16-03-2025
Schneerutsch in Grönland – heftige Ohrfeige für das politische System
Die Wahl am Dienstag hat die politische Landschaft in dem arktischen Land dauerhaft umgekrempelt. Sie bietet auch die Möglichkeit für einen Neuanfang für die grönländisch-dänischen Beziehungen, so die Einschätzung von Walter Turnowsky. Auch für Europa öffnen sich neue Möglichkeiten.

Von Walter Turnowsky
Bislang war die Wahl 2009 in Grönland als die „Schneerutsch-Wahl“ (Sneskredsvalget) bekannt. Damals musste die sozialdemokratische Partei Siumut erstmals seit Einführung der Selbstverwaltung (Hjemmestyret) 1979 die Regierungsmacht abgeben.
In der Nacht zum Mittwoch musste die 2009-Wahl diesen Titel an 2025 abtreten. Das Donnern der Lawine, die in dieser Nacht in der politischen Landschaft niederging, wird noch eine geraume Zeit nachhallen – und das nicht nur in Grönland.
Kritik am politischen System
Die Wahl ist eine gediegene Ohrfeige für die Regierung, bestehend aus der links-grünen Inuit Ataqatigiit (IA) und Siumut. Gemeinsam haben die beiden Regierungsparteien 30 Prozentpunkte verloren. Das ist fast die Hälfte der 66,1 Prozent, die sie vor vier Jahren erzielten.
Das ist nicht nur eine Abwahl der aktuellen Regierung, es ist eine deutliche Abkehr der Wählerinnen und Wähler vom bisherigen politischen System. Es ist eine Abkehr von den Parteien, die das moderne Grönland im Guten wie im Schlechten seit 1979 aufgebaut haben.
Alltagsfragen haben die Wahl entschieden
Die große Gewinnerin ist die liberale Partei Demokraatit, die ihre Stimmzahl verdreifachen konnte. Auch die Selbstständigkeitspartei Naleraq konnte kräftig zulegen und erhielt doppelt so viele Stimmen wie vor vier Jahren. Sie steht für einen schnellen Weg in Richtung eines grönländischen Staates.
Die Frage der Selbstständigkeit war (wie bereits am Freitag im „Nordschleswiger“ vorhergesagt) jedoch nicht entscheidend für die politische Lawine. Es waren die Alltagsprobleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Sie haben in den Debatten wiederholt konkrete Lösungen zu Problemen im Gesundheitsbereich, an Schulen und auf dem Arbeitsmarkt eingefordert.
Demokraatit hat im Wahlkampf ganz konsequent solche Fragen in den Vordergrund gestellt. Die Wählerinnen und Wähler haben die Partei dafür belohnt und die beiden Regierungsparteien dafür abgestraft, die Probleme nicht gelöst zu haben. Die liberale Partei ist nicht gegen die Selbstständigkeit Grönlands, doch Parteichef Jens-Frederik Nielsen möchte nicht „den Schornstein des Hauses als Erstes bauen“. Das Fundament soll zunächst gelegt werden.
Naleraq kritisiert das System in Grönland
Auch der Sieg von Naleraq kann nicht alleine auf die Selbstständigkeits-Frage zurückgeführt werden. Die Partei ist seit ihrer Gründung 2014 nicht nur Dänemark gegenüber kritisch eingestellt, sondern auch dem eigenen politischen System. Sie verleiht – wie Analysen zeigen – jenen Menschen eine Stimme, die sich übersehen und überhört fühlen.
Die Grönländerinnen und Grönländer wollen also etwas anderes und Neues als die bislang dominierenden Parteien. Dies haben sie in zwei gegensätzlichen Richtungen gesucht.
Chance für neue Beziehungen zwischen Grönland und Dänemark
Als Chef der stärksten Partei wird Jens-Frederik Nielsen die Regierungsverhandlungen leiten und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der neue Regierungschef werden, der in Grönland Vorsitzende des Naalakkersuisut genannt wird. Noch ist offen, mit wem er koalieren wird. Noch in der Wahlnacht hat er Gespräche mit sämtlichen Parteien angekündigt.
Wer grönländische Politik kennt, weiß, dass sämtliche Kombinationen – auch die scheinbar politisch unvereinbaren – möglich sind.
Demokraatit fordert partnerschaftliche Beziehung
Für die Beziehung Dänemarks zur einstigen Kolonie kann der kommende Regierungswechsel in Nuuk einen Neuanfang bedeuten. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die dänische Regierung, das Folketing und die Öffentlichkeit zu einem solchen Neuanfang bereit sind. Dazu bereit sind, das Verhältnis und die Einstellung zu Grönland neu zu überdenken.
Die Chance besteht darin, dass Demokraatit in seiner Rhetorik gegenüber Dänemark deutlich milder ist als Naleraq, aber auch als Siumut und IA. Was nicht damit verwechselt werden sollte, dass Jens-Frederik Nielsen alles, was aus Kopenhagen kommt, für gut befindet.
So hat auch er scharf kritisiert, dass „DR“ die Veröffentlichung der Dokumentation „Orsugiak – Grønlands hvide Guld“ wieder rückgängig gemacht hat. Er hat die Nase voll, dass den Grönländerinnen und Grönländern von dänischer Seite fortwährend Dankbarkeit für die finanziellen Zuschüsse abverlangt wird. Auch er hat die historischen Übergriffe im Blick.
Der Demokraatit-Vorsitzende fordert vor diesem Hintergrund eine Neuverhandlung des Autonomieabkommens (Selvstyreloven) von 2009. Lässt sich Mette Frederiksens Regierung darauf ein, kann es den erwähnten Neuanfang bedeuten. Er kann einen partnerschaftlichen Weg in Richtung jenes selbstständigen Grönlands einleiten, das es eines Tages geben wird.
Möglichkeiten für Europa
Und auch für Europa kann der Schneerutsch in Nuuk einen Neuanfang für die Beziehungen zu Grönland bedeuten (genauer gesagt einen Anfang, denn bislang sind die Beziehungen spärlich). Demokraatit möchte die Wirtschaft stärken. Und sämtliche Parteien möchten die Beziehungen Grönlands zu anderen Ländern als Dänemark ausbauen.
Jens-Frederik Nielsen ist gegenüber Donald Trumps Gelüsten auf Grönland ausgesprochen kritisch – und äußert dies auch sehr unmissverständlich. Auch darin liegen Chancen für Dänemark und für Europa. Denn gerade Trumps Agieren hat verdeutlicht, dass Grönland mit seinen Rohstoffen und seiner geopolitischen Lage alles andere als unwichtig ist.
Die Frage ist, ob man bereit ist, diese Chancen zu ergreifen.
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