Sprachpolitik und Assimilierung: Kolonien des Denkens – Der kenianische Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o und seine Thesen über die sprachliche Eroberung

Die britische Zeitung Guardian veröffentlichte ein Essay des Schriftstellers und Aktivisten Ngũgĩ wa Thiong’o (1938-2025) über die Sprachpolitik der Eroberer. Die schottische Schriftstellerin Aminatta Forna führte in die Thesen von Ngũgĩ wa Thiong’o ein

Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong‘o schrieb konsequent gegen den sprachlichen Kolonialismus an. Foto: Niccolò Caranti - CC BY-SA 3.0

Der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong‘o schrieb konsequent gegen den sprachlichen Kolonialismus an. Foto: Niccolò Caranti - CC BY-SA 3.0

Von Simon Constantini

 

Einige Auszüge aus diesem Essay möchte ich hier wiedergeben und daraus zitieren. Zum Beispiel: “Nehmt uns unsere Sprache und wir werden vergessen, wer wir sind”, schrieb Ngũgĩ wa Thiong’o über die Eroberungssprache.

Thiong’o ist überzeugt, dass die Sprache der Herrschenden die Sprache der Macht ist: “Sprachliche Eroberung ist — anders als die militärische Form — billiger und wirksamer: Der Eroberer muss sich nur darauf konzentrieren, die Köpfe der Eliten einzufangen, die dann die Unterwerfung in der übrigen Bevölkerung verbreiten werden. Die Eliten werden Teil der sprachlichen Armee des Eroberers.”

Ngũgĩ wa Thiong’o verweist auf die englische Sprachdominanz in der irischen Republik, in der nur mehr wenigen Menschen die alte gälische Sprache verwenden: “Eine Variante der irischen Situation, in der sich die Intellektuellen — selbst nach der Unabhängigkeit — in der imperialen Eroberungssprache flüssiger ausdrücken als in den Sprachen ihres eigenen Landes, ist in jeder postkolonialen Situation vorhanden.”

Noch weitere Fälle zitiert Ngũgĩ wa Thiong’o in seinem Essay, die Sami, die Waliser und Schotten: “Das Volk der Samen in Norwegen machte zwischen 1870 und 1970 — sie nennen es das brutale Jahrhundert — eine ähnliche Erfahrung, als versucht wurde, sie zu fließenden Norwegisch-Sprechern zu machen. Gewalt gegen autochthone Sprachen ist ein konstantes Thema bei der Verbreitung von Englisch in Irland sowie in Schottland und Wales. In Wales mussten sich diejenigen, die auf dem Schulgelände Walisisch sprachen, mit einem Schild vor die Klasse stellen, auf dem ´Walisisch nicht´ (Welsh not) geschrieben stand. Gewalt war bei der Schaffung der psychologischen Verbindung zwischen Sprache, Kultur und Denken zentral: Kolonien des Geistes. Man sollte meinen, dass die neuen Nationen nach Befreiung und Unabhängigkeit zumindest dieses ungleiche Machtgefälle beseitigen würden. Doch genau das ist die Macht der Kolonien des Geistes: Die Negativität gegenüber sich selbst wurde als ein Weg der Realitätsbetrachtung verinnerlicht.”

Die so auch sprachlich Eroberten leiden unter einem Trauma, ist Ngũgĩ wa Thiong’o überzeugt: “Das von der ersten Generation der (derart) Konditionierten erlebte Trauma kann als normales Verhalten weitergegeben werden, das keinerlei Erklärung oder Rechtfertigung bedarf; die späteren Generationen verstehen vielleicht noch nicht einmal, warum sie mit den autochthonen Sprachen Schmerz und mit den fremden Sprachen und Kulturen Freude verbinden.”

Diverse Sprachen und Religionen sind keine Gefahr für Staaten, führt Ngũgĩ wa Thiong’o weiter aus: “Im Fall der Sprachen müssen wir die allgemeine Auffassung zurückweisen, dass das Problem eines bestimmten Landes oder gar der Welt die Existenz zahlreicher Sprachen und Kulturen und sogar Religionen sei. Das Problem ist ihr Verhältnis im Sinne einer Hierarchie. Meine Sprache steht in der Hierarchie über deiner. Meine Kultur steht höher als deine.”

Sprechen ist ein Bedarf, sprechen in der eigenen Sprache: “Selbst wenn eine der Sprachen zur Kommunikationssprache über viele (andere) Sprachen hinweg wird, sollte das nicht auf der Grundlage ihrer angenommenen inhärenten Nationalität oder Globalität geschehen, sondern aufgrund von Bedarf und Notwendigkeit. Selbst dann darf (die Kommunikationssprache) nicht auf dem Grab anderer Sprachen wachsen.”

Die eigene Sprache ist die Verbindung zur Welt, wirbt Ngũgĩ wa Thiong’o für die Anerkennung der Sprachen: “Ich glaube, dass das Ziel von Bildung ein Wissen ist, das (uns) ermächtigt, das unsere wahre Verbindung zur Welt aufzeigt — aber von unserer Basis ausgehend. Von unserer Basis aus erkunden wir die Welt; aus der Welt bringen wir zurück, was unsere Basis bereichert.”

Ngũgĩ wa Thiong’o ist unter anderem Autor von Dekolonisierung des Denkens (Decolonising the Mind).

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