„Syrien nach Assad: Zwischen Freude und Angst“

Jan Diedrichsen schreibt in seiner Kolumne, über die Freude über das Ende eines Schlächters und die Angst der Minderheiten vor dem, was kommt.

Mai 2023 - Treffen zweier Diktatoren: der eine ist tot - der andere auf Putins Gnaden in Moskau Von Fars Media Corporation, CC BY 4.0,

Der Sturz von Baschar al-Assad markiert einen historischen Moment für Syrien und den Nahen Osten. Die Freude über das Ende eines Regimes, das unvorstellbare Gräueltaten begangen hat, ist spürbar und verständlich. Wer die Bilder aus den berüchtigten Foltergefängnissen des Assad-Regimes gesehen hat, kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen bald vor Gericht gestellt werden, am besten gemeinsam mit ihren Paten aus Moskau und Teheran.

Doch die Herausforderungen sind groß. Die Bilder jubelnder Menschen auf den Straßen sind ein Hoffnungsschimmer, aber nur ein erster Schritt. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob die neuen Machthaber in der Lage sind, ein vom Krieg zerrissenes Land wieder aufzubauen – ein Land, in dem alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben, ihren Platz finden können.

Denn das Land bleibt tief gespalten und die Frage nach der Zukunft drängt sich auf. Welche Kraft wird das Vakuum füllen, das Assad hinterlässt? Die islamistische Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hat, spricht von Stabilität und einem „neuen Syrien“. Doch viele trauen diesen Worten nicht. Zu tief sitzt die Erinnerung an die Verbindungen zur Nusra-Front, zu groß ist die Sorge, dass die alten Machtstrukturen durch neue Formen der Unterdrückung ersetzt werden könnten.

Syrien ist ein Land mit großer ethnischer und religiöser Vielfalt. Diese Vielfalt war über Jahrhunderte eine Stärke, wurde aber unter Assad systematisch zur Machtsicherung instrumentalisiert. Die alawitische Minderheit, die Assad unterstützte, war privilegiert und profitierte von seiner Herrschaft. Nun ist sie massiven Repressalien ausgesetzt. Viele Alawitinnen und Alawiten sind aus Angst vor Racheakten in ihre traditionellen Siedlungsgebiete an der Küste geflohen, doch auch dort ist ihre Sicherheit ungewiss.

Die Christinnen und Christen, einst ein wichtiger Teil der syrischen Gesellschaft, haben in den vergangenen Jahren stark gelitten. Ihre Gemeinden wurden durch Angriffe islamistischer Milizen und die allgemeine Gewalt des Krieges dezimiert. Hunderttausende Christen haben das Land verlassen und die wenigen, die geblieben sind, blicken mit großer Unsicherheit in die Zukunft. Vor allem in den ländlichen Regionen ist ihre Lage prekär, da sie von den neuen Machthabern oft keine Schutzgarantien erhalten.

Besonders schwierig ist die Situation der Kurdinnen und Kurden, der größten ethnischen Minderheit Syriens. Sie haben während des Krieges im Norden eine weitgehend autonome Region, Rojava, aufgebaut. Ihre Selbstverwaltung gilt vielen als Lichtblick in einer dunklen Region. Der Kampf gegen Daesh („Islamischer Staat“) wurde nur dank der mutigen kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer gewonnen. Doch diese Errungenschaft droht nun verloren zu gehen. Die neue Führung in Damaskus zeigt wenig Interesse an kurdischer Autonomie und Erdogan in der Türkei macht keinen Hehl daraus, dass er alle kurdischen Strukturen buchstäblich in die Luft sprengen will.

Auch kleinere Minderheiten wie Drusen, Armenier, Yeziden und Assyrer sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Diese Gemeinschaften, die seit Jahrhunderten in Syrien ansässig sind, haben schwere Verluste erlitten. Viele ihrer Mitglieder wurden durch den Krieg vertrieben oder mussten in unsicheren Regionen ausharren. Ihre kulturellen und religiösen Stätten sind vielerorts zerstört, ihre sozialen Strukturen zersplittert. Die neuen Machthaber versprechen Schutz, doch ob diese Versprechen eingehalten werden, bleibt fraglich. Die Islamisten, die jetzt an der Macht sind, hatten noch nie etwas übrig für Minderheiten, für Frauenrechte, für Toleranz überhaupt. Ganz im Gegenteil.

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