15-10-2023
Der Siedler-Staat sagt Nein
Die Australier lehnen die Anerkennung der indigenen Völker mit großer Mehrheit ab.
Von Wolfgang Mayr
Mit großer Mehrheit und hasserfüllt. Die weiße Wählerschaft stimmte beim Referendum dagegen, dass den Aborigines eine politische Mitsprache verfassungsrechtlich garantiert wird. Bereits im Vorfeld ergaben Umfragen die breite Ablehnung für die „Stimme im Parlament“.
Der sozialdemokratische Premier Albanese wollte die seit der Eroberung und Besiedelung verfolgten, diskriminierten und verfolgten indigenen Völker in die australische Politik einbinden. Ein zu wählendes indigenes Gremium sollte das Parlament bei indigenen Fragen beraten. Also kein großer Wurf.
Trotzdem, die Konservativen, große Teile der Landbevölkerung, kleine und große Farmer, Großgrundbesitzer, Bergbauunternehmen, formten ihre erfolgreiche „Nein“-Kampagne. Fast 60 Prozent der Wählenden lehnten das Vorhaben ihrer Regierung ab. Auch die sechs Bundesstaaten opponierten gegen das indigene Anliegen. Die große Mehrheit der Australier stimmte also für die Beibehaltung der bisherigen indigenen Politik: Ausgrenzung, Diskriminierung, Ausbeutung, Assimilierung.
Die Reaktion des Aboriginal-Aktivist Thomas Mayo zum Ausgang des Referendums: „Ich bin am Boden zerstört“. Mehrere Aktivisten wollen nach dieser Niederlage ihren jahrzehntelangen Kampf für mehr Rechte aufgeben. Der indigene Anwalt Noel Pearson wolle „für immer verstummen“. „Hass zu schüren ist so viel einfacher, als mit Fakten zu überzeugen“, kommentierte eine Aktivistin die Referendums-Entscheidung. Aktivistinnen und Aktivisten sind auch entsetzt darüber, dass es viele rassistische Angriffe auf Indigene und Referendums-Befürworter gab.
Schützenhilfe von US-Rechten
Die TAZ zitierte Berichte, laut denen die Strategie der „Nein“-Kampagne von Beratern der ultrakonservativen US-Rechten entwickelt und umgesetzt wurde. US-Rechte, die dem Lager von Donald Trump angehören. Das Konzept der US-Rechten war äußerst erfolgreich: Die Medien wurden monatelang mit Halbwahrheiten, fake news und Lügen geflutet.
Diese üblen Botschaften kamen an. Wie die Warnung vor einem Rassismus gegenüber den Weißen, indigene Rechte führten zu einer Spaltung der Gesellschaft, vor Landverlust und höheren Steuern. Die indigenen Rechte wurden von der US-Rechten und ihren australischen Auftragsgeber als „rassisch bedingten Sonderrechten“ für Ureinwohner verunglimpft. Diese „weiße Koalition“ verstieg sich zur Behauptung, die Entrechtung und der Völkermord an den Ureinwohnern seit der britischen Invasion 1788 hätten keine Folgen für Aboriginal.
Die „Cowboys“, dieser toxische Mix aus Konservativen, white supremacy-Gruppierungen, Nationalisten, verängstigten Landbewohnern und großen Landbesitzern, behaupteten, das indigene Forum gebe den Ureinwohnern mehr Macht und Einfluss auf die Politik als „gewöhnlichen“ weißen Australiern. Gewarnt wurde auch vor Rückgabe gestohlenen Landes sowie vor Mitspracherechten für Aboriginal beim Abbau von Rohstoffen. Diese Hetze kennen die sprachlichen und nationalen Minderheiten in Europa auch.
Diese so heftig angefeindete Körperschaft, das indigene Beratungsgremium, hätte nur eine beratende Funktion gehabt. Keinesfalls eine gesetzgebende. Über die Zusammensetzung dieses Gremiums hätten nicht die indigenen Völker entschieden, sondern das Parlament. Letztendlich eine Farce, aber immerhin wäre es ein erster Schritt gewesen, die Ureinwohner anzuerkennen. Die Antwort darauf waren rassistische Anfeindungen, Oppositionsführer Peter Dutton warnte vor einer Spaltung des Volkes. Leitmotiv: Ein Kontinent, ein Volk.
„indigenous voice“ als Wiedergutmachung
Was hätte die Verankerung der „indigenen Stimme“ im Grundgesetz bedeutet? Die Ureinwohner wären zum ersten Mal in der Verfassung erwähnt worden. 1901 war das Grundgesetz in Kraft getreten, 113 Jahre nach Beginn der weißen Besiedlung. Viele Aborigine sprechen von der Invasion britischer Strafgefangener und ihrer Aufpasser.
Es dauerte 66 Jahre, 1967, bis Indigene als Bürger anerkannt wurden. Was für eine grenzenlose weiße Arroganz. Die Aborigines leben seit mehr als 60.000 Jahren auf dem australischen Kontinent. 25 Jahre später, 1992, hob ein Gericht den Gründer-Mythos auf, Australien sei vor der Ankunft der Weiße „Terra Nullius“ gewesen – unbewohntes Niemandsland.
Die Anerkennung der Indigenen in der Verfassung war für Aktivistinnen und Aktivsten grundlegend. Die indigene Rechtsprofessorin Megan Davis würdigte die Referendumsvorlage als ein Weg, „um unsere Menschen zu ermächtigen und ihren rechtmäßigen Platz in unserem eigenen Land zu erhalten.“ Das Referendum war die Folge langjähriger Verhandlungen zwischen den verschiedenen indigenen Nationen und Stämmen. Das Referendum war als eine Einladung an die australische Bevölkerung gedacht, die ersten Bewohner Australiens nach über einem Jahrhundert des Wartens im Grundgesetz anzuerkennen.
Diese Botschaft kam aber nicht an. Deutlich mehr als die Hälfte der Wählenden folgten dem Slogan „If you don’t know, vote No“ – Wer nichts über die Vorlage weiß, soll mit Nein stimmen.
Anders formuliert, die Ignoranten in Kombination mit den Rassisten stellten klar: Es gibt keinen verfassungsmäßig garantierten Platz für die ersten Bewohner des Kontinents. War Gleichgültigkeit auch mit dabei, dann ist es miserabel um die Demokratie in Australien bestellt. Die Mehrheit interessiert sich nicht, dass ihre Mitbürger weiterhin diskriminiert werden, dass ihnen mit der Referendums-Entscheidung Perspektiven und Hoffnungen genommen wurden.
Die Fakten sind grauenhaft: Indigene sterben im Durchschnitt acht Jahre früher als nicht-Indigene, sie sind schlechter ausgebildet, sind häufiger im Gefängnis und Opfer von weißem Rassismus.
Das schmutzige Geschäft der rassistischen Allianz erledigte die konservative Politikerin Jacinta Price. Sie war eine der wenigen indigenen, aber wichtigen Stimmen der Referendums-Gegner. Ihre Botschaft: Ureinwohner hätten der Kolonialisierung „Strom und regelmäßiges Essen“ zu verdanken.
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