28-04-2025
Russland-Dekolonisierung: Jenseits von Kolonialismus und Assimilierung
Russländische Indigene und russische Oppositionelle über die Zeit nach Putin

Die Münchner Itilmenin Tjan Zaotschnaja von der GfbV-Regionalgruppe engagiert sich seit Jahrzehnten für die „kleinen Völker“ Russlands. Foto: gfbv.de
Von Wolfgang Mayr
Tjan Zaotschnaja ist eine Menschenrechtlerin durch und durch. Die Itilmenin aus München engagiert sich seit vielen Jahren schon für die GfbV, für die “kleinen Völker” im russländischen Norden und Sibirien im Exil-Verein “Indigenes Russland” sowie für ein neues demokratisches Russland.
In der GfbV-Zeitschrift “Für Vielfalt” und hier auf voices schreibt Tjan über ihre Anliegen, außerdem gestaltet sie für Radio Lora für die Münchner GfbV-Gruppe die Sendung “Fremde Heimat”. Am liebsten ist Tjan auf Straßen und Plätzen unterwegs, sucht das direkte Gespräch mit Passant:innen.
Letzthin war Tjan in New York, bei der UNO, beim indigenen Forum. Tage vorher an der Westküste, bei den Lummi im US-Bundesstaat Washington. Diese brachten russische Oppositionelle und indigene Aktivist:innen aus Russland zu einem Dialog zusammen. In ihrer Orcas-Erklärung bekannten sich die Konferenz-Teilnehmenden zur Entkolonialisierung und zur Demokratisierung Russlands.
“Jede Zelle in uns ist von der Kolonisierung durchdrungen, sie ist ein integraler Bestandteil von uns geworden,” schreibt Tjan Zaotschnaja. Die Kolonisierten müssen sie dekolonialisieren, sagt Tjan überzeugt. Sie verweist auf das Buch „Vnutrennjaja kolonozazia“ (Innere Kolonisierung) des exilierten russischen Historikers Alexander Etkind.
Dialog zwischen Indigenen und Oppositionellen
Die Lummi ermöglichten als Gastgeber einen offenen Dialog über die Rechte indigener Völker, Russlands imperiale Politik, über die notwendige Entkolonialisierung und die demokratische Zukunft. Die russländischen indigenen Aktivist:innen informierten die Oppositionellen über die Situation der kleinen indigenen Völker des Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens, Vertreter der Itelmen, Saami, Dolgan, Udege, Shor und anderer indigener Völker sprachen über die aktuelle Menschenrechtssituation in ihren jeweiligen Regionen.
Sie beklagten die staatliche Repression, die ständigen Menschenrechtsverletzungen sowie die rücksichtslose Ausbeutung ihrer traditionellen Siedlungsgebiete.
Dekolonisiert Russland
Nur eine konsequente Dekolonisierung Russlands schafft für die kleinen Völker eine Perspektive, heißt es in der Orcas-Erklärung plus eine echte Selbstverwaltung zum Schutz indigener Rechte.
Bei den Lummi bekannten sich indigene und oppositionelle Engagierte zu einer Zusammenarbeit der unterschiedlichen pro-demokratischen Bewegungen im Zentrum und in der “Peripherie”. Der Dialog muss deshalb gestärkt werden, der Wunsch der Konferenz-Teilnehmen, sowie auch die Koordination der Bewegungen.
Die indigenen Aktivist:innen drängten auf eine strikte Verurteilung der russischen Kolonialpolitik, auf die damit einhergehende Assimilation und Unterdrückung indigener Völker. Im zaristischen Russland galt lange der Grundsatz, wo sich in Asien der Russe niederlässt, wird das Land sofort russisch. Ein Grundsatz, der auch in der kommunistischen Sowjetunion galt, aber nicht nur in Asien, sondern auch in Weißrussland, Lettland, Litauen und Estland, in der Ukraine, in Georgien, in Moldawien, in der Kaukasus-Region.
Voraussetzung für ein neues Verhältnis zwischen der russischen Mehrheitsbevölkerung und den minderheitlichen Nationalitäten und Völkern ist die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit.
Indigene und Oppositionelle wollen die Verletzungen indigener Rechte dokumentieren und rechtliche Unterstützung dagegen organisieren, Gesetzesinitiativen zum Schutz der Rechte indigener kleiner Völker, ihres Land und der dazugehörenden Ressourcen anstoßen sowie Forschungs- und Bildungsprogramme fördern.
Weitere Informationen zum Thema:
– Dekolonisierung Russlands
– Postkoloniale Perspektiven junger Russländer:innen
– Kolonialismus, Rassismus und das östliche Europa
– OstEuropa – postkolonial
– Ost-Europa, auf dem Weg zur Freiheit
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