Zurechtgebogene Verfassung

Die Franco-Erben diktierten das Grundgesetz (2)

Von Wolfgang Mayr

Die demokratische Justiz des spanischen Rechtsstaates leidet unter einem Geburtsfehler. Nach dem Tod von General Franco 1975 sorgten die Vertreter des Militärs, der Sicherheitskräfte und der Franco-Partei erfolgreich dafür, dass 1977 eine Generalamnestie erlassen wurde. 

2014 verlangte Argentinien von Spanien die Auslieferung von 20 ehemaligen Vertretern des faschistischen Franco-Regimes. Wegen Verbrecher an der Menschlichkeit zwischen 1939 und 1975. Die spanische Republik lehnte das Ansuchen ab. Es gelte seit 1977 eine Amnestie.

Ohne diese Amnestie hätte es 1977 wahrscheinlich keinen demokratischen Neustart gegeben. Der Franco-Apparat sorgte auch dafür, dass die territoriale Integrität Spaniens und die Einheit des Vaterlandes als oberster Verfassungsgrundsatz gelten. Die Franco-Erben führten den Krieg gegen die Feinde von damals, die Verteidiger der spanischen Republik in den 30er Jahren, fort – mit der Heiligsprechung des Vaterlandes.

Putsch gegen verfassungsmäßige Ordnung

Franco hatte 1936 gegen die Republik geputscht, links regiert mit Unterstützung der baskischen und der katalanischen Nationalisten. Franco führte einen Krieg mit Hilfe aus dem faschistischen Italien und aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Eine halbe Million Menschen wurden abgeschlachtet. Viele der Opfer wurden bis heute nicht gefunden. Während der Diktatur zwischen 1939 und 1975 „verschwanden“ außerdem zehntausende Regimekritiker. Auch diese Toten bleiben ungesühnt.

Die faschistischen Gefallenen wurden fast alle exhumiert und bestattet, ihre Familienangehörigen materiell und sozial entschädigt. Der Feind hingegen sollte aus Spanien verbannt, sollte real und ideell „mit der Wurzel ausgerottet“ werden.

Spanien kopierte das Nachkriegs-Deutschland und das Nachkriegs-Italien. Bundeskanzler Adenauer hatte 1963 gesagt, die NS-Strafverfolgung ist für das Ansehen Deutschlands in der Welt unerträglich. Deshalb wurden von 170.000 NS-Verbrechern nur 7.000, von 6.500 SS-Angehörigen der KZ-Truppe in Auschwitz gerade mal 30 in Deutschland verurteilt. Von den 200.000 österreichischen und deutschen Holocaust-Tätern wurden von den West-Alliierten, von den Osteuropäern und den Deutschen nur die Hälfte verurteilt. Die Mörder blieben unbehelligt, wie auch die Bürokraten des Holocausts, viele machten im neuen Deutschland Karriere. Ähnliches in Italien. Kaum einer der faschistischen Kriegsverbrecher wurde verurteilt, die Parteien einigten sich auf eine stillschweigende General-Amnestie.

Italien als Vorbild für das Spanien nach Franco. Die neu entstandenen Parteien nach dem Tod des Diktators, die Union de Centro Democratico, die Alianza Popular (die Keimzelle der Volkspartei PP) des Franco-Ministers Manuel Fraga und die Sozialisten von der PSOE, einigten sich auf einen Pakt des Schweigens. Niemand wurde für die Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Nach dem Schweigen folgte das Vergessen.

Generalamnestie für Killer

Der spanische Staat verweigert eine Aufarbeitung der mörderischen Franco-Vergangenheit. Das 1977 erlassene Amnestiegesetz sichert allen Franco-Tätern Straffreiheit zu, Forderungen nach strafrechtlicher Aufarbeitung und Wiedergutmachung werden wegen der geltenden Amnestie abgelehnt. 

Der einzige spanische Richter, der es wagte, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, bezahlte dies 2012 mit einem Berufsverbot. Es handelte sich um Spaniens bekanntesten Ermittler Baltasar Garzón, der durch seine Jagd auf südamerikanische Diktatoren wie den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet weltberühmt wurde.

In einem Interview mit swissinfo sagte Carla del Ponte, ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag: „Die Verbrechen, die während der Franco-Diktatur verübt wurden, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber gibt es keinen Zweifel. Wenn nun die Opfer Gerechtigkeit verlangen, wäre es politisch richtig, die Amnestie aufzuheben. Alles hängt vom Anspruch der Opfer ab“. 

Das schert die spanische Justiz nicht.

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