27-12-2023
Zur Verleihung der Nuclear-Free Future Awards 2023 in New York City
Uran: Der Stoff der Abschreckung wird nicht ausgesprochen.
Nuclear-Free Future Award co-founder, Claus Biegert, congratulates 2023 laureate, Benetick Kabua Maddison (USA/Marshall Islands.) Copyright Adam Stoltman, 2023 - All Rights Reserved. Claus and Benetick.jpg
Von Claus Biegert
Gestern war ich im Theater. Ein szenische Lesung von Daniil Charms. Russischer Dadaist aus St. Petersburg, 1942 im Gefängnis verhungert. Es tut mitunter gut, Absurdes zu hören, Absurdes zu sehen. Es nimmt im Kopf seinen eigenen Weg. Man nimmt es als Proviant mit, wenn man nach dem Theater zurück geht in das normale Leben.
Was heißt zurück ins normale Leben? Nix Dada, no absurdities. Aber was bietet mir die Wirklichkeit? Unser Ex-Außenminister, der Alt-Grüne Joschka Fischer ruft nach Atomwaffen für die EU. Ist das die Welt außerhalb des Theaters? Ja, der Ruf nach der Bombe ist so real wie das Plastik im Meer und das Nano-Plastik, das die Blutschranke unserer Gehirne überwindet. Vielleicht ist das die Rache der Erde: die Menschenwesen werden alle unberechenbare, absurde Wesen, die nach der Bombe rufen. Unser Verteidigungsminister Boris Pistorius wünscht sich, dass die Deutschen „wieder kriegstüchtig werden“. Er fordert einen „Mentalitätswechsel“. Krieg ist wieder ein Mittel der Politik.
Wo bin ich? Wo sind wir?
Wir dürfen Israels Regierung nicht an ihren Kriegsverbrechen an den Palästinensern hindern, da der von uns in der jüngsten Vergangenheit an den Juden verübte Völkermord in alle Zukunft uneingeschränkte Solidarität mit Israel verlangt.
Zu wem gehöre ich? Wer sind wir?
Ich bin erleichtert, als ich in der Post einen Aufruf des Arztes Till Bastian finde. Bastian war 1985 im Vorstand der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), als jene den Friedensnobelpreis erhielten. Er hat an unseren wehrhaften Minister geschrieben: „Wir wollen nicht kriegstauglich und nicht kriegstüchtig werden!“
Ich will eigentlich etwas anderes berichten, aber es fällt mir in diesen Tagen schwer, nicht an die Kinder von Gaza oder von Darfur zu denken, die nie ein Leben leben dürfen.
Ich will aus New York berichten. Ende November tagten dort an der UNO – zum zweiten Mal – die 122 Staaten, die für den Atomwaffen-Verbotsvertraggestimmt haben; 68 haben ihn inzwischen ratifiziert. Seit 2017 liegt dieser Vertrag in der UNO auf, seit 22. Januar 2021 ist er in Kraft. Deutschland unterschreibt ihn nicht. Wir haben US-amerikanische Atomraketen auf unserem Boden; wir dürfen nicht unterschreiben. Unsere Souveränität hat ihre Grenzen.
Im Kontext dieser Versammlung geschah die Verleihung der Nuclear-Free Future Awards 2023 in der Blue Gallery, einen kurzen Fußweg von der UNO entfernt. Dazu ein kurzer Blick zurück: 1998 wurde der Nuclear-Free Future Award erstmals in Österreich verliehen. Aus zweierlei Gründen:1992 war Salzburg der Ort des World Uranium Hearing gewesen, aus dem der Nuclear-Free Future Award hervorgegangen ist. Und: 1998 wollte Salzburg den Auftakt für ein Atomkraft-freies Europa geben und alle nicht-nuklearen Städte einladen; die Preisverleihung sollte die Krönung sein. Wie man sich irren kann: Lediglich drei Mitglieder des Stadtrats von Manchester waren in Salzburg erschienen. Seitdem ist der Award um die Welt gewandert. Es gab Preisverleihungen in Irland, Indien, Russland, USA, Südafrika, Norwegen, Deutschland, Schweiz.
Meist stand im Mittelpunkt der Awards der Uranabbau, denn er zerstört Lebensraum und Menschenleben, über Generationen hinaus. Eine schonende Gewinnung von Uran gibt es nicht. Doch während wir bei Windkraft vom Wind sprechen, bei Solar von der Sonne, bei der Wasserkraft vom Wasser, bei Kohle von Kohle, erleben wir beim Uran eine Zensur, die wir offenbar schon alle verinnerlicht haben. Kernkraft lautet die verharmlosende Verkleidung. „Uranium – is it a country?“ heißt ein Film von Kerstin Schnatz, Stephanie Auth und Isabel Huber. Passanten an einer Busstation in Australien werden nach ihrer Meinung zu Uran befragt. Statt einer Antwort fragen sie zurück:“Uranium – is it a country?“ Auch der Atomwaffen-Verbotsvertrag erwähnt Uran nicht. Uran gibt es nicht.
Diesmal galt der Award den Bomben, die die Atommächte USA, Sowjetunion, England und Frankreich nach dem 2. Weltkrieg auf dem Land indigener Völker zur Explosion gebracht haben. Die Jury mußte sich beschränken, für alle Erdteile reichten die drei Ehrungen nicht. Folgende Persönlichkeiten wurden ausgezeichnet: Tina Cordova (USA), Benetick Kabua Maddison (Marshall-Inseln) und Hinamoeura Morgant-Cross (Französisch-Polynesien); alle drei setzen sich dafür ein, die Notlage der Opfer publik zu machen.
Tina Cordova gründete vor 18 Jahren eine Interessenvertretung der Opfer der Oppenheimer-Bombe am 16. Juli 1945. Den Trinity Downwinders blieb die Anerkennung als Strahlenopfer bis heute versagt, und sie dadurch vom Radiation Exposure Compensation Act ausgeschlossen. Vielleicht hat Hollywood aus diesem Grund dafür gesorgt, dass der Kino-Hit „Oppenheimer“ die Auswirkungen der ersten Atombombe verschwieg. Im Film galt das Land der Apachen als menschenleer, im Umkreis von 50 Kilometern lebten 14.000 Menschen. Ein erster Erfolg von Tinas Initiative zeigte sich im Sommer 2023 , als der US-Senat einen diesbezüglichen Änderungsantrag verabschiedete. Jetzt arbeiten Tina und ihre Organisation, das Tularosa Basin Downwinders Consortium, zusammen mit anderen Verbündeten daran, dass das Gesetz auch vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet wird.
Benetick Kabua Maddison ist ein junger Aktivist aus den Marshall-Islands, der heute im US-Staat Arkansas wohnt und Aufklärung über die 67 US-Atomtests betreibt, die zwischen 1946 und 1958 auf den Marshallinseln durchgeführt wurden und die bis heute verheerende gesundheitliche, ökologische und kulturelle Folgen haben. Als Geschäftsführer der „Marshallese Educational Initiative“ mit Sitz in Springdale, Arkansas und als Berater der NGO „Reverse the Trend“ ist Benetick unermüdlich bei der UN vorstellig, um eine gerechte Entschädigung für die Strahlenopfer zu erwirken.
Hinamoeura Morgant-Cross ist eine Französisch-Polynesierin, deren Leukämie – ein Erbe der 193 französischen Atomtests im Südpazifik – sie motiviert hat, sich für die Opfer einzusetzen und die französische Regierung zur Verantwortung zu zwingen, um medizinische und finanzielle Unterstützung zu leisten. Als gewählte Abgeordnete führte Hinamoeura im September 2023 erfolgreich eine Abstimmung in der Versammlung von Französisch-Polynesien (einem Departement Frankreichs) durch, um die Unterstützung des Vertrags über das Verbot von Kernwaffen Atomwaffen zu unterstützen.
Zusätzlich zu den drei Aktivistenpreisen, die mit einem Geldpreis in Höhe von 5.000 Dollar verbunden sind, wurde Daniel Ellsberg posthum mit einem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Ellsberg ist vor allem dafür bekannt, dass er mit den Pentagon Papers die Entscheidungsfindung der US-Regierung im Vietnamkrieg öffentlich machte, denn lange bevor die Niederlage der USA offenbar war, wurde der Öffentlichkeit ein Bild des notwendigen Durchhaltens präsentiert. Er war der Senior der Whistleblower. Als Berater des Präsidenten hatte er auch Einblick in Washingtons Nuklear-Politik und enthüllte die unmenschlichen Pläne des US-Atomwaffenkomplexes der 60er Jahre, zuletzt in seiner, Aufsehen erregenden Dokumentation „The Doomsday Machine. Confessions of a Nuclear War Planner“ (Bloomsbury 2017). Von den späten 1970er Jahren bis zu seinem Tod Anfang dieses Jahres hat Daniel Ellsberg sein Leben dem Frieden und einer Welt ohne Atomwaffen gewidmet. Sein Sohn Robert nahm den Preis entgegen.
Von Anbeginn wurde der Award von Musik getragen, lokale und internationale Künstler gaben seit 1998 den Preisträgern ihre Ehre: Von Pete Seeger bis Liam O’Maonlai, von Buffy Sainte-Marie bis Marie Boine, von Arlo Guthrie bis Mitch Walking Elk, von Patty Smith bis Peter Gordon. Letzterer, seit der Zeremonie in Los Alamos 1999 dem Award verbunden, gab dem Abend zusammen mit seinem Sohn Max (Saxophon, Piano, Jagdhorn) und dem A capella-Quartett MARK Harmony einen Geist der Hoffnung. „Hope for a Better Tomorrow“ hieß auch die Ausstellung junger Künstler aus Mikronesien, die gleichzeitig zur Preisverleihung in der Blue Gallery präsentiert wurde. Amy Goodman holte tags drauf zwei der NFFA-Preisträger in ihre tägliche Sendung „DemocracyNow!“. Hier sind Hinamoeura Morgant-Cross und Benetick Kabua Maddison ausführlich zu hören: https://www.democracynow.org/2023/12/15/meet_survivors_of_nuclear_testing_calling
Mehr über den Nuclear-Free Future Award: nuclearfreefutureaward.org
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