„Schule des Südens“

Ein böses Buch über den französischen Kolonialismus und das laute Schweigen darüber.

Von Wolfgang Mayr

Der Kulturwissenschaftler Onur Erdur von der Humboldt-Universität in Berlin geht mit dem französischen Kolonialismus hart ins Gericht. In seinem “Schule des Südens – Die kolonialen Wurzeln der französischen Theorie” verbindet er die französische Philosophie mit dem französischen Kolonialismus. 

Viele Philosophen wurden in den ehemaligen Kolonien geboren, diese Herkunft wurde meist verschwiegen, Literatur gibt es kaum. Der 1984 in Diyarbakir, in Türkisch-Kurdistan geborene Erdur arbeitete diesen verschwiegenen Teil der französischen Geschichte auf.

Im Gespräch mit der österreichischen Tageszeitung “Der Standard” führt Erdur den verdrängten französischen Kolonialismus auf das “kollektiven Vergessen in Frankreich” zurück, “das 1962 einsetzte, als Algerien nach einem blutigen Krieg seine Unabhängigkeit erlangte und Frankreich einen Großteil seiner Kolonien abgeben musste”. 

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang schwieg die französische Gesellschaft, sie schwieg “sowohl über die verübten Kolonialverbrechen als auch den dramatischen Verlust der Kolonien, die für Millionen Franzosen – vor allem in Algerien – Heimat bedeutet hatten”. 

Das Schweigen verwundert nicht.  Genauso wenig das Fehlen von Opferzahlen. Französischen Quellen sprechen von 60.000 bis 200.000 Toten. Algerien bezifferte die Opfer des Algerienkrieges auf mehr als 1,5 Millionen Menschen. Millionen sollen innerhalb des Landes zwangsumgesiedelt worden sein.

Es flohen aber auch Menschen, die sich mit der Kolonialmacht arrangiert haben, die sich vor der Rache der algerischen Partisanen fürchteten. Ein nicht unbeträchtlicher
Teil der Algier-Franzosen siedelte sich auf Korsika an, wurden dort zur tragenden Säule des französischen Staates, sie kolonialisierten Korsika.

Ordur findet, seine Thesen zusammengefasst, viele Philosophen wurden vom Kolonialismus geformt und geprägt. Die Intellektuellen scherten sich wenig um die Umgebung, in der sie aufwuchsen, Kulturen, Sprachen und gesellschaftliche Verhältnisse ihrer “Heimat” kommen in ihrem Denken nicht vor.

Trotz seiner drastischen Kritik an den berühmten Philosophen sagt Erdur im Standard-Gespräch, dass ihn Camus überzeugte. Viele der Links-Intellektuellen befürworteten und unterstützten den algerischen Befreiungskampf gegen die französische Kolonialmacht. Der in Algier geborene Camus hielt sich hingegen mit Solidaritätsbekundungen zurück. Überraschend sagt dazu Erdur: “Er sprach sich für ein friedliches Zusammenleben von Franzosen und Algeriern aus, was als liberal verunglimpft wurde. Im Nachhinein gesehen hätte man vielleicht auf ihn hören sollen”.

Siehe auch: Was hat der Kolonialismus mit dem Nationalsozialismus zu tun?

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