12-07-2025
USA-Minnesota-Wien: Über den „indigenen“ Aktivisten Robert Treuer
Der in Wien geborene jüdische Sozialdemokrat wurde zum “organizer” der Anishinabe

Die Flucht vor den Nazis führte den jüdischen Sozialdemokraten Robert Treuer zu den Anishinaabe im Norden Minnesotas. Foto: antontreuer.com
Von Wolfgang Mayr
Der Sozial- und Kulturanthropologe Thomas Schmidinger “entdeckte” den aus Wien-Sievering stammenden Robert Treuer. Schmidinger, derzeit Professor an der kurdischen Universität in Erbil im autonomen Kurdistan in Irak, ist Fachmann für Kurdistan, für die palästinensischen “Autonomiegebiete”, für Migration und für die österreichische Nazi-Vergangenheit.
Bei einem Studienaufenthalt in Minnesota lernte Schmidinger Robert Treuer kennen, seine Geschichte über den österreichischen Bürgerkrieg 1934, den entgrenzten eliminatorischen Wiener Antisemitismus nach dem “Anschluss” Österreichs an Nazi-Deutschland, Verfolgungen, Deportationen in die KZ, die gelungene Flucht der Treuers über Umwege in die USA. In die Wälder von Bemidji, im Norden Minnesotas, in der Nähe der Anishinabe-Reservate.
Eine ergreifende, eine sehr österreichische Geschichte, daraus wurde das Buch “und ich lernte kämpfen”. Schmiedinger schrieb ein nachhaltiges Nachwort über Treuer. Das vor zehn Jahren erschiene Buch wurde neu aufgelegt.
Die Treuers
Die Treuers sind nicht nur in der indianischen Szene bekannt. Die zwei Söhne Anton und David Treuer setzen sich intensiv mit dem kulturell-sprachlichen Erbe der Anishinabe auseinander. Anton Treuer ist Professor für die Anishinabe-Sprache an der Bemidji State University. Er ist Verfasser mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten und Autor des Oshkaabewis Native Journal, der einzigen wissenschaftlichen Zeitschrift in Anishinabe.
Anton Treuer beschäftigte sich intensiv mit Bagone-giizhig, einem Anishinabe-“Politiker” des 19. Jahrhunderts. Treuers Arbeit “könnte beispielgebend für eine eigene indigene Geschichtsschreibung werden”, ist Schmidinger überzeugt. Treuer verarbeitete US-Dokumente aus der Zeit der Eroberung von Wisconsin und Minnesota und vernetzte das Wissen der Eroberer mit mündlich überlieferten Erzählungen der Opfer des Kolonialismus.
Sein Bruder David lehrt Englisch und Literatur an der University of Minnesota. Als Literat ist David Treuer für den Erhalt von Sprache und Kultur der Anishinabe aktiv. Im Buch “The Heartbeat of Wounded Knee” arbeitete David Treuer die Geschichte des indianischen Widerstandes auf.
Anton und David erhielten ihr Rüstzeug von Vater Robert Treuer. Robert Treuer blieb im US-amerikanischen Exil der Sozialdemokratie treu, kontaktierte sozialistische Quäker, arbeitete mit ihnen für Flüchtlinge aus Europa, engagierte sich als Gewerkschafter in Ohio. Nach einem langen Streik besuchte er den Nachbarstaat von Wisconsin, Minnesota und fand seine neue Heimat in der Nähe der Kleinstadt Bemidji.
Vom jüdischen Sozialdemokraten zum Anishinabe
Bei seinem Besuch auf Treuers Farm in den Wäldern um Bemidji fiel Schmidinger die Mesusa im Türrahmen auf, eine jüdische Schriftkapsel. Teuer ist ein diverser “Planet”, Sozialdemokrat, Gewerkschafter, Anishinabe, Österreicher, Sieveringer, US-Bürger, Jude, Lehrer, Schriftsteller und Farmer.
Auf seiner Farm pflanzte Treuer mehr als eine halbe Million Bäume, das Land taugte nicht als Ackerland, war Lehrer in der Cass Lake High School im angrenzenden Reservat. Treuer erntete den in den vielen Seen wachsenden wilden Reis, das traditionelle Grundnahrungsmittel.
Robert Treuer lernte seine indigenen Nachbarn kennen, aber auch die Ungerechtigkeiten, unter denen die Anishinabe litten. Verursacher waren Polizei, Justiz und das Bureau of Indian Affairs (BIA). Der Sozialdemokrat erschrak über die extreme Armut und die politische Entmündigung in den Reservaten, über die drückenden sozialen und familiären Probleme. Es dauerte nicht allzulange, dann brachte sich Robert Treuer in die Reservats-Politik ein.
Treuer und das BIA
Nachdem ein Freund Treuers zum Commissioner of Indian Affairs ernannt wurde, schlug er im Gratulationsschreiben einige Vorschlägen zur Verbesserung der Situation auf den Reservaten vor. Der neuer Commissioner engagierte Treuer für das BIA.
Sein Amt nutzte Treuer für die Förderung der Emanzipation. Er half den Anishinabe, sich selbst zu organisieren, für ihre Rechte und gegen die Bevormundung durch das BIA. Ein ungewohnter und unbequemer BIA-Mitarbeiter. Er schaffte es, daß ein rassistischer Richter und eine Polizeiführung, die für Übergriffe auf Anishinabe verantwortlich war, abberufen wurden. Treuer erwarb sich den Ruf eines „Organizers“ für die Anishinabe.
Sein Engagement nervte das BIA und Treuer wurde entlassen. Inzwischen war er durch die Heirat mit Margaret, einer Anishinabe aus der Leech Lake Reservation, Teil dieser indigenen Nation geworden. Er wurde dann auch noch adoptiert.
Robert Treuer fand bei den Anishinabe eine neue Heimat, eine neue Familie. Seine Herkunftsfamilie, die Treuers, und seine alte Heimat – Wien, Sievering, Ausseerland – haben die Nazis zerstört. Die Erinnerung daran pflegte Robert Treuer bis zu seinem Tod, mit einem Edelweiß. David Treuer brachte nach einem Besuch in Wien das Edelweiß mit.
“Seitdem pflanzt Robert Treuer vor seinem Haus diese Blume und trocknet jeden Herbst die Blüten in einem großen schweren Lexikon, das er ganz in der Nähe seiner Bilder vom Karl Marx Hof (ein Arbeiter-Wohnviertel in Wien) und von den Bergen des Ausseerlandes aufbewahrt,” schreibt Thomas Schmidinger in seinem Nachwort zum Robert Treuer-Buch “Und ich lernte kämpfen”.
Siehe auch:
– Und ich lernte zu kämpfen! – NU
– Und ich lernte zu kämpfen! – haGalil
– Mandelbaum Verlag Thomas Schmidinger
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