28-11-2024
Raus aus Somalia
Äthiopien schürt die Sezession?
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Von Wolfgang Mayr
Im eigenen Land ging das äthiopische Regime kriegerisch gegen die Sezessionsbestrebungen in Tigray vor. In Kooperation mit der einstigen äthiopischen Provinz Eritrea. Vergewaltigend, mordend, plündernd und vertreibend. Das katalanische Online-Magazin “Nationalia” analysierte David Forniès die Lage am Horn von Afrika.
Äthiopien unterstützt im östlichen föderalen Nachbarland Somalia hingegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der autonomen Regionen Puntland und Somali-Land. Sie stellen den fail state in Frage, besonders die kolonialistische britisch-italienische Grenzziehung. Sie nutzen die Spannungen zwischen Äthiopien und Somali, positionieren sich als Akteure in diesem Konflikt mit dem Ziel, die Anerkennung als eigenständige Staaten zu erreichen.
Puntland
Im vergangenen September warf Somalia Äthiopien vor, die Regionalregierung von Puntland illegal mit Waffen versorgt zu haben. Für die Landesverteidigung sei die Zentralregierung zuständig und nicht der föderative Staat Puntland, versuchte die “Regierung” in Mogadishu die Lage zu klären. Fakt ist, Puntland hat eine Regierung, ein Parlament, ein Justizsystem und eigene Streitkräfte.
Die jüngsten Spannungen zwischen Puntland und der Zentrale in Mogadishu heizte die Bundesregierung an. Sie drängte auf eine Änderung der Verfassung, zugunsten der Zentralregierung. Die autonome Region Puntland verließ aus Protest im März 2024 die föderalen Institutionen und unterzeichnete mit Äthiopien eine Reihe von Kooperationsvereinbarungen.
Somali-Land
Äthiopien fördert gezielt den somalischen Zerfall. Beide Staaten bekriegten sich, als Revanche unterstützt Addis Abeba die Sezession. Bereits im Januar erklärte sich Somali-Land bereit, dem großen Nachbar Äthiopien einen Zugang zum Meer zu gewähren, samt Hafen. Im Gegenzug erwartet sich Somali-Land äthiopische Hilfe im Bemühen um die Eigenstaatlichkeit.
Somaliland erklärte sich 1991 von Somalia unabhängig. Im Gegensatz zu Puntland lehnte Somali-Land einen einheitlichen föderalen somalischen Staat ab. Somaliland hat das, was Äthiopien seit dem Verlust Eritreas 1993 wollte: einen Zugang zum Meer. Und Äthiopien hat das, wonach sich Somaliland sehnt: die Fähigkeit, seine Unabhängigkeit anzuerkennen.
Für Somalia sind die Aktivitäten von Puntland und Somali-Land illegal, genauso die Abkommen mit Äthiopien, die die beiden Regionen abgeschlossen haben. Für Mogadischu ist die Verpachtung eines Hafens und der damit garantierte Zugang zum Meer eine eklatante Verletzung seiner territorialen Integrität.
Akteur Ägypten
Äthiopien versteht sich als “Schutzmacht” für Somali- und Puntland. Somalia bat Ägypten um Hilfe, gegen die sich abzeichnende Sezession. Militärische Hilfe, ägyptische Truppen sollen ins Land kommen. Im August unterzeichneten Kairo und Mogadischu ein Abkommen über die militärische Zusammenarbeit. Ägypten liefert bereits Waffen nach Somalia, bis Ende des Jahres sollen außerdem 5.000 ägyptische Soldaten in Somalia stationiert werden.
Für Äthiopien eine Provokation, das Verhältnis zwischen beide Staaten ist schwer belastet. Ursache ist der 2011 gebaute Große Renaissance-Staudamms am Nil. Seitdem fehlt der ägyptischen Landwirtschaft ausreichend Wasser.
Die Entsendung von 5.000 ägyptischen Soldaten nach Somalia sowie die Präsenz ägyptischer Kriegsschiffe vor Somalia empfindet Äthiopien als Einschüchterung und Bedrohung. Ägypten fordert die Verkleinerung des erwähnten Staudamms und lehnt einen äthiopischen Hafen am Horn von Afrika strikt ab.
Scharfes Horn von Afrika
Spannungen gibt es nicht nur zwischen Äthiopien und Ägypten, zwischen Äthiopien und Somalia, sondern auch zwischen Somali- und Puntland. Seit 1998 sorgt ein Grenzkonflikt zwischen beiden Regionen für bewaffnete Auseinandersetzungen, Vertreibungen und politisch motivierte Morde.
Diese aufgeladene Lage am Horn von Afrika könnte in eine gefährliche Eskalation münden. In einen neuen “afrikanischen Weltkrieg”: Der entgrenzte Bürgerkrieg im Sudan, in dem die Ukraine auf Seiten der demokratischen Opposition, Russland, die Vereinigten Arabischen Emiraten und der Iran auf Seiten der unterschiedlichen islamistischen Milizen mitmischen, die Angriffe der Huthis auf Israel und auf die internationale Fracht-Schifffahrt, der Krieg im Südsudan, die unberechenbare Außenpolitik Eritreas und die inner-äthiopischen Konflikte zwischen dem Regime und den Regionalstaaten Tigray, Amhara und Oromia droht zu einem Flächenbrand zu werden.
Möglicher Nutznießer? Die dort operierenden islamistischen Terror-Organisationen wie Al-Shabaab und der Islamische Staat, aber auch Somali- und Puntland. Aufgrund der seit Jahrzehnten herrschen Instabilität konnten sich die beiden Regionen de facto aus dem somalischen Föderalstaat lösen. Sie streben jetzt ihre staatliche Unabhängigkeit an.
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