Alles ist teurer als ukrainisches Leben

Ein Teil der europäischen Öffentlichkeit fühlt sich keineswegs mit den überfallenen Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch.

Von Wolfgang Mayr

Das ist auf Kundgebungen der Friedensbewegten zu hören, „was geht uns die Ukraine an“. Sie, Pazifisten, Beton-Linke, nützliche Idioten des Kremls, lehnen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Sie protestieren nicht gegen den russischen Staat und seine Armee, sondern gegen die widerstandsleistenden Ukrainerinner und Ukrainer. Ihren Widerstand empfinden die „Kriegsgegner“ im Westen als einen Angriff auf ihr Leben. Das teurer empfunden wird als ukrainische Leben.

Damit befassen sich Aleksandra Konarzewska, Schamma Schahadatund Nina Weller in ihrem Alles ist teurer als ukrainisches Leben: Texte über Westsplaining und den Krieg (edition.fotoTAPETA). Ein schonungsloses Buch, das den grenzenlos toleranten Westlern den Spiegel vorhält. Alles ist teurer als ukrainisches Leben, ja, der Wohlstand, die eigene Freiheit, die eigene Welt, die mit der Ukraine nichts zu tun haben will.

Für diese Öffentlichkeit gilt die Ukraine als Hinterhof Russlands, nicht als Vorhof der EU. Diese Öffentlichkeit wird politisch vertreten von Teilen der Linken und der SPD, begeistert von der AfD und der großen Leugner-Gemeinde unterschiedlicher Coleur.

Keine Ahnung von Russland

Das Herausgeberinnen-Trio und die vielen Mitautoren wie Vasyl Cherepanyn, Kateryna Mishchenko, Wolodymyr Rafejenko oder Oksana Sabuschko – um nur einige zu nennen – setzten sich mit dem „Westsplaining auseinander. Westsplaining meint die westliche herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen gegenüber Europäerinnen und Europäern aus Osteuropa. Liebe westeuropäische Intellektuelle, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch, ihr habt keine Ahnung von Russland. Russland hat euch nie berührt, weder euch noch eure Vorfahren. Ihr versteht es nicht, noch weniger versteht ihr Osteuropa …“

So kümmern sich westliche, besonders deutsche, Intellektuelle wenig um die russische koloniale Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der kleinen Nationen. Auch dort wütete der deutsche Kolonialismus des Dritten Reichs, in Polen, in der Ukraine, in Belarus. Dieser Teil der deutschen Geschichte verschwindet noch immer in der Lücke der Vergangenheitsbewältigung. Erfolgreich verdrängt wurde der Hitler-Stalin-Pakt von 1939, von den Rechten und den Linken.

Den Fokus auf den russischen Kolonialismus richtet das „FATA collectivemit seiner Ausstellung in der „Neuen Gesellschaft für bildende Kunst“ in Berlin. Eine beeindruckende Dokumentation über die immer noch anhaltenden Auswirkungen des russischen Kolonialismus auf ethnische Minderheiten. Zurecht fragt sich die FAZ, „macht Hass auf den Kapitalismus blind für Stalins und Putins Untaten?“ Russland antikolonial, antiimperialistisch? Deutsche Linken glauben das.

Auch Pazifisten und sonstige Friedensbewegte, die aus Angst vor einem Atomkrieg bereit sind, die Kriegsverbrechen und den gezielten Terror in den von Russland besetzten Gebieten zu akzeptieren. Ihrer Friedens-Sehnsucht unterordnen sie den Unfrieden der Ukrainer. Der russische Eroberungskrieg in der Ukraine wird verdrängt, nicht erwähnt, ignoriert.

Die deutsche Moskau-Connection

Intellektuelle erhöhen die russische Literatur, ihr verklärter Blick darauf verhindert, die auch imperialen Ideen in der verherrlichten russischen Literatur zu erkennen. Russland wird mystifiziert, die deutschen Slawistik konzentriert sich auf Russland. Angefeuert wurde dies auch von der SPD mit ihrer Ostpolitik, dokumentieren Reinhard Bingener und Markus Wehner in „Die Moskau Connection – Das Schröder-Netzwerk und Deutschland Weg in die Abhängigkeit“.

Die doch geistige Kumpanei mit Russland führt Sebastian Christ auf das Erbe des nicht aufgearbeiteten deutschen Imperialismus in Osteuropa zurück. Oder auf die Idee einer „besonderen Beziehung“ zwischen den einstigen Imperien Deutschland und Russland. Dieser Blick auf die Welt, der Länder und Völker in gleichwertige und nicht gleichwertige Gesprächspartner einteilt, ist typisch für das Erbe des Imperialismus,“ analysiert Christ auf ukraineverstehen.

Friedensbewegte, Pazifisten, Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine verdrängen – offenbar eine weitverbreitete deutsche Eigenschaft – in ihrem Engagement gegen die Ukraine die Vergewaltigungen und sexuelle Folter russischer Soldaten, Wagner-Söldnern, tschetschenischen Islamisten und linksradikale „Internationalisten“ der Donbasser „Volksrepubliken“. Massenhafte sexuelle Gewalt gehörtbereits seit 2014 zum Kriegsalltag in der Ukraine.

Eine Abteilung der ukrainischen Staatsanwaltschaft entwickelt besondere Ermittlungsstrategien für sexuelle Gewalttaten. Das Netzwerk „The Reckoning Project – Ukraine Testifiessammelt Informationen aus den russisch besetzten ukrainischen Regionen. Dokumentationen, die tatsächlich belegen, dass alles teurer ist als ukrainisches Leben.

Teuer. Weit mehr als 400 Milliarden US-Dollar beträgt der Schaden, den die Armee des russischen Staates in der Ukraine mit ihrem Eroberungskrieg bereits verursacht hat. Der Wiederaufbau wird noch weit teurer werden. Endlich Zeit, die ständig wachsenden Milliarden-Vermögen der russischen Oligarchen, deponiert auch in den europäischen Banken, zu beschlagnahmen. Sie waren und sind die Nutznießer des größten Mafia-Staates der Welt. Warum sollen europäischer Steuerzahlerinnen und Zahler für Schäden der russischen Invasion aufkommen? Derweil wirbt der russischen Kriegspräsident Putin für Kriegsteilnehmer, er appelliert an die „echte Männlichkeit“. Dafür bekommt er Applaus, von den AfD-Kameraden, den Wagenknecht-Genossinnen, wohl auch vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft.

 

 

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