Diverses Indien: Der Hindu-Nationalismus bedroht den Vielvölkerstaat

Ministerpräsident Modi zerstört mit seinem „Projekt“ das plurale indische Modell

Der von der indischen Zentralregierung forcierte Hindu-Nationalisten gefährdet das diverse Indien. Foto: planet-wissen.de

Der von der indischen Zentralregierung forcierte Hindu-Nationalisten gefährdet das diverse Indien. Foto: planet-wissen.de

Von Wolfgang Mayr

 

Ministerpräsident Narendra Modi gefällt sich in der Rolle eines Anführers des angeblichen globalen Südens. Indien und die Brics-Staaten – rund um Russland und die Volksrepublik China herum – verstehen sich als Alternative zum Westen. Der ist immer noch kolonialistisch und ausbeuterisch, eine der Brics-Thesen.

Eine Analyse Indiens – Indien ein Gegenentwurf? – ergibt ein völlig anderes Bild. Der baskischstämmige Journalist Miguel Fernández Ibáñez kommt für das online-Magazin „Nationalia“ der katalanischen NGO Ciemen zum Schluss, Ministerpräsident Modi und seine nationalistischen Hinduisten sind dabei, das multinationale, multikulturelle und multireligiöse Indien zu zerstören. Modi vernichtet den bunten „globalen Süden“ im eigenen Land.

Der von der Modri-Regierung geförderte Hindu-Nationalismus definiert das Verhältnis von Religion, Staat und Identität neu, schreibt „nationalia“. Die pan-hinduistische Welle stellt Rechte und Autonomien der religiösen und nationalen Minderheiten – von Kaschmir bis zu den nordöstlichen Bundesstaaten – in Frage. Das Projekt einer geeinten hinduistischen Nation gefährdet das plurale Modell, das bisher die Grundlage der Republik seit der Unabhängigkeit war.

2025 feierte die pan-hinduistische paramilitärische Organisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) ihr hundertjähriges Bestehen. Der Mörder Mahatma Gandhis war RSS-Mitglied.

Zur Feier weihte die RSS ein neues Hauptquartier in Neu-Delhi ein, der Protzbau widerspiegelt die politische Kraft der RSS. Laut „nationalia“ ist die RSS das Rückgrat von Narendra Modis Bharatiya Janata Party (BJP).  In ihrer dritten Amtszeit als Regierungspartei baut die BJP Indien grundlegend um, in ein hinduistisches Land, das Minderheiten ausschließt, periphere Identitäten offen unterdrückt.

 

Ladakh, Punjab

„Leider werden wir zu einer hinduistischen Version von Pakistan“, zitiert „nationalia“ Sajjad Kargili. Er zählt zu den bekanntesten Persönlichkeiten in Kargil, einer Bergregion Ladakhs. Dort stellen die schiitischen Muslime zwei Drittel der 150.000 Einwohner.

Die vorhandenen Gesetze werden nicht umgesetzt und die Zentralregierung schert sich wenig um die real existierenden Stammesinstitutionen, beschreibt „nationalia“ einige Gründe für die wachsenden Konflikte. Diese sind seit Jahrzehnten offen, ungelöst.

So halten deshalb einige Sikh-Parteien an der Selbstbestimmung im Punjab fest. Bei Auseinandersetzungen mit der indischen Armee starben zwischen 1984 und 1995 mehr als 25.000 Menschen, 8.000 Personen werden vermisste. Die Sikhs fordern die Unabhängigkeit, einen Staat namens Khalistan. In der weltweiten Diaspora wirbt die Organisation Sikhs for Justice für die Eigenstaatlichkeit.

 

Kaschmir, Manipur

Das Recht auf Selbstbestimmung wird auch in Kaschmir eingefordert. Sucheta De wehrte sich gemeinsam mit weiteren Parteienvertretern gegen die Aufhebung des Artikels 370 der Verfassung. Dieser sieht die kaschmirische Autonomie vor. „Indien hat Kaschmir ein Plebiszit bei den Vereinten Nationen versprochen, aber hat es nie erfüllt,“ lautet der Vorwurf von Sucheta De. Die Menschen in Kaschmir wollten Teil Indiens sein und Artikel 370 war eine der Grundlagen dafür. Die Zentralregierung setzte ohne Zustimmung der Bürger:innen Kaschmirs den Artikel samt dem Autonomieabkommen aus, kritisiert Sucheta De: „Sowohl Indien als auch Pakistan müssen sich an internationale Standards halten und der kaschmirischen Gesellschaft das Recht auf Selbstbestimmung zugestehen.“

In Manipur ist die Lage höchst aufgeladen. Im Mai 2023 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kukis und Meitei.  Mehr als 200 Menschen starben dabei, tausende Angehörige der beiden Volksgruppen wurde vertrieben.

Bis zu diesem Konflikt lebten die beiden Bevölkerungsgruppen getrennt durch Pufferzonen, die von den Sicherheitskräften überwacht wurden.

Anlass für den Konflikt sind die Landansprüche: Die Meitei stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung und fordern den Stammesstatus. Damit würden sie Zugang zu Gebieten erhalten, die laut Gesetz den Naga- und Kuki-Stämmen zustehen. 1982 und 2001 lehnten die Gerichte entsprechende Ansuchen der Meitei ab, 2023 empfahl aber der Oberste Gerichtshof die Anerkennung des Stammes-Status für die Meitei. Der Grund für den Krieg zwischen den beiden Volksgruppen.

 

Die Naga in Manipur und Naga-Land

Die Naga-Gemeinschaft in Manipur und der Nachbarstaat Nagaland fordern ihren Zusammenschluss. Die Regierung lehnt diese Vereinigung ab. Auch die Kukis drängen auf eine ethnisch definierte Region. Ein vorprogrammierter Konflikt zwischen Kuki und Naga mit Breitenwirkung.

Manipur zählt zu den nordöstlichen Bundesstaaten, bekannt als „die sieben Schwestern“. Diese zählen zu den unstabilsten und unberechenbarsten Regionen. Viele Einwohner sind baptistisch-christlich, ethnisch den Nachbarn China, Bhutan oder Myanmar zuzuordnen. Seit der Unabhängigkeit Indiens und seit den 1970er Jahren gibt es sezessionistische bewaffnete Gruppen, deren Ziele zu erbitterten Machtkämpfen geführt haben. Nutznießer davon war die Zentral-Regierung.

Die peripheren Gemeinschaften streben ein Höchstmaß an Autonomie an. Die nationalistische Modi-Regierung lehnt eine Regionalisierung des Staates ab, verteidigt letztendlich damit das britische Kolonialerbe. Der hinduistisch geprägte Staat schränkt gezielt territoriale Rechte ein und höhlt sie aus.

 

„Homogenes“ Indien?

„Nationalia“ lässt Professorin Zoya Hasan zu Wort kommen. Laut der ehemaligen Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Jawaharlal Nehru Universität ist die BJP „dem europäischen Nationalismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verpflichtet: eine Nation, eine Sprache, eine Kultur. Wie die europäischen Nationalisten jener Zeit strebt Modi nach Uniformität. Indien ist in Vielfalt und Pluralismus vereint aufgeblüht, aber die Idee der BJP ist eine andere: Einheit wird auf der Grundlage von Uniformität gegeben.“

Autor Miguel Fernández Ibáñez befürchtet, dass Modi und seine Partei Mahatma Gandhis Vision der kulturellen Mischung und Vielfalt zerstören. Vielfalt kann nur gedeihen, ist Ibanez überzeugt, wenn der Staat diese Vielfalt respektiert. Die Welt dreht aber rasant nach rechts, Modi kommt die globale Situation zugute. Und, Modi misstraut den Minderheiten. Noch viel mehr sein möglicher Nachfolger, Yogi Adityanath, Ministerpräsident von Uttar Pradesh und bekannt für seine Abneigung gegen Minderheiten und Muslime.

 

Und die Adivasi?

Die Zukunft des indischen Vielvölkerstaats ist also wegen des Hindu-Nationalismus in Gefahr. In dieser Analyse von „Nationalia“ fehlen die Adivasi. Die die indigenen Völker der Berg- und Waldregionen nennen sich Adivasi und das steht für die „ersten Siedler dieses Landes“. Trotz des Verfassungsschutzes und entsprechender Gesetze bedrohen Armut, Analphabetentum und ein schlechter Gesundheitszustand die Adivasi.

Seit der Unabhängigkeit werden die Adivasi aus ihren Territorien gedrängt, ihre Landrechte verletzt, ihre Lebensweise nicht respektiert. Der indische Staat setzt sich über die Belange der Adivasi hinweg, mit dem Hinweis auf das „nationale Interesse“. Adivasi werden in sie betreffende Entscheidungen nicht eingebunden.

Wie die anderen Nationalitäten auch drängen deshalb die Adivasi nach Autonomie. So schreibt die Adivasi-Koordination: „Der Kampf um ein autonomes Bodoland, Gorkhaland, Jharkhand, Uttarakhand, Chattisgarh, Vidarbha usw. sind klare Beispiele für die Suche nach Autonomie innerhalb der indischen Union. Den Adivasi auf Distrikt- und Bundesstaatsebene muss man Entscheidungsgewalt einräumen, damit sie über ihr Schicksal innerhalb Indiens selbst entscheiden können.“

Siehe auch:
Ladakh
Nagaland
Kaschmir

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