Ramsanistan

Tschetschenien versinkt in der Kadyrow-Diktatur

Von Wolfgang Mayr

In ihrem Buch “Kadyrows Tschetschenien – Das Putin-Regime im Kaukasus” rechnet die katlanische Slawistin Marta Ter mit der Kadyrow-Diktatur ab. Die Lage in Tschetschenien ist verzweifelt, analysiert sie auf Nationalia, dem online-Magazin der katalanischen NGO Ciemen. 

Im Dubai des Kaukasus, die glorifizierende Umschreibung von Grosny, entstehen protzige Wolkenkratzer und riesige Moscheen. Vor 20 Jahren standen dort fast nur mehr Ruinen. Die tschetschenische Hauptstadt war durch russische Bombenangriffe so stark beschädigt worden, dass die UNO sie 2003 zur am stärksten zerstörten Stadt der Welt erklärte. 

Der Mann, der für die Verwüstung Tschetscheniens verantwortlich ist, Wladimir Putin, wird jetzt von den tschetschenischen Behörden vergöttert. Sein Porträt hängt in jedem Winkel des Landes, ein Held, der die “Nation befriedet” hat.

Hinter dem grellen Leuchten klaffen dunkle Risse: Nachts verschwinden immer noch Menschen. Es gibt diejenigen, die nie zurückkehren und die wenigen, die zurückkehren, sprechen von Geheimgefängnissen. Gefangene, die es wagen, Ramsan Kadyrow in Frage zu stellen, den Statthalter Putins in Grosny, werden gefoltert, vergewaltigt oder hingerichtet.

Kriege für die Unabhängigkeit

Der Krieg kam nach Tschetschenien, nachdem die Republik 1991 ihre Unabhängigkeit von Moskau erklärt hatte. Um das Territorium wieder in den Schoß der Russischen Föderation zu bringen und die Unabhängigkeitsbewegung zu zerschlagen, schickte der Kreml zweimal die Armee dorthin, 1994 und 1999. Beide Kriege waren geprägt von brutalen Misshandlungen und zahlreichen Kriegsverbrechen, Tschetschenien wurde in Schutt und Asche gelegt.

Um den tschetschenischen Widerstand zu brechen, suchte Putin ab 2002 Verbündete in Tschetschenien. Er bot den Clans die vollständige Kontrolle über ihr Land an, im Gegenzug verlangte Putin strikte Loyalität. Das Bündnis war erfolgreich, der Clan zerschlug – aufgerüstet mit Waffen aus Russland – die Unabhängigkeitsbewegung.

An der Spitze dieses Clans stand Achmat Kadyrow, der an der Seite der brutal aggressiv agierenden russischen Armee den tschetschenischen Widerstand zerrieb. Die Repression war entgrenzt gewalttätig. Tschetschenien wurde zum Schlachthaus der Clan-Miliz und der russischen “Anti-Terror-Einheiten”.

Kadyrow wurde 2004 ermordet, sein Sohn Ramsan trat die Nachfolge an. Eine unglaubliche Gewaltspirale war die Folge. 2009 zog sich die russische Armee zurück, die Drecksarbeit erledigten höchst effektiv Kadyrows Milizionäre, die kadirovtsi. Seitdem herrscht Friedhofsruhe im Land. Kadyrow bot seinem Paten Putin im Ukraine-Krieg seine erprobten Killer an. Beim Wiederaufbau des durch Russland zerstörten Tschetscheniens “halfen” die russischen Behörden. Das Tandem Putin-Kadyrow präsentiert ein befriedetes und wiederaufgebautes Tschetschenien.

Achmat Sila“

Die alles beherrschende Losung in Tschetschenien ist der Slogan „Achmat Sila„, der so viel bedeutet wie „Achmat ist die Macht“. Propagandavideos und Fernsehprogramme wiederholen ständig diesen Slogan, er prangert auf Regierungsgebäuden und sonstigen Einrichtungen, auf T-Shirts, usw.

Seine Diktatur baute Ramsan Kadyrow mit Putins Unterstützung auf seine Familie auf, die neue nationale Identität wird auf die “Dynastie” abgestimmt. Ramsan Kadyrow stellt bereits alle Weichen, damit seine Kinder die legitimen Erben der Macht sind.

“Achmat Sila” definiert die ideologischen Prinzipien des Herrscher-Clans und die neue tschetschenische Identität: pro-russisch (gegen die Unabhängigkeit); pro Sufi -Islam (im Gegensatz zum Salafismus oder Wahhabismus, der nach Ansicht des Regimes den dschihadistischen Terrorismus befeuerte und die Region jahrelang verwüstete) und traditionalistisch (im Gegensatz zur dekadenten westlichen Moderne, die Kadyrow als Geißel versteht, die es zu bekämpfen gilt).

Pro-russisch zu sein, bedeutet nach Ansicht des Regimes eine bedingungslose Unterstützung der Politik des Kremls. Kadyrow wiederholt in seinen öffentlichen Reden ständig, dass er ein russischer Patriot sei und dass er Putin bewundere, den er als Helden und Idol würdigt.

Anhänger des Sufi-Islam zu sein bedeutet, sich mit dem traditionellen Islam der Region, dem Sufismus, zu verbinden, der toleranter ist als der Salafismus, der in Tschetschenien verboten ist, weil er als fundamentalistischer Zweig gilt und dem Terrorismus nahe steht. Kadyrow hat den Sufi-Islam zur Staatsreligion in Tschetschenien erhoben. Er hat den Verkauf von Alkohol in der Republik verboten, eine strenge Kleiderordnung erlassen, fördert die Polygamie und sagt, die Scharia habe Vorrang vor russischem Recht.

Die “Rückkehr zu den Traditionen” hat für Kadyrow Vorrang, “westliche Laster” lässt er bekämpfen. Als solche gelten die Emanzipation der Frau, Homosexualität und Drogenkonsum. Die Behörden  wollen die Moral und die authentischen Werte der Gesellschaft verteidigen und bewahren. Als Gegner gelten Frauen, die verdächtigt werden, vor der Ehe Sex gehabt zu haben, Drogenkonsumenten oder Homosexuelle. Sie sind vogelfrei, können für ihr „unmoralisches“ Verhalten verhaftet und gefoltert werden.

Die Schreckensherrschaft

2014 ließ Kadyrow folgende Botschaft verbreiten: „Diejenigen, die das Wesen unseres wahren Weges nicht verstehen, werden keine Sekunde in Tschetschenien bleiben.“ In Tschetschenien werden jene eliminiert, die sich nicht an das Diktat halten. Staatliche Gewalt ist zu einem systematischen Instrument geworden, um jeden Dissens zu unterdrücken und die Bevölkerung in ständiger Angst zu halten. Tschetschenien ist nicht befriedet.

Die Repressionsmaschinerie der prorussischen Regierung Kadyrows richtete sich während des Zweiten Tschetschenienkriegs gegen Separatisten und dschihadistische Gruppen. Nach und nach geriet die gesamte Bevölkerung in Visier des Apparats: Willkürliche Inhaftierung von Gegnern oder Kritikern des Regimes; Folter in Geheimgefängnissen; Verschwindenlassen und standrechtliche Hinrichtungen sowie Verfolgung und Vernichtung von schutzbedürftigen Gruppen, z.B. Homosexuelle, sind gängige Praktiken der Tyrannei des Kadyrow-Regimes.

Dieser Terrors zerschlug die Reste der Opposition, Tschetschenien wurde zu einem schwarzen Loch, in dem Verletzungen der grundlegendsten Menschenrechte ungestraft erfolgen. Kadyrow ist mit seiner Politik der Angst erfolgreich. Die Gesellschaft ist erstarrt, wie in der Stalin-Ära.

Tschetschenien, das Modell für die unterworfene Ukraine? 

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