30-06-2025
Südtirol-Ladinien: Ist ein Höchstmaß an Schutz und Förderung erreicht?
1951 wurden die Ladiner mit einem staatlichen Dekret als Minderheiten anerkannt

Karte der Verbreitung der ladinischen Sprache. Alle Namen sind in Ladinisch angegeben. CC BY-SA 3.0
Von Wolfgang Mayr
Heute (30. Juni 2025) vor 74 Jahren erkannte die italienische Republik die Ladiner als eigenständige Minderheit an. Ihre Region blieb aber dreigeteilt, wie einst vom faschistischen Regime verfügt. Gröden und das Gadertal blieben bei Südtirol, das Fassatal beim südlichen benachbarten Trentino und die kleinen Gemeinden um Cortina in der östlichen Nachbarprovinz Belluno in der Region Veneto.
Rechtsstaatlich unakzeptabel ist der unterschiedliche Schutz für die ladinische Minderheit. In Südtirol ein Höchstmaß des Mindestmaßes, im Trentino das Mindestmaß, in Belluno gar kein Maß.
Während die deutsche Sprachgruppe 1946 im österreichisch-italienischen Pariser Vertrag anerkannt wurde, blieb die ladinische Volksgruppe unberücksichtigt. Für italienische Politiker war das Ladinische nur ein italienischer Dialekt. Mit dem Dekret vom 30. Juni 1951 erfolgte die Anerkennung der ladinischen Bevölkerung als eigenständige Minderheit.
Ein Dekret als Meilenstein
Der ladinische Südtiroler Landesrat Daniel Alfreider würdigte den heuten Tag als einen besonderen für alle Ladiner. Die Anerkennung damals war ein Meilenstein und ein historisches Ereignis. Ein entscheidender Schritt, ergänzte Alfreider, dem ein langes Engagement um den Schutz der ladinischen Sprache und Identität vorausging.
Bereits 1948 genehmigte die italienische Regierung das paritätische deutsch-italienische Schulmodell für die ladinischen Täler Gröden und Gadertal in Südtirol. Ladinisch ist anerkannt, spielt aber nur eine pädagogische Nebenrolle. Seit 1975 unterstehen die ladinischen Schulen dem eigenständigen ladinischen Schulamt in Bozen. Die Folge des Zweiten Autonomiestatuts von 1972, laut dem den Bürgern jeder Sprachgruppe Gleichheit der Rechte zuerkannt, die ethnische und kulturelle Eigenart geschützt wird. Fakt aber ist, das belegt der langjährige Generalsekretär der Südtiroler Landesregierung Adolf Aukenthaler in seinem Buch “Entstehung und Entwicklung der Südtirol-Autonomie”, dass der Gebrauch der ladinischen Sprache im Statut nicht geregelt ist.
Eine Durchführungsbestimmung zum Sprachgebrauch erkennt das Ladinische – mit Einschränkungen – als dritte Landessprache an. Im überschaubaren geografischen Raum Ladinien. Und der Artikel 19 des Autonomiestatuts sichert das Ladinische ab, in den Kindergarten und in den Grundschulen.
Mehr mit dem Zweiten Autonomiestatut
Franz Complojer würdigte das Zweite Autonomiestatut, weil es erstmals auch die institutionelle Vertretung der Ladiner in der autonomen Region und in der autonomen Provinz Bozen festschrieb. Complojer beschrieb aber auch die vielen Mängel, die einen vollständigen Schutz und eine nachhaltige Förderung der ladinische Minderheit unterbanden.
Der langjährige Obmann des SVP-Bezirks Bozen-Unterland, Christoph Perathoner, forderte die restlose Beseitigung jeder Diskriminierung aus dem Autonomiestatut und mehr Rechte für die Ladiner. Nachzulesen im Politis-Buch “Mehr Eigenständigkeit wagen”, für eine Generalüberholung der Autonomie.
Es gab immer wieder Nachbesserungen zugunsten der ladinischen Sprachgruppe, ein großer Wurf fehlte aber. Das dauerte dann viele Jahre, bis sich die Südtiroler Volkspartei SVP daran wagte, das Autonomiestatut abzuändern. 2012 präsentierte der damalige Parlamentarier Daniel Alfreider gemeinsam mit seinen SVP-Kollegen sein “Ladinergesetz”. Ein parlamentarischer Kraftakt war dafür notwendig. Es dauerte fünf Jahre, bis das italienische Parlament diesem Gesetz zustimmte. Ein Verfassungsgesetz, mit weitreichenden Folgen.
Endlich ein Ladinergesetz
Es sieht die Gleichstellung der drei anerkannten Sprachgruppen vor, die Möglichkeit einer ladinischen Vertretung in der Sechser- und Zwölfer-Kommission (die zuständigen Autonomie-Ausschüsse bestehend aus Staats-, Regional – und Provinzvertretern), eines ladinischen Staatsrichters oder ladinischen Landeshauptmannstellvertreters. Ebenso werden weitere Schutzbestimmungen, die für die deutsche und italienische Sprachgruppen bereits vorgesehen sind, nun auch auf die ladinische Minderheit ausgeweitet.
Mit diesem Verfassungsgesetz wurde das Zweite Autonomiestatut von 1972 auf parlamentarischem Wege für die Ladiner abgeändert.
Und die anderen Ladiner?
Während in Südtirol, in der autonomen Provinz Bozen, immerhin Mindeststandards des Schutzes erreicht wurden, gelten diese in der Nachbarprovinz Trentino nicht. So stellt die autonome Provinz Trient selbstkritisch fest, dass der Minderheitenschutz dürftiger ist. Auch bezogen auf die ladinische Bevölkerung im Fassatal.
Mit der Verfassungsreform von 2001 wurden auch im Trentino die Ladiner gestärkt, sie erhielten einen eigenen Wahlkreis, gesicherte Finanzen, auch für die zweisprachige ladinisch-italienische Schule.
Ob die Schutzmaßnahmen nicht zu spät kommen? Laut der Volkszählung von 2021 stellen die Ladiner im Fassatal noch knapp die Hälfte der 10.000-köpfigen Bevölkerung. In den ladinischen Gemeinden Südtirols bekennen sich bis zu 90 Prozent der Bürger:innen zur ladinischen Minderheit. Aber, laut dem Blog Brennerbasisdemokratie, sinkt auch der Anteil an Bürgerinnen, die sich der ladinischen Sprachgruppe zugehörig erklärt oder angegliedert haben, von 4,53 Prozent 2011 auf nunmehr 4,41% (-0,12 Punkte / -2,65%).
Simon Constantini schaute sich für seinen Blog die Volkszählungsergebnisse von 2024 genauer an. Sein Fazit: “Außerdem verringerte sich der Anteil der Ladinerinnen ausgerechnet in ihrem Kerngebiet, den ladinischen Tälern, und zwar von 90,85% auf nunmehr 88,27% (-2,58 Punkte). Dabei blieb der Anteil nur in Enneberg stabil, während er in allen anderen mehrheitlich ladinischen Gemeinden — teils sogar deutlich — zurückging.” Leichte Zuwächse verzeichneten in den ladinischen Gemeinden die italienische und deutsche Sprachgruppe.
Werner Stuflesser, lange Chefstatistiker des Landes und ehemaliger Präsident der Europäischen Akademie Eurac in Bozen, ergänzt die angesprochene Entwicklung. In seiner ladinischen Heimatgemeinde Urtijei/St. Ulrich in Gröden, stellte er fest, dass auf den Schulklassen- und höfen fast nur mehr italienisch gesprochen wird. Es ist eine Frage der Zeit, bedauert Stuflesser, bis das Ladinische aus der Öffentlichkeit verschwindet.
In Cortina in der östlichen Nachbarprovinz Belluno ist das schon lange so. Dort gelten keine Schutzbestimmungen wie in Südtirol. Nur das dürftige Minderheitenschutzgesetz und die Empfehlungen aus der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten. Bekanntermaßen zahnlose “Vorgaben”.
Vor 18 Jahren stimmten die Bürger:innen der ladinischen Gemeinden um Cortina für die “Heimkehr” nach Südtirol. Laut italienischer Verfassung vorgesehen, also möglich. Daraus wurde bisher nichts. Italienische Politiker empfinden diesen Wunsch als einen Anschlag auf die Einheit der Republik.
Siehe auch:
– Lia di Comuns Ladins macht Druck
– “Rückkehr” nach Südtirol
– I comuni bellunesi vogliono ancora cambiare regione
– I Ladini delle Dolomiti – Una minoranza in ritirata
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