Das imperiale Russland

Daavr Dorzhin vom Kongreß des Oirat-Kalmücken-Volkes warb in Brüssel für die Entkolonialisierung Russlands

Tjan Zaotschnaja und Wolfgang Mayr

Auf Einladung der EU-skeptischen und strikt konservativen Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ im Europaparlament stellten Mitglieder des Forums der freien Völker Postrusslands ihre politischen Ziele vor. Vertreter*innen verschiedener Völker diskutierten über Eroberung, Völkermord, Kolonisierung und Perspektiven für Deimperialisierung und Dekolonisierung. Der Krieg gegen die Ukraine ermutigte sie offen darüber zu diskutieren. Gegen diese Bestrebungen halten in West-Europa unterschiedliche Kräfte dagegen, radikale Linke wie die deutsche „Linke“ im Verbund mit der radikalen Rechten, Stichwort AfD, Lega,  

Auf der Tagung mit dabei war der Kalmücke Daavr Dorzhin. Der Anwalt, er verteidigte Kriegsdienstverweigerer, bedauerte, dass auch anwesende Putin kritische russische JournalistInnen das Forum kritisierten und verunglimpften. Sie verteidigten die „gesamtrussische Agenda“ des Kriegspräsidenten Putin, wunderte sich Dorzhin. Offensichtlich hält auch die Opposition am imperialen Russland fest und stellt sich gegen die regionalistischen Bewegungen. Auch deshalb scheiterten Gespräche mit russischen Oppositionellen. So wurde auf einer Veranstaltung vom Free Russia Forum ein Vertreter der Baschkiren kaltschnäuzig abgewiesen.

Daavr Dorzhin setzte sich mit den drei grundlegenden Thesen der „guten Russen“ auseinander.

These Nummer 1. Sie glauben wirklich an Russland „von Kaliningrad bis Wladiwostok“ 

In der sowjetischen Hymne hieß es, dass die Völker, die vom zaristischen Russland und von den Kommunisten unterworfen wurden, „für immer von Großrussland versammelt wurden“. Politiker und Persönlichkeiten der „gesamtrussischen Agenda“ betrachten deshalb die Russische Föderation als ethnisch homogen, also russisch.

In ihrer Wahrnehmung ist Russland eine Einheit und die Menschen bilden ein Volk (der Putinismus schließt in dieses Konzept auch noch die Ukraine und Weißrussland ein). Das russische Volk. Trotzdem grenzen sich diese Russen von uns Nicht-Russen ab. Sie sind staatstragend, wir nicht.

These Nummer 2. Sie stigmatisieren uns, weil sie sich nicht mit unseren Problemen umgehen können. 

Nicht alle AktivistInnen und Bewegungen der nicht-russischen Regionen setzten auf die Sezession von Russland. So forderte ein Vertreter der Itelmenen auf dem Forum „nur“ den Schutz der indigenen Lebensweise seines Volkes gegen dreiste russische Geschäftemacher, die gegen alle möglichen Umweltstandards verstoßen. 

Trotzdem werfen uns die „Allrussen“ vor, „russophob“ zu sein. In diesem Fall zählen zu den „Allrussen“ auch MitstreiterInnen des Teams Nawalny. Auch sie halten an der Fiktion des russischen Volkes fest, auch sie setzten auf den Zentralstaat mit einem zentralen Parlament ohne parlamentarische Garantie beispielsweise für die Itelmenen.

These Nummer 3. Sie träumen davon, zum 23. Februar 2022 zurückzukehren. 

Bereits am 27. Dezember 1943 deportierten die stalinistischen Behörden 93.000 buddhistische Kalmücken nach Sibirien, am 23. Februar 1944 begannen die Deportationen der Tschetschenen und Inguschen, am 8. Mai 1944 vertrieben die russischen Stalinisten die Krimtataren von der Krim. Die „Zwangsumsiedlungen“ sowjetischer Bürger nicht-russischer Nationalität, kurzum ethnische Säuberungen bis zum Völkermord, dienten dem Regime dazu, Sibirien, den Fernen Osten und Zentralasien unter lückenloser Moskauer Kontrolle zu bringen. Der Putinismus stand für den effektiven Kampf gegen den „Separatismus“. Dafür erhielt er auch Applaus von den Liberalen. Sie halten am allrussischen Konzept ohne Putin fest, für ein großes und freies Russland.

Russische liberale Demokraten stellten sich aber nie die Frage, „wem gehört die Krim?“. Sie verweisen darauf, dass die Krim-Bevölkerung für Russland gestimmt hat, eine mögliche Rückgabe an die Ukraine würde unter Russen nur Ressentiments hervorrufen. Sie gehen auch davon aus, dass die am 23. Februar besetzten Gebiete russisch bleiben, gab es doch wiederholte Referendum und deshalb gilt die „Unmöglichkeit der Rückgabe“. 

Auch die West-Europäer und die USA räumten dem allrussischen Projekt viele Chancen ein. Es gab Projekte von „Lissabon bis Wladiwostok“, Unterstützung der russischen Wirtschaft, visafreies Reisen, also wirtschaftliche Integration. Liberale All-Russen werfen deshalb dem „kollektiven Westen“ vor, für den Putinismus verantwortlich zu sein. 

Die beste Taktik für uns alle, ist die Entwicklung der politischen Vertretung und Vision von der Zukunft für unsere Völker und Nationen. Beispiel 1984, als in den Sowjetrepubliken Volksbewegungen entstanden, die von Moskau als Ausgestoßene und Rebellen bekämpft wurden. Viele endeten in KGB-Lagern und wurden getötet. Und trotzdem besiegten diese Leute den russischen Imperialismus im sowjetischen Gewand.  

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite