Italien-Anpezo: Olympia, Tourismus und die kleinen Minderheiten (1)

Können sie bei sportlichen Großereignissen sichtbar bleiben?

Karte Ladinien: Die Ladiner sind auf drei Provinzen und zwei Regionen aufgeteilt. Nur in Gherdëina/Gröden und Val Badia/Gadertal (beide in Südtirol) sowie in Fascia/Fassatal (Trentino) genießen sie Schutz als Minderheit. In Fodom/Buchenstein und in Anpezo/Cortina d’Ampezzo haben sie keinen Schutz. Quelle: Union Generela di Ladins dla Dolomites

Karte Ladinien: Die Ladiner sind auf drei Provinzen und zwei Regionen aufgeteilt. Nur in Gherdëina/Gröden und Val Badia/Gadertal (beide in Südtirol) sowie in Fascia/Fassatal (Trentino) genießen sie Schutz als Minderheit. In Fodom/Buchenstein und in Anpezo/Cortina d’Ampezzo haben sie keinen Schutz. Quelle: Union Generela di Ladins dla Dolomites

Von Hatto Schmidt

 

Olympia ist in Cortina d’Ampezzo (ladinisch Anpezo) allgegenwärtig: Überall hängen Fahnen und Werbung mit Bezug auf die Winterspiele 2026, und auf einer Terrasse unweit des Zentrums stehen mannshohe Olympische Ringe, vor denen Touristen aus aller Welt posieren, mit der atemberaubenden Bergwelt der Tofane im Hintergrund, an deren Hängen die Damen im Februar um die Medaillen in den alpinen Ski-Wettbewerben kämpfen werden.

Wer dann am Pistenrand steht oder die Rennen vor dem Bildschirm verfolgt, wird in allen möglichen Sprachen über das Geschehen informiert werden – aber nicht in Ladinisch, obwohl Ampezzo in Ladinien liegt. Wie ist das möglich?

„Von Ladinisch keine Spur; die Ladinerverbände wurden bisher nicht einmal angesprochen, und das kein Jahr vor Beginn der Spiele!“, sagt Sofia Stuflesser. Sie ist die Präsidentin der Union di Ladins de Gherdëina, des Ladinerverbandes in Gröden, einem der fünf Täler rund um das Sellamassiv in den Dolomiten, wo noch rund 35.000 Menschen die alte, aus dem Vulgärlateinischen entstandene Sprache sprechen.

„Ladinisch ist bei Großveranstaltungen kaum sichtbar, abgesehen vielleicht von einem gelegentlichen Willkommensgruß“, schildert Stuflesser bei einer Podiumsdiskussion auf der Jahresversammlung der Arbeitsgemeinschaft Non-kin-state-Minderheiten der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN), die vor einiger Zeit in Al Plan/St. Vigil im Gadertal abgehalten wurde. „Unsere Kultur dient meist nur als Folklore, die Sprache bleibt draußen; sie findet kaum oder keine Erwähnung“, fährt Stuflesser fort. Alles wird in der Staatssprache Italienisch abgewickelt.

Tourismus, Sport und Minderheiten

Thema der Podiumsdiskussion war die Frage, welche Auswirkungen der Tourismus auf Minderheitensprachen hat und wie Minderheiten bei sportlichen und kulturellen Großereignissen sichtbar gemacht werden können. Denn sichtbar sind sie allzu oft nicht. Bei der alpinen Ski-WM, die 2021 ebenfalls in Cortina d’Ampezzo abgehalten wurde, kam Ladinisch nicht vor, und das gleiche Schicksal hatte 2006 das Frankoprovenzalische) bei den Winterspielen 2006 in Turin. Daher hegen die Ladiner keine großen Hoffnungen, zumal der Organisator der Spiele, die Stiftung „Milano Cortina 2026“, nicht für seine Transparenz und Kooperationsbereitschaft bekannt ist.

„Die Einheimischen haben nichts von den Spielen“, sagt Elsa Zardini resigniert. „Wenn ein Ampezzaner sein Haus um ein paar Quadratmeter erweitern will, muss er endlose Formalitäten bewältigen. Bei Olympia geht alles ohne Probleme, auch riesige Baumaßnahmen werden durchgewinkt“, weiß die Präsidentin des Ladinerverbandes Union de i Ladis d’Anpezo. „Mittlerweile sind die Olympischen Spiele kein Ereignis mehr für Sportler, sondern ein Ereignis für Spekulanten, für diejenigen, die nur Geld verdienen wollen, für Politiker, nicht mehr für die Menschen vor Ort. Das ist meine Meinung, aber auch die vieler Menschen in Cortina“, sagt Zardini.

Die Ladiner sind nicht mehr Herr im eigenen Haus, denn schon die Olympischen Winterspiele 1956, durch die Ampezzo in der ganzen Welt bekannt wurde, hatten zu einem massenhaften Zuzug von reichen Leuten aus Venedig und Mailand geführt, die in der zauberhaften Ampezzaner Berglandschaft eine Zweitwohnung haben wollten. Die Folge bis heute: Die Einheimischen werden verdrängt; die jungen Leute müssen in benachbarte Gebiete abwandern, gehen dadurch der Gemeinschaft verloren und verlieren langfristig die Sprache. In Cortina d’Ampezzo sind heute vielleicht noch ein Viertel der Einwohner Ladiner, und es werden immer weniger.

Daten zu diesen Auswirkungen des Tourismus‘ auf die Ladiner und ihre Sprache hat Paul Videsott erhoben, der wissenschaftliche Leiter des Südtiroler Volksgruppeninstituts) und Professor an der Ladinischen Abteilung der Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Freien Universität Bozen in Brixen.

So stieg die Zahl der touristischen Übernachtungen von 1991 bis 2021 überall in den ladinischen Tälern mit großteils zweistelligen Raten an, der Anteil der Ladinischsprachigen ging im selben Zeitraum in den ladinischen Gemeinden aber überall zurück, von moderaten Zahlen um zwei Prozent bis hinauf zu 35 Prozent.

Der Anteil der Zweitwohnungen an der Gesamtzahl der Wohnungen betrug im Jahr 2018 in Cortina d’Ampezzo/Anpezo über 60 Prozent. Auch in den anderen ladinischen Tälern gibt es begehrte Urlaubsdestinationen, in denen der Anteil der Zweitwohnungen über einem Viertel liegt oder gar schon die Zahl der Erstwohnungen überschritten hat.

Zuviel Tourismus schadet

Aber wo große Nachfrage herrscht, steigen die Preise: So belaufen sich die durchschnittliche Quadratmeterpreise für neuen Wohnraum auf bis zu 12.500 Euro in Ampezzo und auf bis zu 12.000 Euro in Sëlva/Wolkenstein in Gröden. Das ist ein Vielfaches von den Preisen, die in anderen Gemeinden der Provinzen Südtirol, Trentino und Belluno im Schnitt zu zahlen sind. Videsotts Schlussfolgerung: Der Tourismus kann Minderheiten nützen, aber zu viel Tourismus schadet ihnen. Zudem ist in Ladinien nur eine sehr spärliche Verwendung der Minderheitensprache zu bemerken, ob nun in der Werbung – sogar in der eigenen Tourismuswerbung – oder auf institutionellen Plattformen wie dem Unesco-Welterbe Dolomiten.

Das Phänomen ist weit verbreitet. „In der Bretagne sind in manchen Gegenden bis zu 80 Prozent der Wohnungen Zweitwohnungen“, schildert der Bretone Louis Albert-Becker bei der FUEN-Veranstaltung im Gadertal; „die Leute verkaufen ihre Häuser am Mittelmeer und ziehen in den Norden, weil es im Süden zu heiß wird.“ Die Folge: Die bretonische Sprache hat in den letzten sechs Jahren die Hälfte ihrer Sprecher verloren, die Fördermittel werden gekürzt, Medien schließen und Schulen sind in der Gefahr, aufgelassen zu werden.

 

>>> Fortsetzung folgt …

Infobox

Ganz Ladinien gehörte bis 1918 zu Tirol. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Süden Tirols – inklusive Ladinien – von Österreich abgetrennt und Italien zugeschlagen. Wenig später kam Mussolini an die Macht. Unter dem faschistischen Regime wurde die ladinische Sprache zum Dialekt des Italienischen erklärt und die fünf ladinischen Täler wurden auf drei neu geschaffene Provinzen in zwei Regionen aufgeteilt. Diese Spaltung besteht bis heute und hatte große Auswirkungen: Die in Südtirol gelegenen Täler Gröden und Gadertal genießen wie das Fassatal im Trentino Schutz für die ladinische Minderheit, aber Buchenstein (Fodom) und das oft „Perle der Dolomiten“ genannte Cortina haben keinen.

 

Siehe auch:
Die Ladiner, Minderheit auf dem Rückzug

 

Autor Hatto Schmidt (er stellte seinen Artikel freundlicherweise zur Verfügung), war Journalist der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“, schreibt für den Blog der  Vereinigung der Minderheitenzeitungen Midas. Dieser europäische Medien-Verbund wurde 2001 auf Initiative von Chefredakteuren aus 12 europäischen Sprachgemeinschaften gegründet. Die Minderheiten-Zeitungen tauschen unter der „Schirmherrschaft“ der Europäischen Akademie in Bozen Informationen aus und arbeiten in den Bereichen Druck und Marketing zusammen.

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