Namibia – Die grünen Dächer im Sönke-Nissen-Koog: Friesischer Wohltäter hatte das Blut von Herero, Nama und Ovambo an seinen Händ

Von Jan Diedrichsen

Von 1904 bis 1908 führten deutsche Kolonialherren einen brutalen Vernichtungsfeldzug gegen das Volk der Herero und Nama im heutigen Namibia. Mehr als ein Jahrhundert später hat die deutsche Regierung den Völkermord offiziell anerkannt und Namibia ein Hilfspaket angeboten. Viele Herero und Nama sind jedoch der Meinung, dass die deutsche Ankündigung nicht annähernd für Gerechtigkeit sorgt.

 

VOICES berichtet

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Die deutschen Kolonialverbrechen in Namibia führen uns auch in den äußersten Nordwesten Deutschlands, zu Sönke Nissen (1870-1923), der sein friesisches Heimatdorf Klorckries/Klookris bei Risum-Lindholm/Risem-Lonham verließ, um als reicher Ingenieur in die Heimat zurückzukehren. Dort als Wohltäter unvergessen und hochgeschätzt. Doch die Geschichte des lokalen Helden muss neu erzählt werden: Das hat der dänische Historiker Marco Petersen, der im Archiv der dänischen Minderheit in Flensburg arbeitet, mit seinem Sammelband „Sønderjylland-Schleswig. Kolonialismens kulturelle arv i regionen mellem Kongeåen og Ejderen (Das kulturelle Erbe des Kolonialismus in der Region. Zwischen Eider und Königsau) und das von ihm in dem Band veröffentlichte Kapitel „Deiche, Tod und Diamanten. Erinnerungsarbeit zur Biografie des nordfriesischen Kolonialakteurs Sönke Nissen“ eindrucksvoll herausgearbeitet.

Doch der Reihe nach. Wen es in den Sönke-Nissen-Koog an die Westküste Schleswig-Holsteins verschlägt, der wird die grünen Blechdächer nicht übersehen können.  Sieben der Höfe im Koog tragen gar so seltsame Namen wie: Kalkfontein, Karrasland, Lüderitzbucht, Kolmanskuppe, Elisabethbay, Keetmanshoop, Seeheim.

Die Namen sind auf Sönke Nissen zurückzuführen, der die Eindeichung des weiten Vorlandes westlich von Bredstedt/Bräist nach dem 1. Weltkrieg mitfinanzierte.  Er lässt sich damals für die  600.000 Reichsmark 40 Prozent des bedeichten Landes übertragen. Die dort errichteten Höfe erhalten die exotischen Namen nach den Haltestrecken auf der Bahnstrecke von Lüderitzbucht nach Keetnabshoop in Deutsch-Südwest (heute Namibia), die Nissen als Hauptingenieur bauen ließ.

Der junge Friese aus Klockries, der erst in der Schule das Deutschsprechen lernt, bringt es bis zum Ingenieur, der vor allem in Afrika tätig ist und großen Reichtum erwirbt. Als er 1906-1908 den Bau der Bahnstrecke von Lüderitzbucht nach Keetnabshoop verantwortet, stößt ein Arbeiter auf der Strecke auf Diamanten.

Jahrzehnte wurde die Geschichte des berühmten Sohnes der Region mit Stolz erzählt. Auch weil Sönke Nissen nach seiner Rückkehr aus Afrika das 500 Hektar Gut Glinde bei Hamburg kaufte und zu einem sozialen Vorzeigebetrieb aufbaute. Seinen Arbeitern zahlt er im Krankheitsfall den Lohn weiter, was in der damaligen Zeit ungewöhnlich war und richtete ein Altenheim ein, baute Wohnungen für seine Arbeiter. Der Mehrfachmillionär als Gönner und Arbeiterfreund? Oder war es doch das schlechte Gewissen das ihn trieb, weil Sönke Nissen genau wusste, wie sein Reichtum zustande gekommen war: Wortwörtlich auf dem Rücken der Herero, Nama und Ovambo, die bei dem Bahnbau als Arbeitssklaven sich bis in den Tod schuften mussten.

Der Historiker Marco Petersen hat sich in Namibia durch die Archive gelesen und lässt keinen Zweifel. Er hält in dem Aufsatz über Sönke Nissen fest, dass es viele Belege dafür gibt, dass er ein ausbeuterisches System für seinen Reichtum ausgenutzt hat. Er wurde mit den an der Bahntrasse gefundenen Diamanten reich, nachdem er die Schürfrechte erworben hatte. Von 2.014 zur Arbeit gezwungenen Herero, Nama und Ovambo sind 1.359 bei den Arbeiten ums Leben gekommen. Sönke Nissen hat entsprechende Belege unterzeichnet. Extrem harte Arbeit, mangelhafte Ernährung, das raue Klima am Atlantik – die Herrero, Nama und Ovambo kamen aus dem viel wärmeren Landesinneren und die einsetzenden Krankheiten waren die Ursachen für den Tod von rund 70%, der durch Sönke Nissen eingesetzten Sklavenarbeiter.

Marco Petersen ist in seiner Analyse eindeutig: Man könne zweifelsfrei nachweisen, dass Nissen für seine Karriere und für sein Vermögen den Tod der Menschen nicht nur in Kauf genommen, sondern ihn sogar gefördert hat. Er hätte anders handeln können, selbst wenn damals ein hegemonial-rassistisches Weltbild stark verbreitet gewesen sei.

Mit diesen Äußerungen hat sich der Buchautor nicht nur Freunde gemacht – Sönke Nissen ist eine regionalgeschichtliche Legende. Auf Initiative der Partei der Friesen und der dänischen Minderheit, dem SSW, wurde die Geschichte des Kolonialismus in Schleswig-Holstein im Landtag diskutiert und mit einer „Großen Anfrage“ bei der Landesregierung in Kiel nachgefragt. Dies kann natürlich nur der Anfang einer Diskussion sein, wie mit dem Erbe von Sönke Nissen umzugehen ist.

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