Darum kolonial

In der sich rechtsdrehenden italienischen Republik wabert der grün-weiß-rote Nationalismus

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Von Wolfgang Mayr

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den rechtsrechten Fratelli d´Italia wird von vielen Bürger:innen geschätzt. Auch in der autonomen Provinz Bozen, Südtirol. Dort sitzt ihre Partei in Koalition mit der Südtiroler Volkspartei in der Landesregierung. Meloni gibt sich weltoffen, pro-europäisch. Hinter den Kulissen aber heizt sie den italienischen Nationalismus kräftig an. Meloni drückt die kulturelle Achse des Landes weit nach rechts.

Meloni auf der Spur ist auch der linksmoderate Partito Democratico PD von Elly Schlein. Die in der italienischen Schweiz geborene jüdischstämmige Schlein führt ihre Partei trotz ihres Weltbürgertums auch unter den patriotischen Schirm. Der PD plakatiert inzwischen auch in grün-weiß-roten Farben. Auch die übrigen Parteien ziehen nationalbesoffen nach. Die Wirkung bleibt nicht aus.

Nationalistischer Shitstorm

Das bekam Martina E. Pluda aus Triest heftig zu spüren. Bei den anstehenden Wahlen zum Europaparlament kandidiert Pluda auf der Liste der Cinque Stelle. Im facebook wendet sich Pluda auch an Angehörige der deutschsprachigen Minderheit in der autonomen Regionen Friaul-Julisch-Venetien und an die deutschsprachigen Südtiroler:innen. Südtirol zählt zum Wahlkreis Nord-Ost.  Die Reaktion war ein unerwarteter heftiger shitstorm, mit unerträglichen Untergriffen und deftigen hate speaches.

Simon Constantini kommentiert auf seinem brennerbasisblog den Shitstorm für Wahlwerbung auf Deutsch: “Das ist der Platz, den Südtirol mit seiner sprachlichen Diversität in diesem Wahlkreis (und in diesem Staat) hat”.

Rassistische Attacke im Senat

Kein Einzelfall. Bei einer Debatte im Senat in Rom wurde die Abgeordnete der Südtiroler Volkspartei, Julia Unterberger, von Senatoren der Fratelli d´Italia schwer angegriffen. Wie Christoph Franceschini auf dem Portal Salto berichtet, wurde Unterberger von neofaschistischen “Kollegen angepöbelt”, sie solle doch Italienisch lernen, bevor sie sich zu Wort meldet. Diesen bedenklichen Fall von “gepflegtem” Hass im Senat benennt Constantini als “südtirolfeindlichen Rassismus”, als “Intoleranz der neofaschistischen Mobber, mit denen die Südtiroler Volkspartei zu allem Überfluss in Südtirol regiert”. 

Constantini wirft den italienischsprachigen Politiker:innen in Südtirol vor, kaum ein deutsches Wort zu beherrschen. Gleichzeitig schwärmen sie vom europäischen Geist, von den großen Kulturen, vom Zusammenleben. Gelebte parteienübergreifende nationalistische Arroganz. 

Kolonie Südtirol?

Diese verbreitete anti-südtirolerische Stimmung ist Teil der kolonialen Krankheit Italiens. In seiner Analyse “Darum kolonial” beschreibt Constantini das Verhältnis zwischen Italien und Südtirol als eindeutig kolonial. Ein Fall für die Postcolonial Studies, findet der Blogmacher Constantini, wie sie tatsächlich Mia Fuller betreibt. Die außerordentliche Professorin für Italianistik an der Berkeley beschäftigte sich mit Italiens inneren und äußeren Kolonien. Also auch mit Südtirol. 

Constantini schreibt: “Die Analysen und die Argumente von Wissenschafterinnen wie Mia Fuller und Roberta Pergher, die den Umgang des italienischen Staates mit Südtirol — zumindest im Faschismus — als kolonialistisch einstufen, finde ich einleuchtend und überzeugend.

Die heutige Teilautonomie hat einiges entschärft, manches auch ganz aus dem Weg geräumt. Dennoch herrscht nach wie vor ein klares Machtgefälle vor: Von einem Verhältnis auf Augenhöhe kann nicht die Rede sein. 

Dies hat zum Beispiel zu tun mit dem Vorrang der staatlichen Gesetzgebung selbst auf Gebieten, auf denen Südtirol primäre Befugnisse hätte; Bereichen, die einer autonomen Ausgestaltung ganz entzogen sind oder dem beharrlich autonomiefeindlichen Gebaren der Verfassungsgerichtsbarkeit (im Zusammenspiel mit den unzähligen Anfechtungen durch Regierungen jeder Couleur).

Wenn übrigens davon die Rede ist, dass die jetzige Autonomie die Umsetzung der ´inneren Selbstbestimmung´ sei, muss in Bezug auf den allgemeinen Kolonialismusbegriff darauf hingewiesen werden, dass Gebiete, die auf der offiziellen Liste der noch zu entkolonialisierenden Gebiete mehrere sind, deren Eigenregierung gegenüber der jeweiligen Kolonialmacht deutlich ausgeprägter ist als die von Südtirol gegenüber Italien”.

Simon Constantini, Mitautor des Buches “Kann Südtirol Staat?”, ist überzeugt, dass der Begriff “Kolonialismus” das Verhältnis zwischen Italien und Südtirol definiere.

Dieser wiedererwachte Hass auf Minderheiten zählt in Österreich zum Polit-Instrumentarium der Freiheitlichen gegen die – ständig schrumpfende – slowenische Volksgruppe in Kärnten und auch zu den ideologischen Waffen der pro-russischen sowie pro-chinesischen Alternative für Deutschland. 

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