Südtirol gleichschalten

Die Zeitung Limes wirbt für einen Rückbau der Landesautonomie. Die italienische Fachzeitschrift für Geopolitik verwendet für ihre Forderungen überholt geglaubte Thesen.

Von Wolfgang Mayr

Limes steht für Grenzwall, ist einflussreich und gehört wie La Repubblica, La Stampa oder l´ Espresso zur GEDI-Gruppe. Limes drängt in ihrer ersten Ausgabe 2022 darauf, Südtirol – die Zeitung schreibt konsequent nur von Alto Adige – wieder unter strikter staatlicher Kontrolle zu stellen. Die These: Wegen des staatlichen Rückzugs aus der autonomen Provinz, greift in Südtirol die Pandemie ungehindert um sich. Der Autor des Artikels, Federico Petroni, verweist auf die geringere Durchimpfungsrat in Südtirol im staatlichen Vergleich.

Tatsächlich ist die Szene der sogenannten no vax, der Corona-Leugner und Impfgegner, laut-stark. Die realen Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. Mehr als 400.000 Menschen (73 Prozent) sind vollständig geimpft, 200.000 (38 Prozent) geboostert. Italienweit liegt die Zahl der vollständig Geimpften bei 79 Prozent.

Für Petroni besteht deshalb die Notwendigkeit, dass sich der Zentralstaat wieder Kontrolle über das Land zurückholt. Petroni findet, dass durch Südtirol, also in Alto Adige, ein antizentralistischer Geist galoppiert. Deshalb konnten sich die Impfgegner ein „Getto“ errichten, erleichtert dadurch, weil in Südtirol eine „weiche Segregation“ herrscht. Segregation steht für muttersprachliche Schulen, für die Gleichstellung der Sprachen, für die Mehrnamigkeit in der Ortsnamensgebung, usw. Verfassungsrechte!

Im Interview mit dem Portal salto argumentiert Petroni mit abenteuerlichen Thesen aus der – auch düsteren – italienischen Vergangenheit. Der Brenner, die Wasserscheide, als italienische Staatsgrenze, bemüht 1918, um das besetzte Südtirol annektierten zu können. Eine Argumentation aus den 1920er Jahren, findet Simon Constantini entsetzt auf seinem Brennerbasisblog. Eine These, die auch schon der Geograph und faschistische Senator Ettore Tolomei, Vater der meist erfundenen italienischen Ortsnamen für Südtirol.

Offensichtlich ist diese italienisch-österreichische Grenze für Petroni deshalb strategisch wichtig, für die einst viel Blut vergossen wurde. „Argumente“ aus dem Arsenal italienischer Nationalisten in der Zwischenkriegszeit.

Petroni wartet in seinem Artikel RAPPORTO DALL’ALTO ADIGE, LA FRONTIERA DEBOLE– Bericht aus Alto Adige, die schwache Grenze – mit ausufernden Unterstellungen, Untergriffigkeiten und Vorurteilen auf. Er erklärt Südtirol als Einfallstor für Einflüsse und kulturelle Manipulation aus der germanischen Welt. Petroni meint damit die im deutschen Sprachraum weit verbreitete Impfskepsis und Corona-Leugnung. Bei Kundgebungen gegen die Anti-Covid-Maßnahmen in Bozen demonstrierten einträchtig nebeneinander Südtiroler Rechte und Regierungsgegner aus anderen Teilen Italiens.

Petroni warnte in einem früheren Artikel auf Limes auch vor den österreichischen Pässen für Südtiroler/Innen. Der Pass wird eine Zeit-Bombe, prophezeite er.

Stichwort Einflüsse verhindern. Petroni setzt sich über das Verfassungs-Recht auf freie Meinungsäußerung hinweg, verdrängt offensichtlich erfolgreich, dass Südtirols Autonomie nicht nur ein italienisches Verfassungsgesetz ist, das auf einem internationalen Vertrag ruht, Petroni scheint die EU-Verträge und die darin vorgesehene interregionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht zu kennen

Petroni empfiehlt allen Ernstes der italienischen Regierung Maßnahmen gegen „die Einflüsse und kulturelle Manipulation aus der germanischen Welt.“ Er denkt dabei an die Einrichtung eines Regierungs-Büros für Südtirol-Fragen, wohl ähnlich dem Bureau of Indians Affairs, um Südtirol als Mündel unter die Treuhandverwaltung zu stellen.

Der von der SVP angestrengte Ausbau der Autonomie muss laut Petroni unterbunden werden. Einige der neueren autonomen Befugnisse beschreibt Petroni extremistisch, wie der seit 2013 geplante Übergang einiger Verwaltungsbefugnisse über die Einnahmenagentur. Neun Jahre noch immer nicht umgesetzt, Petroni sieht deshalb die Chance, diese ausgehandelten Befugnisse einzufrieren.

Simon Constantini warnt vor solchen Aussagen: „So skurril und überholt diese Argumente …auch wirken, in der politisch-medialen Echokammer des Staates ist diese faschistoide Denke nach wie vor sehr präsent. In unregelmäßigen Abständen gelangt sie, wie jetzt, als nahezu ungeschminkte Fratze an die Oberfläche, doch im Untergrund wirkt sie immer, wofür sie auch nicht notwendigerweise in der Mehrheit sein muss.“

Es ist nicht nur die Echokammer, die so tönt, um beim Bild von Simon Constantini zu bleiben. Regierungen schmälern immer wieder Minderheiten- und Sprachenrechte, mit dem Segen des Verfassungsgerichts. Auch die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zeichnetevorurteilsbeladenes Bild von Südtirol, ähnlich der Horror-Karikatur von Federico Petroni.

Limes ist nicht irgendeine Zeitung unter vielen. Zum wissenschaftlichen Beirat zählen unter anderen PD-Chef Enrico Letta, Ernesto Galli della Loggia, Furio Colombo, Sergio Romano, Federico Rampini, der ehemalige Finanzminister der Regierung Berlusconi, Giulio Tremonti und der ehemalige Ministerpräsident Romano Prodi. Die Zeitschrift wird auch im Paket mit der linksliberalen Repubblica angeboten (siehe auch: 1/ 2/ 3/ 4/ 5/ 6/ 7/ · 8/).

Auch in Südtirol wird an diesem „Narrativ“ geschrieben, setzt Simon Costantini seine Polemik fort. Er verweist auch auf den touristischen Aufschrei, den bisher gängigen italienischen Begriff Alto Adige für Südtirol mit sudtirolo zu ersetzen. Der Bozner Journalist Marco Angelucci griff dieses Thema für die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ auf. Angelucci beschrieb das Ansinnen als eine „brutta figura“, ähnlich kommentierte es auch die deutschsprachige Südtiroler Wirtschaftszeitung. Die Wochenzeitung FF interviewte Angelucci nach seiner heftigen Kritik an der angestrebten und geplanten Gleichstellung der deutschen Sprache zur Einschreibung von Ärztinnen in die Südtiroler Berufskammer, ein gefährliches Ansinnen, seine warnende Bewertung.

Im FF-Interview sagte Angelucci: „ … wir sind die einzige Region in Europa, die so ein Gesetz macht. Dass man es dann auch noch auf eine solche Art macht, ist ein unglaubliches Eigentor. Du siehst doch, was in Katalonien passiert.“ Auf die FF-Frage, wie er zu diesem Schluss kommt, antwortet Angelucci: „Wenn jemand den Staat herausfordert, dann fällt die Antwort des Staates sehr kräftig aus. Südtirol darf nicht zu viel zocken.“

Haarsträubend, findet Constantini: „Wer hier mit dem Finger auf Katalonien zeigt, um Südtirol zu drohen, ist eindeutig auf dem Holzweg.“ Constantini wirft Angelucci vor, sich gegen die Gleichberechtigung der Sprachen in Südtirol zu wenden. Angelucci pädiert laut Constantini recht ungeschminkt bei autonomen Ansprüchen für eine ordentliche Repression. Ein erklärter linksliberaler Journalist als Fürsprecher für polizeiliche Repression? (siehe auch: 1/ 2/ 3/ 4/ 5/ 6/).

Die Absurdität ist grenzenlos. So loben beispielsweise die Carabinieri auf ihrer Homepage ihre „eigenen’ Südtiroler Athleten“, die Rodler Paul Hildgartner und  Walter Plaickner. Sie holten bei den Winterspielen 1972 Gold. Zwei Athleten, „italianissimi malgrado l’origine dei nomi”, Italiener durch und durch trotz ihrer Namen und Herkunft, finden die Carabinieri. Eine Polizeieinheit des Verteidigungsministeriums, der Verfassung verpflichtet, somit auch dem Schutz der Minderheiten. Italien 2022.

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