Der Europarat schreibt London: Keine Amnestie für Verbrechen im Nordirlandkonflikt

Sitomon, CC BY-SA 2.0

Von Jan Diedrichsen

Oft wird mit Unverständnis reagiert, wenn im Zuge der Brexit-Problematik über das sog. Nordirland-Protokoll gestritten wird. Eine Referenz zum Nordirlandkonflikt wirkt auf viele, wie aus der Zeit gefallen. Doch die Troubles/ Trioblóidí können nicht so einfach in die Geschichtsbücher gedrückt und abgeharkt werden:

Der Europarat hat die britische Regierung nun in einem Schreiben davor gewarnt, dass ihr Vorhaben zur Beendigung der strafrechtlichen Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts den Schutz der Menschenrechte untergrabe. In einem Schreiben (hier der Wortlaut) an den Minister für Nordirlandfragen Brandon Lewis, äußert die Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatović die Befürchtung, dass der Vorschlag das Vereinigte Königreich in Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bringe.

Hintergrund: Die Regierung von Boris Johnson kündigte bereits im Sommer dieses Jahres an, eine Verjährungsfrist für Verbrechen einzuführen, die während des 30-jährigen Konflikts in Nordirland begangen wurden. Alle strafrechtlichen Verfolgungen, die sich auf Tatbestände von vor April 1998 beziehen, sollen demnach eingestellt werden. Diese Bestimmung soll sowohl für Veteranen der Streitkräfte als auch für ehemalige Paramilitärs gelten. Die Ankündigung löste Kritik von Opferverbänden und der irischen Regierung aus.

„Der pauschale, bedingungslose Charakter der Amnestie in Ihrem Vorschlag bedeutet, dass niemand, der an schweren Verstößen beteiligt war, noch zur Rechenschaft gezogen werden kann, was zu einer de facto Straffreiheit führen würde. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Opfer und ihre Familien in der Suche nach Gerechtigkeit, ist dies auch mit Blick auf die zu garantierende Rechtsstaatlichkeit äußerst problematisch“, erklärt Mijatović.

Der Nordirland-Minister erklärt seinerseits, die britische Regierung wolle sich mit allen Beteiligten und der irischen Regierung beraten, bevor sie im Herbst einen Gesetzesentwurf einbringt, der künftige Strafverfolgungen verhindern würde. Lewis erklärt, 23 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen sei es an der Zeit, diese Fragen hinter sich zu lassen. Er argumentiert ferner, dass die neue Regelung einige dazu veranlassen könnte, die Wahrheit über ihre Beteiligung an Anschlägen zu offenbaren; Anschläge die Tausende an Toten gefordert haben. Viele Schicksale blieben bis heute unaufgeklärt.

Die irische Seite wirft der britischen Regierung vor, sie strebe eine Amnestie für die Strafverfolgung nur an, um zu verhindern, dass Ex-Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter für ihre Rolle bei der Ermordung irisch-katholischer Zivilisten auf die Anklagebank kommen.

Die Troubles gehen weiter.

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