Botschaft von Leonard Peltier zu seinem 80. Geburtstag

Seid gegrüßt, meine Freunde und Freundinnen, Geliebten, Verwandten und Unterstützer

Leavenworth, Kansas 1997

PROLOG

Von Claus Biegert

Verspätet kommt eine Botschaft von Leonard Peltier, der am 12. September seinen 80. Geburtstag feierte. Mit Betroffenheit lese ich meinen eben geschriebenen Satz. Leonard kann seit 48 Jahren keinen Geburtstag mehr feiern ! Als Bill Clinton vor seinem Ausscheiden im Januar 2001 bei einem Besuch im Reservat Pine Ridge zu verstehen gab, er werde sich um Leonards Fall kümmern, war die Hoffnung groß. Doch von Seiten des FBI und des früheren Gouvernors von South Dakota, Bill Janklow, kam massiver Druck auf den scheidenden Präsidenten. Wir können nur spekulieren, wie dieser Druck aussah, der Clinton davon abhielt, Peltier zu begnadigen. Seitdem wissen wir jedenfalls, dass es um Rache geht. Das FBI will seine zwei Agenten rächen, die 1976 auf dem Reservat Pine Ridge ums Leben kamen. 

Siehe auch den Podcast von Claus Biegert – In the Spirit of Crazy Horse – Die Geschichte des Leonard Peltier 

Dabei spielt es keine Rolle, dass Leonard unschuldig ist und die Anklage auf Doppelmord zurückgezogen und in „Beihilfe“ abgewandelt wurde, weil er damals am Tatort war. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Beweise konstruiert waren. Dabei spielt es keine Rolle, dass  Lynn Crooks, jener Staatsanwalt, der 1977 im Prozess gegen Peltier die Anklage vertrat, bereits 1986 bei einer gerichtlichen Anhörung zugab: “Wir wissen nicht, wer diese Agenten getötet hat.”  Dabei spielt es keine Rolle, dass der Bundesrichter Gerald Heaney, der den Antrag auf eine Wiederaufnahme ablehnte, inzwischen zugab, dass das FBI unlautere Methoden benutzte und für den Schußwechsel verantwortlich war – und Peltiers Freilassung einen Heilprozess im Verhältnis zu den Ureinwohnern einleiten könne. Dabei spielt es keine Rolle, dass Papst Franziskus die Präsidenten Obama und Biden gebeten hat, endlich die geraubte Freiheit zurückzugeben!

Bei meinem zweiten und letzten Besuch ( ein dritter wurde mir zwei Tage vor dem festgesetzten Termin verweigert) im Gefängnis von Levenworth, Kansas sagte der Beamte, der meine Fototasche untersuchte: „You gonna visit Leonard Peltier… he is a good guy, oh, I am not supposed to say that.“

In Leonards Situation spiegelt sich die gesamte Situation der indigenen Völker der USA: Die Beschützer der Erde sind dem resourcenfressenden System im Weg.

 

BOTSCHAFT VON LEONARD PELTIER ZU SEINEM 80.GEBURTSTAG

Seid gegrüßt, meine Freunde und Freundinnen, Geliebten, Verwandten und Unterstützer,

Als ich ein Kind war, schaute und horchte ich auf meine Ältesten, um zu lernen, wie man im Rhythmus von Mutter Erde lebt.

Ich sehne mich danach, mit meinen Lieben am Feuer zu sitzen und unseren Kindern die Geheimnisse von Mutter Erde zu erzählen. Ich möchte lachen, die Pfeife mit euch rauchen und in die Augen einer Frau schauen, die keine Handschellen trägt.

Ich bin ein Ältester geworden. Ich nehme an, dass ich in vielerlei Hinsicht immer noch der Neunjährige bin, der unter meinen Mitschülern im Wahpeton-Internat den Widerstand gegründet hat, der junge Mann, der bereit war, alles zu opfern, um sein Volk zu beschützen, und der junger Mann, der hart zupackte, wenn sich die Gelegenheit bot.

Gleichzeitig spüre ich jede Sekunde der letzten achtzig Jahre, die meinen Körper Schaden zufügen. Ich habe mein Augenlicht verloren, aber meine innere Vision ist nicht die eines alten Mannes. Ich sehne mich danach, rauszugehen und zu arbeiten. Mein Geist ist voll von Ideen, wie sich Gier und Korruption bekämpfen lassen, die sich wie ein giftiger Schimmel in den Etagen derer ausbreiten, die uns regieren.

Als ich verurteilt wurde, sagte ich: „Ich habe Mitleid mit Ihrem Volk, dass es unter einem so erniedrigenden System leben muss. In Ihrem System wird Ihnen Habgier, Rassismus und Korruption beigebracht, und das Schlimmste von allem, die Zerstörung unserer Mutter Erde. Im System der amerikanischen Ureinwohner werden wir gelehrt, dass alle Menschen Brüder und Schwestern sind und den Reichtum mit den Armen und Bedürftigen teilen sollen. Aber das Wichtigste von allem ist, die Erde, die wir als unsere Mutter betrachten, zu respektieren und zu bewahren.“

Ich konnte nicht anders, als in die Weite zu sehen. Ich sehe die fortgesetzte Kolonisierung und Zerstörung von Mutter Erde und die fortschreitende Auslöschung eines Volkes.

Ich nehme mehr wahr, als die meisten von euch denken, selbst in der Abriegelung. Ich sehe Spirit Warriors aufstehen und ihre Stimme erheben; das tut meinem Herzen gut. 

Ich sehe auch die Aushöhlung von Gesetzen, die unser Recht zu existieren, schützen sollten. Die Bürgerrechte waren immer nur ein Vorwand. Sie waren nie eine echtes Anliegen. Jetzt sehe ich, dass die Regierung sich nicht einmal die Mühe macht, so zu tun als ob. 

Wir können nicht länger zulassen, dass Habgier, Rassismus und Korruption uns regieren. Erinnert euch, mein Volk. Erinnert euch, wer ihr seid. 

Mutter Erde selbst fließt durch unsere Adern. Wir halten durch. Die Gier, die Korruption und die Geringschätzung der Kolonisatoren werden sie selbst in den Ruin treiben. Sie versuchen, Mutter Erde zu schänden während sie dem allmächtigen Dollar nachjagen. 

Wir haben ihre Apokalypse überlebt. Wir überleben nicht nur, wir sind dazu bestimmt zu gedeihen.

Die Abriegelungen waren nicht gut für meinen Körper. Ich werde nicht hier stehen und darüber weinen, was mit einem achtzigjährigen Körper passiert, der seit über vier Jahren im Lock-down eingesperrt ist. Ich werde weiter planen, nachdenken und überlegen, was in erreichen kann.

Hoffnung ist eine schwierige Sache, aber ich habe noch Hoffnung. Die Ablehnung der Bewährung war nicht unerwartet. Ich will nicht sagen, dass ich überrascht über das Ergebnis war, wir wussten es. Die Antwort auf die Berufung von Jenipher Jones und Moira Meltzer-Cohen könnte uns noch überraschen.

Jenipher Jones hat mir von Anfang an versichert, dass sie sich voll für meinen Fall einsetzt. Ich vertraue ihrem Wort. Jenipher wird für mich und mit mir vor Gericht kämpfen, wenn die Berufung abgewiesen wird.

Meine Freunde, ich brauche euch, um gemeinsam zu kämpfen. Auch für euch.

Die Polizei verprügelt Kinder auf der Straße. Die Bewährungskommission hält immer noch unrechtmäßig viele von uns lange nach ihrem Entlassungsdatum fest. Der Oberste Gerichtshof verhindert, dass Menschen ungerechtfertigte Verurteilungen anfechten können.

Indigene Völker werden immer noch von ihrem Land vertrieben – wir schützen Mutter Erde. Sie haben sie entblößt und wollen nun unsere Ressourcen. Unsere Völker verschwinden in atemberaubendem Tempo, und niemand rührt sich.

Wir warten auf das Uhuru-Urteil, um festzustellen, ob die Redefreiheit existiert. Ein Urteil, das vielleicht an meinem achtzigsten Geburtstag gefällt wird. 

Und – ich bin immer noch im Gefängnis. In der Verfassung steht: „Wir, das Volk“. Wir müssen den Machthabern sagen, dass WIR das Volk sind.

Diese Erklärung sollte an meinem 80. Geburtstag veröffentlicht werden. Aber ich war zehn Tage weggesperrt, und mein Vorstand wartete darauf, dass ich die letzte Fassung autorisiere. 

Ich bedauere, dass an meinem 80. Geburtstag keine Erklärung veröffentlicht wurde. Ich bedaure, dass dieses Land von denjenigen übernommen wurde, die Menschen unter Bedingungen einsperren können, die für Hunde strafbar wären.

Wie ich schon sagte, ich brauche euch, um gemeinsam zu kämpfen. Ich kämpfe jeden Tag für meine Freiheit mit meinem Anwaltsteam. Ich kämpfe jetzt um mein Leben. Sie verurteilten mich zum Tod durch den Kerker. Sie bemühen sich sehr, dieses Urteil zu vollstrecken.

Es ist ihnen nie gelungen, meinen Geist zu fesseln. Das werden sie auch nie. Erlaubt niemandem dass jemand euren Geist einsperrt!

Im Geiste von Crazy Horse

Doksha

Leonard Peltier

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite