24-01-2022
3:0 für die Minderheiten gegen die Europäische Kommission: Gerichtshof urteilte zum dritten Mal für die Bürgerinitiative MSPI. Frustration über Behinderung des europäischen Bürgerwillens wächst
(c) www.fuen.org
Von Jan Diedrichsen
Der aus Flensburg stammende Abgeordnete im Europaparlament, Rasmus Andresen (Grüne), setzt sich dafür ein, dass sich die Europäische Union (EU) endlich eines Themas annimmt, das sie bislang meidet und weit von sich weist: Den Schutz und die Förderung der Minderheiten Europas.
Rasmus Andresen hat in Brüssel schnell Karriere gemacht. 2019 aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag ins Parlament nach Straßburg/Brüssel gewechselt, wurde er im Dezember des vergangenen Jahres zum Sprecher der deutschen Gruppe in der Fraktion „Die Grünen / EFA“ gewählt, als Nachfolger von Sven Giegold.
Als Vollmitglied des Haushaltsausschusses und des Wirtschafts- und Währungsausschusses täte die Europäische Kommission eigentlich gut daran, einen so zentralen Akteur nicht gänzlich zu ignorieren. In Sachen Minderheitenschutz ist die EU-Kommission jedoch hartleibig. Rasmus Andresen setzt sich zusammen mit den Minderheiten und zahlreichen anderen Politikern auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene für die Umsetzung der Europäischen Bürgerinitiative MSPI ein. Die Initiative schaffte es, mehr als eine Million Unterschriften für mehr Minderheitenschutz zu sammeln und unterbreitete konkrete Vorschläge, wie dies umzusetzen sei. Die Reaktion der Kommission: Ablehnung und jegliche Zugeständnisse müssen über Gerichtsverfahren in Luxemburg teuer (!) erkämpft werden.
Andresen war an der mit deutlicher Mehrheit angenommenen Resolution des Europäischen Parlaments für die MSPI-Vorschläge beteiligt. Und auch die neue Bundesregierung schrieb die MSPI in den Koalitionsvertrag. Doch Ursula von der Leyen und ihre Kommission sind nicht zu erweichen.
VOICES berichtet
In der vergangenen Woche freute sich Rasmus Andresen gemeinsam mit den Minderheiten über ein neuerliches Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) in Luxemburg. Die Richter verwarfen die Klagen Rumäniens, das gegen die Rechtsmäßigkeit der MSPI-Bürgerinitiative Klage eingereicht hatte.
Rasmus Andresen sieht das als weitere Bestätigung: „Jetzt wurde erneut bestätigt, dass die EU aktive Minderheitenpolitik betreiben kann und somit das Wahren unserer Grundwerte der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in ihrer Zuständigkeit und entsprechend auch in ihrer Verantwortung liegt“, so der Politiker gegenüber „Flensborg Avis“, der Tageszeitung der dänischen Minderheit in Deutschland.
„Aus Minderheitensicht ist das EuGH-Urteil zunächst einmal ein politischer Erfolg, denn ein weiterer Versuch, die MSPI zu destabilisieren, ist damit endgültig gescheitert“, sagt der Jurist Thomas Hieber, der die Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) berät, dem „Nordschleswiger, dem deutschsprachigen Medienhaus in Dänemark. „Das Urteil des EuGH war insoweit das letzte Wort in dieser Sache“, so Hieber. Die FUEN ist der Dachverband der autochthonen Minderheiten Europas und unterstützt die Bürgerinitiative seit ihren Anfängen.
Es ist ein Skandal, dass die Minderheiten Europas sich immer wieder gezwungen sehen, die Europäische Kommission vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu zitieren. Die EU-Kommission weigert sich trotz der deutlichen Richtungsentscheide des EUGHs in der Minderheitenpolitik eine aktive Rolle einzunehmen. Scheinbar getrieben von Staaten wie Rumänien, Slowenien und Spanien will man das Thema der Minderheiten in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedsstaaten belassen. Dabei ist das Thema der Minderheiten, der Sprachgruppen und regionalen Identitäten so europäisch, wie kaum ein anderes.
Doch was nun? Die Kommission hat in vollendeter Machtarroganz bislang noch jedes Urteil des EUGHs ausgesessen. Es bleibt weiterhin wohl nur der Weg über die Gerichte. Die Minderheiten müssen die Kommission in Luxemburg mit einem vierten Grundsatzurteil zum Handeln zwingen. Aber das kann durchaus mehrere Jahre dauern. Es ist frustrierend und für die Europäische Union beschämend.
Die Veteranen des Minderheitenschutzes im Rahmen der EU werden sich erinnern, dass es der Völkerrechtler Gabriel Toggenburg aus Südtirol / Wien war, der 2010 in Eisenstadt bei einem FUEN-Kongress bei den Burgenland-Kroaten die Idee einer Bürgerinitiative erstmals in die Diskussion warf. 12 Jahre später ist ihm der Optimismus nicht abhanden gekommen, wie er in einem lesenswerten Interview mit dem Südtiroler Onlinemagazin Barfuss deutlich macht, welches wir hier mit Blick auf den jahrzehntelangen Streit der Minderheit mit den Europäischen Institutionen abschließend zitieren:
Bist Du nicht zu EU-optimistisch? Der Misserfolg der Europäischen Bürgerinitiative „Minority Safepack“ spricht doch Bände.
Moment. Beim Safepack geht es ja darum aufzuzeigen, was die EU tun kann, um Minderheiten in ihren Politiken proaktiv mitzudenken. Dieses Potential gibt es tatsächlich. Ich hatte der FUEN (Föderalistische Union Europäischer Nationalitäten, Anm.d.Red.) im Mai 2010 in einem Vortrag in Ljubljana vorgeschlagen, das damals brandneue Instrument der Europäischen Bürgerinitiative zu nutzen, um den Forderungen, welche die EURAC mit ihrem „Paket für Europa“ gemacht hatte, neuen Schwung zu geben. Freilich hat sich dieser Prozess dann als juristischer Spießrutenlauf erwiesen. Die Minderheitenphobiker aller Herren Länder ließen keine Gelegenheit ungenützt, um dem Projekt ein Holz vor die Füße zu werfen. Aber letztlich wurde es doch ein beachtlicher Erfolg: Fast 90 Europäische Bürgerinitiativen wurden bisher bei der EU-Kommission eingebracht. Nur sechs waren bislang erfolgreich. Und eine davon ist das Minority Safepack, das über eine Million Menschen unterschrieben haben! Selten hatten Minderheiten und ihre Anliegen so viel Europäische Öffentlichkeit erfahren.
Aber dann ist nichts passiert. Die Organisatoren sind arg enttäuscht, die EU-Kommission hat nicht auf die Vorschläge reagiert.
Das Timing war schlecht. Und ja, wenn es um traditionellen Minderheitenschutz und regionale Autonomien geht, dann benehmen sich die EU-Institutionen – mit Ausnahme des Europäischen Parlaments – so, als würde man ihnen brüllheiße Kartoffeln zuwerfen, die sie lieber dort belassen, wo sie herkommen. Doch solche politische und juristische Heranführungsprozesse brauchen Jahrzehnte. Auch das Autonomiestatut wurde nicht in sieben Tagen gebaut. So würde ich meinen, dass die plötzliche Beseitigung der Südtirol-Autonomie noch vor wenigen Jahren ein rein völkerrechtliches Problem gewesen wäre. Würde so etwas morgen passieren, so wäre es auch europarechtsrelevant.
UNTERSTÜTZUNG
Die Bürgerinitiative wurde unter anderem vom Europäischen Parlament, dem Deutschen Bundestag, der zweiten Parlamentskammer der Niederlande, dem Ungarischen Parlament, der Landtage von Schleswig-Holstein, Sachsen und Brandenburg, dem Landtag der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol und dem Westfriesischen Landtag mit Unterstützungsanträgen flankiert.
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