen Konföderalismus“. Doch die Organisation blieb gefangen zwischen Ideologie, Gewalt und geopolitischer Realität.

Das zeigte sich besonders in Syrien. Während des Bürgerkriegs entstand dort die kurdische Selbstverwaltung Rojava – inspiriert von Öcalans Ideen, aber abhängig von den USA, die die kurdischen Kämpfer als Verbündete gegen den IS nutzten. Doch als der IS weitgehend besiegt war, ließ der Westen die Kurden fallen. Die Türkei griff an, besetzte Teile Nordsyriens, vertrieb Zehntausende. Erdoğan nutzte den Krieg, um seine Macht zu festigen – und um jede Form kurdischer Autonomie zu zerstören.

Und jetzt?

Donald Trump hat die Wahl gewonnen – und Ankara sieht darin eine Chance. Schon 2019 zeigte Trump, dass ihm Bündnistreue im Nahen Osten egal ist. Damals ließ er die YPG, die kurdische Miliz in Syrien, im Stich und gab Erdoğan grünes Licht für eine Invasion. Jetzt droht eine Wiederholung: Die USA ziehen sich weiter zurück, während die Türkei und Russland ihre Interessen neu ordnen.

Eine geopolitische Erschütterung bahnt sich an. Putin wartet auf den Moment, um die Unruhe in Washington auszunutzen. Erdoğan wittert seine Gelegenheit, die kurdische Bewegung endgültig zu zerschlagen – im Kalkül, dass Trump erneut wegsehen wird. Der neue Präsident wird Deals machen, nicht Prinzipien verteidigen. Ein informelles Abkommen zwischen Trump, Putin und Erdoğan könnte die Kurden geopolitisch noch weiter entrechten.

Was bedeutet das?

Die Erschütterung ist spürbar. Europa, ohnehin unentschlossen, wird sich ohne die sicherheitspolitische Rückendeckung der USA noch weniger in den Nahen Osten einmischen. Die Kurden drohen zwischen drei Kräften aufgerieben zu werden: einem erstarkten Erdoğan, einem aggressiven Putin und einem desinteressierten Trump. Eine neue Phase der Vertreibung und Repression steht bevor – und die Zerschlagung mühsam erkämpfter kurdischer Autonomieprojekte.

Wo sind die Männer und Frauen, die den Mut haben, einen neuen Weg zu gehen? Die nicht in alten Denkmustern, Machtkämpfen und Korruption gefangen sind? Die begreifen, dass die kurdische Bewegung politisch überleben muss – nicht als Guerilla, sondern als Akteurin? Es gibt sie: in den Städten der Türkei, in den Bergen des Nordiraks, in der kurdischen Diaspora. Doch sie kämpfen gegen zwei Feinde – gegen Erdoğan, der ihre Rechte mit Füßen tritt, und gegen eine eigene, überholte Elite, die den Moment nicht ergreift.

Europa darf sich keinen Illusionen hingeben. Erdoğan ist kein Partner, sondern ein Despot, der die Kurden benutzt – als Feindbild, als innenpolitisches Druckmittel, als Verhandlungsmasse. Aber auch die kurdische Führung muss verstehen: Die Zeit für eine Neuausrichtung ist jetzt. Sonst wird die kurdische Frage nicht gelöst, sondern erneut geopfert – auf dem Altar von Machtspielen, Nationalismus und verpassten Chancen.

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