Gekonntes Herumdrücken?

Die USA, Großbritannien und die Nato stehen konsequent auf der Seite der ukrainischen Republik. Deutschland drückt sich, oft war letzthin von Nichteinmischung die Rede. Was geht uns die Ukraine an?

Von Wolfgang Mayr

Diese Haltung, Nicht-Einmischung, Waffen-Boykott, sorgte schon im Bosnien-Krieg dafür, dass die Opfer des serbischen Aggressionskrieges sich nicht verteidigen konnten. Die Bosnier waren wehrlos, deshalb hilflos und ausgeliefert. Nicht sich einmischen, war eine der Devisen. Die Folgen sind doch sattsam bekannt. Trotzdem, die Parole Nicht-Einmischung im angeblichen „Bruderkrieg“ zwischen Russland und der Ukraine tauchte wieder auf.

Blogger Richard Herzinger ordnet diese Beschwichtigungspolitik historisch ein: „Denn das Versäumnis, rechtzeitig aufzurüsten und potenzielle Opfer der totalitären Aggression militärisch zu unterstützen, war ein Hauptmerkmal jener verhängnisvollen Appeasement-Politik, die Hitler die Bahn für seinen Eroberungs- und Vernichtungskrieg frei machte“.

Herzinger zählt weitere Fehler von damals auf, das westliche Waffenembargo gegen die gewählte Regierung der spanischen Republik in den 1930er Jahren. Der Faschist Franco und seine waffenstarrenden Putschisten besiegten im Bürgerkrieg 1936-1939 die Republik, NS-Deutschland und das faschistische Italien nutzten Francos Krieg als kriegerischen Testlauf für den großen Krieg. Besonders hart schlugen die Partner von Franco im Baskenland und in Katalonien zu. Die Sowjetunion belieferte nur die befreundete stalinistische Linke, die im spanischen Bürgerkrieg auch die linke Konkurrenz brutal bekämpfte.

Der damalige Westen ließ es zu, dass Hitler die tschechoslowakische Republik zerschlagen konnte, dass Hitler und Benito Mussolini ihren Partner Franco zum Sieg verhalfen. Signale für Hitler, mehr zu wagen. Erst 1940 gab US-Präsident Roosevelt seinen Neutralitätskurs auf, viele Menschen litten unter den neutralitätsbedingten „Kollateralschäden“ und erklärte Großdeutschland den Krieg. Die USA versorgten Großbritannien und die SU mit den benötigten Waffen, um Hitler besiegen zu können.

Angesichts des Geredes um westliche Deeskalation im angeblichen Ukraine-Konflikt spottet Herzinger: „Auf die Waffen kam es an. Es ist schon seltsam, dass gerade die Kräfte, die sich hierzulande am vehementesten auf den Antifaschismus berufen, diese historische Erkenntnis nicht wahrhaben wollen.“

In seinem Aufsatz „Für eine ver­ant­wort­li­che Sicher­heits­po­li­tik statt Beschwichtigungspolitik“ führt der Historiker Jan Claas Beh­rends am Zentrum für Zeit­his­to­ri­sche For­schung in Potsdam auf „Ukraine verstehen“ die Überlegungen von Herzinger fort. Deutschland begründet seine Neutralitätshaltung in Konfliktfällen mit seiner NS-Vergangenheit. Nachvollziehbar, schreibt Behrends: „Deutsch­lands his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung für die Ver­bre­chen, die in deut­schem Namen verübt wurden, ist unbe­strit­ten. Auf­grund der unge­heu­ren Dimen­sion der Taten wirkt sie bis in die Gegen­wart fort. Sie gilt den Opfern des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Terrors, des Völ­ker­mor­des an den Juden und des Ver­nich­tungs­krie­ges, den das Deut­sche Reich zwi­schen 1939 und 1945 im Osten des Kon­ti­nents geführt hat.“

Die geleistete historische Aufklärung findet Behrends eine großartige Leistung, „aber bei der Ver­fol­gung der Täter und der Ent­schä­di­gung der Opfer hätte es sicher mehr tun können. Manche Opfer­grup­pen – ins­be­son­dere im Osten Europas – gerie­ten erst sehr spät, nach der deut­schen Einheit, in den Blick. Im Ver­gleich zu den Pen­sio­nen der Wehr­machts­ge­ne­räle waren die Ent­schä­di­gun­gen, die sie erhiel­ten, nicht gerade großzügig.“

Laut Behrends ist his­to­ri­sches Wissen kein Leit­fa­den für demo­kra­ti­sche Außen­po­li­tik. Es liegt in Deutsch­lands Inter­esse, ist Behrends überzeugt, die freie Ordnung in Europa zu verteidigen. Die „revisionistische Politik“ des Kremls bedroht neben der Ukraine auch das Bal­ti­kum, Polen und die Schwarz­meer­re­gion. Deutsche Politiker drückten sich gekonnt an einer eindeutigen Position vorbei, empfahlen auch den Ukrainern, zu deeskalieren, so als ob sie Russland bedrohten. Jüdische UkrainerInnen forderten deshalb Bundeskanzler Scholz auf, der Ukraine zu helfen, mit Waffen.

„Dies geschieht auch unter Verweis auf die deut­sche Geschichte, die unsere Mög­lich­kei­ten beschränke – eine Ansicht, die weder klug noch his­to­risch korrekt ist. Aus­ge­rech­net Deutsch­land, das nur durch die Alli­ier­ten von der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur befreit werden konnte, erklärt, es gäbe keine mili­tä­ri­schen Lösungen,“ wirft Behrends der deutschen Politik unverantwortliche Zurückhaltung vor.

Professor Beherends wirbt für eine „ver­ant­wort­li­che Sicher­heits­po­li­tik“, die kein Gegen­satz zur his­to­ri­schen Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands ist. Deshalb muss Deutschland ent­schlos­sen der Ukraine und den Ver­bün­de­ten: „Denn unsere Ver­ant­wor­tung gilt den demo­kra­ti­schen Ländern Ost­eu­ro­pas, denen das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land uner­mess­li­ches Leid zufügte, die sich aber auf ein demo­kra­ti­sches Deutsch­land ver­las­sen sollten.“

 

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