18-02-2022
Gekonntes Herumdrücken?
Die USA, Großbritannien und die Nato stehen konsequent auf der Seite der ukrainischen Republik. Deutschland drückt sich, oft war letzthin von Nichteinmischung die Rede. Was geht uns die Ukraine an?
Von Wolfgang Mayr
Diese Haltung, Nicht-Einmischung, Waffen-Boykott, sorgte schon im Bosnien-Krieg dafür, dass die Opfer des serbischen Aggressionskrieges sich nicht verteidigen konnten. Die Bosnier waren wehrlos, deshalb hilflos und ausgeliefert. Nicht sich einmischen, war eine der Devisen. Die Folgen sind doch sattsam bekannt. Trotzdem, die Parole Nicht-Einmischung im angeblichen „Bruderkrieg“ zwischen Russland und der Ukraine tauchte wieder auf.
Blogger Richard Herzinger ordnet diese Beschwichtigungspolitik historisch ein: „Denn das Versäumnis, rechtzeitig aufzurüsten und potenzielle Opfer der totalitären Aggression militärisch zu unterstützen, war ein Hauptmerkmal jener verhängnisvollen Appeasement-Politik, die Hitler die Bahn für seinen Eroberungs- und Vernichtungskrieg frei machte“.
Herzinger zählt weitere Fehler von damals auf, das westliche Waffenembargo gegen die gewählte Regierung der spanischen Republik in den 1930er Jahren. Der Faschist Franco und seine waffenstarrenden Putschisten besiegten im Bürgerkrieg 1936-1939 die Republik, NS-Deutschland und das faschistische Italien nutzten Francos Krieg als kriegerischen Testlauf für den großen Krieg. Besonders hart schlugen die Partner von Franco im Baskenland und in Katalonien zu. Die Sowjetunion belieferte nur die befreundete stalinistische Linke, die im spanischen Bürgerkrieg auch die linke Konkurrenz brutal bekämpfte.
Der damalige Westen ließ es zu, dass Hitler die tschechoslowakische Republik zerschlagen konnte, dass Hitler und Benito Mussolini ihren Partner Franco zum Sieg verhalfen. Signale für Hitler, mehr zu wagen. Erst 1940 gab US-Präsident Roosevelt seinen Neutralitätskurs auf, viele Menschen litten unter den neutralitätsbedingten „Kollateralschäden“ und erklärte Großdeutschland den Krieg. Die USA versorgten Großbritannien und die SU mit den benötigten Waffen, um Hitler besiegen zu können.
Angesichts des Geredes um westliche Deeskalation im angeblichen Ukraine-Konflikt spottet Herzinger: „Auf die Waffen kam es an. Es ist schon seltsam, dass gerade die Kräfte, die sich hierzulande am vehementesten auf den Antifaschismus berufen, diese historische Erkenntnis nicht wahrhaben wollen.“
In seinem Aufsatz „Für eine verantwortliche Sicherheitspolitik statt Beschwichtigungspolitik“ führt der Historiker Jan Claas Behrends am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam auf „Ukraine verstehen“ die Überlegungen von Herzinger fort. Deutschland begründet seine Neutralitätshaltung in Konfliktfällen mit seiner NS-Vergangenheit. Nachvollziehbar, schreibt Behrends: „Deutschlands historische Verantwortung für die Verbrechen, die in deutschem Namen verübt wurden, ist unbestritten. Aufgrund der ungeheuren Dimension der Taten wirkt sie bis in die Gegenwart fort. Sie gilt den Opfern des nationalsozialistischen Terrors, des Völkermordes an den Juden und des Vernichtungskrieges, den das Deutsche Reich zwischen 1939 und 1945 im Osten des Kontinents geführt hat.“
Die geleistete historische Aufklärung findet Behrends eine großartige Leistung, „aber bei der Verfolgung der Täter und der Entschädigung der Opfer hätte es sicher mehr tun können. Manche Opfergruppen – insbesondere im Osten Europas – gerieten erst sehr spät, nach der deutschen Einheit, in den Blick. Im Vergleich zu den Pensionen der Wehrmachtsgeneräle waren die Entschädigungen, die sie erhielten, nicht gerade großzügig.“
Laut Behrends ist historisches Wissen kein Leitfaden für demokratische Außenpolitik. Es liegt in Deutschlands Interesse, ist Behrends überzeugt, die freie Ordnung in Europa zu verteidigen. Die „revisionistische Politik“ des Kremls bedroht neben der Ukraine auch das Baltikum, Polen und die Schwarzmeerregion. Deutsche Politiker drückten sich gekonnt an einer eindeutigen Position vorbei, empfahlen auch den Ukrainern, zu deeskalieren, so als ob sie Russland bedrohten. Jüdische UkrainerInnen forderten deshalb Bundeskanzler Scholz auf, der Ukraine zu helfen, mit Waffen.
„Dies geschieht auch unter Verweis auf die deutsche Geschichte, die unsere Möglichkeiten beschränke – eine Ansicht, die weder klug noch historisch korrekt ist. Ausgerechnet Deutschland, das nur durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Diktatur befreit werden konnte, erklärt, es gäbe keine militärischen Lösungen,“ wirft Behrends der deutschen Politik unverantwortliche Zurückhaltung vor.
Professor Beherends wirbt für eine „verantwortliche Sicherheitspolitik“, die kein Gegensatz zur historischen Verantwortung Deutschlands ist. Deshalb muss Deutschland entschlossen der Ukraine und den Verbündeten: „Denn unsere Verantwortung gilt den demokratischen Ländern Osteuropas, denen das nationalsozialistische Deutschland unermessliches Leid zufügte, die sich aber auf ein demokratisches Deutschland verlassen sollten.“
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