06-08-2021
Nation Quebec: Rettungsanker für die französische Sprache?
Foto: vigile.quebec
Von Wolfgang Mayr
Die Regierung der „französischen“ Provinz Quebec in Kanada will mit einem Gesetz die französische Sprache stärken. Sie soll künftig alleinige Amtssprache und die gemeinsame Sprache aller BürgerInnen sein. Aus der Sicht der Regierung ist ihre französischsprachige Provinz eine französische Nation.
Der 100-seitige Gesetzes-Text enthält Maßnahmen, um dem Rückgang der französischen Sprache in der Provinz entgegenzuwirken. Besonders drastisch soll der Sprachverfall in der Metropolregion Montreal sein. Dort verdrängt die englische spürbar die französische Sprache.
Der Premierminister von Quebec, Francois Legault, nennt das Gesetzt „eine wesentliche Geste für das Überleben unserer Nation.“ Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, den Gebrauch des Französischen und die sprachlichen Rechte seiner SprecherInnen am Arbeitsplatz, vor den Gerichten, in Schulen und in der Verwaltung zu stärken. Es ist eine Erweiterung der Charta der französischen Sprache von 1977, die Französisch als Amtssprache von Quebec etablierte und eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Sprache definierte.
Sprachverfall?
Im März 2021 sorgte das Quebec Office of the French Language (OQLF) für Aufregung. Die Sprachen-Behörden prognostizierte in einer Studie , dass Französisch bis 2036 von 74,4% der Menschen in Quebec die am meisten gesprochene Sprache zu Hause sein wird. 2011 waren es 81,6 Prozent. In der Region Montreal wird der Rückgang von 68,7% vor zehn Jahren auf 60,8% in 15 Jahren betragen.
Für den Quebecer Nationalismus Grund, genug, Alarm zu schlagen. Der Bestand der Sprache ist seit Jahrzehnten der Prüfstein für die Regierung von Quebec. Die französische Sprache wird als das Aushängeschild der Quebec-Nation wahrgenommen. Die Sprache unterscheidet Quebec vom Rest Nordamerikas. Die Autonomisten sind nicht bereit, Rückgänge in der Verwendung ihrer französischen Muttersprache zu akzeptieren.
„Franzosen“ dafür
Die Regierung von Quebec besteht aus Mitgliedern der Avenir Quebec Coalition (CAQ), einer Partei, die sich selbst als „nationalistisch“ definiert und sich für die Verteidigung von Quebecs „Autonomie, Sprache, Werten und Kultur“ innerhalb Kanadas ausspricht. Die Oppositionsparteien unterstützen – wenn auch unterschiedlich – den Vorschlag der Regierung. Die (föderalistische) Liberale Partei glaubt, dass es eine Einigung mit der CAQ geben könnte, während die beiden Unabhängigkeitsparteien (Quebec Solidarity Party) den Vorschlag trotz positiver Ansätze für zu wenig ehrgeizig halten.
Der liberale kanadische Premierminister Justin Trudeau hat viele überrascht, indem er erklärte, dass Quebec tatsächlich das Recht hat, diesen Artikel der kanadischen Verfassung einseitig zu ändern. Einige Juristen widersprechen aber dieser Aussage und kündigen, sollte das Gesetz vom Parlament verabschiedet werden, die Anrufung des Verfassungsgerichts an.
„Engländer“ dagegen
Eine Koalition englischsprachiger Bürgerorganisationen, das Quebec Community Groups Network, lehnt das geplante Sprachengesetz der Regierung strikt ab. Denn, so die Kritik und der Vorwurf: „Hunderttausende Menschen in Quebec könnten daran gehindert werden, ihre Sprache zu verwenden, ihre englischsprachigen öffentlichen Dienste zu erhalten“. Der Entwurf ist laut dem Network ein „Angriff auf die Menschenrechte“.
Bill 96 kann noch geändert werden und soll in der Nationalversammlung von Quebec im Herbst debattiert werden.
„Autochtone“ Kritik
Kritik kommt auch von den „Autochthonen“, von den indigenen Völkern von Quebec. Serge Otsi Simon, Oberhaupt der Mohawk-Nation Kanesatake im Süden des Landes. Simon versicherte, er versteht als indigener Amerikaner die Angst der Menschen von Quebec vor dem Sprachverfall- und Verlust. Er kann aber nicht verstehen, dass die Sprachen, Kulturen und Identitäten der First Nations nicht in den Gesetzentwurf 96 der Legault-Regierung aufgenommen wurden.
Diese Haltung der Quebecer Nationalisten, kritisiert Simon, entspricht der Tradition des Quebecer Nationalismus. Die indigenen Völker werden, so der Vorwurf des Mohawk, als nicht relevant betrachtet. Ohne eine entsprechende Abänderung des Gesetzesentwurfs wird es laut Simon dafür sorgen, dass eine „zweite Kolonialisierung“ der Autochthonen stattfinden wird. Die Sorge des Mohawk-Vertreters ist nicht unbegründet.
Premier Legault hat Simon geantwortet, dass Bill 96 keine indigenen Völker betrifft. Gleichzeitig verabschiedete aber die Nationalversammlung von Quebec im Juni einen Antrag, in dem die Regierung von Quebec aufgefordert wurde, „eine gewisse Verantwortung“ für die Förderung der autochthonen Sprachen zu tragen und zu übernehmen. Die Nationalversammlung von Quebec erinnerte aber auch die kanadische Bundesregierung, ihren Teil zum Schutz und zur Förderung der indigenen Sprachen beizutragen.
Die Québec-Nation in der Verfassung
Im Gegensatz zu den meisten Verfassungen besteht Kanada aus mehreren Rechtstexten.
Einer der wichtigsten ist der Constitutional Act von 1867, der das kanadische Bundesmodell definiert. Bill 96 sieht vor, Artikel 90 des Verfassungsgesetzes von 1867 zu ändern und diese Aussagen hinzuzufügen: „Quebec und Quebec bilden eine Nation“ und „Französisch ist Quebecs einzige Amtssprache. Es ist auch die gemeinsame Sprache der Quebec Nation.
Das kanadische Parlament erkannte 2006 Quebec als Nation „im Herzen eines vereinten Kanadas“ an. Und Französisch ist bereits als einzige Amtssprache von Quebec in der Provinzverfassung sowie als eine der beiden Amtssprachen der Föderation anerkannt, zusammen mit Englisch.
Die Regierung von Quebec drängt jedoch auf einen privilegierten Vorzug der französischen Sprache, auch im im Bundesverfassungstext. In Kanada wird darüber bereits intensiv diskutiert. Wenn eine Verfassungsänderung nur eine Provinz betrifft, ist eine positive Abstimmung von beiden Kammern des kanadischen Parlaments und der gesetzgebenden Versammlung der Provinz erforderlich.
In der Debatte tauchte ein einfacheres Verfahren auf: Um die Verfassung einer Provinz zu ändern, genügt eine Abstimmung in der gesetzgebenden Versammlung der Provinzen. Die Regierung von Quebec ist der Ansicht, dass die Änderung von Artikel 90 des Verfassungsgesetzes auch zu diesem Verfahren passt, weil sie dem Teil der Bundesverfassung entspricht, der zu Quebec „gehört“ und somit einer Provinzverfassungsänderung gleichgestellt werden kann.
Quelle „Nationalia“: Debat al Canadà per una llei que vol reconèixer constitucionalment el Quebec com a nació francòfona – Nationalia
GfbV-Report zum Jahr der indigenen Sprachen
Sprache: Ein Menschenrecht (gfbv.de)
Die Sprachen in Kanada: Ein Einblick in die indigenen Sprachen von Quebec (babbel.com)
Warum Sprachen aussterben | Welt | DW | 21.02.2017Les Amérindiens du Canada et du Québec | Carte et Tribu (authentikcanada.com)
Jahr der indigenen Sprachen – Wie werden Sprachen vor dem Aussterben gerettet? – News – SRF
Sprachenstreit in Kanada: Selbst der Blindenhund muss Englisch können – DER SPIEGEL
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