Kanada-Nunavut: Wann wird aus dem Territorium eine Provinz?

In zwei Jahren gehen mehr als zwei Millionen Quadratkilometer Land und Wasser an Nunavut über

Das indigene Territorium Nunavut wurde von den NWT abgetrennt. Nunavut heißt in der Inuit-Sprache "Unser Heimatland“. Foto: wikipedia

Das indigene Territorium Nunavut wurde von den NWT abgetrennt. Nunavut heißt in der Inuit-Sprache "Unser Heimatland“. Foto: wikipedia

Von Wolfgang Mayr

 

Als den größten Coup seiner Amtszeit nennt der Premierminister des autonomen Inuit-Territorium im nordöstlichen Kanada, Nunavut, das mit der Bundesregierung vereinbarte Dezentralisierungsabkommen. P.J. Akeeagok sprach vom nächsten großen Kapitel in der Geschichte des Territoriums mit seinen 40.000 Einwohnern.

Vor 25 Jahren führten die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der NGO Inuit Tapiriit Kanatami zur Ausweisung eines halbautonomen Inuit-Territoriums. Nunavut. Es entstand aus der Teilung der historischen North-West-Territories. Halbautonom deshalb, steht es doch unter der Kontrolle eines Kommissars, der als Oberhaupt gilt und von der kanadischen Regierung ernannt wird.

Nunavut ist Inuit-Land, im benachbarten NWT stellen die indigenen Völker knapp die Hälfte der Bevölkerung. In den NWT gelten elf Amtssprachen. In Nunavut zwei, Inuit und englisch, bei Bedarf auch Französisch.

 

Etikettenschwindel

Damals, 1999, erhielten die Inuit über das Nunavut Land Claims Agreement 350.000 Quadratkilometer Land “übertragen”. Davon blieben 315.000 Quadratkilometer – der größte Teil – Treuhand-Land der Krone. Nur 35.000 Quadratkilometer – zehn Prozent des gesamten neuen Territoriums – wurden kollektiver Inuit-Besitz. Thomas King beschreibt dieses Claims Agreement in seinem “The inconvenient indian” als einen raffinierten Landklau der Kanadier. Das gesamte Nunavut-Territorium umfasst zwei Millionen Quadratkilometer.

Die Bundesregierung kontrollierte also weiterhin das Land sowie die Rohstoffe, Mineralien, Öl und Gas.

1999, nach langwierigen Verhandlungen, genehmigte das kanadische Parlament das neue Territorium Nunavut. Letztendlich ein Etikettenschwindel. Auch deshalb drängte Inuit Tapiriit Kanatami auf weiterführende Verhandlungen, besonders Ex-Premier Paul Quassa gab sich mit dem dürftigen Claims-Agreement nicht zufrieden. Er war bei den Verhandlungen über Landansprüche der Inuit mit dabei, die zur Gründung von Nunavut führten.

 

Der lange Weg zur Dezentralisierung

Neue Verhandlungen wurden 2008 aufgenommen, erst nach elf Jahren lag eine Grundsatzvereinbarung über die Dezentralisierung vor. Mit der Unterzeichnung dieser sogenannten Dezentralisierung zwischen dem damaligen kanadischen Premier Trudeau und P.J. Akeeagok von Nunavut vor einem Jahr wird dem Inuit-Territorium das gesamte Land übertragen. Die bereits erwähnten zwei Millionen Quadratkilometer.

Das 239-seitige Dokument ist ein Fahrplan in die Autonomie, der restlosen Übernahme des Landes. Dieser Fahrplan sieht vor, wie die Bundesregierung Nunavut die Kontrolle über das Land und die Ressourcen übertragen wird, ein Prozess, der als Dezentralisierung bezeichnet wird ist. “Es ist höchste Zeit. Es ist ein Wendepunkt für Nunavummiut“, kommentierte Quassa, der Unterhändler für Landansprüche, die erzielte Regelung. Der Bundesstaat und Nunavut haben bis April 2027 Zeit, die komplexe Materie der Landübertragung und Festschreibung der Landrechte zu vollziehen.

Premierminister Trudeau würdigte den Tag der Vertragsunterzeichnung als einen “historischen Tag”. Nunavummiut soll damit mehr Kontrolle über Entscheidungen über ihr Land, ihre Gewässer und Ressourcen haben. Entsprechende Abkommen gelten bereits für die beiden anderen Territorien, Yukon (seit 2003) und NWT (seit 2014). Während die zehn Provinzen als eigenständige Rechtssubjekte über weitreichende Selbständigkeit verfügen, verfügen die drei Territorien nur über eine dürftige Autonomie.

Die drei Territorien, eine Art innerstaatliche Kolonien? In Yukon stellen die indigenen Bürger:innen ein knappes Drittel der Bevölkerung, in den neuen NWT die Hälfte, in Nunavut mehr als drei Viertel. Ein Zufall, dass diese Regionen weiterhin Territorien bleiben?

 

Die Autonomie wird konkreter

Das Dezentralisierungsabkommen regelt die Übertragung der administrativen Kontrolle über die Kronländereien und -ressourcen an die Territorialregierung. Festgeschrieben wurden auch die Bedingungen für die Zeit nach der Übertragung.

Die Regierung von Nunavut wird künftig auch Lizenzgebühren aus Wirtschaftssprojekten einheben können. Eine zaghafte Steuerpolitik für Nunavut.

Ab dem Datum der Übertragung in zwei Jahren können Mitarbeiter der kanadischen Regierung, deren Aufgaben in die territoriale Zuständigkeit übergehen und die in Nunavut arbeiten, in den öffentlichen Dienst von Nunavut wechseln.

Nunavut Tunngavik Inc. wird nach Abschluß der Dezentralisierung für die Personalpolitik verantwortlich sein. Die Organisation muss sicherzustellen, dass Inuit in den öffentlichen Dienst eingestellt werden.

„Wir werden über unsere eigene Zukunft entscheiden”, freut sich Premierminister P.J. Akeeagok. Bisher war es die kanadische Bundesregierung, die das letzte Worte hatte.

 

Ist Nunavut vorbereitet?

Für den ehemalige Premier Joe Savikataaq wird das Abkommen keine unmittelbare Folge haben. „Das wird nicht über Nacht passieren“, sagte Savikataaq. „Sie legen keinen Schalter um und wir übernehmen morgen einfach Verantwortung. Es wird ein langwieriger Prozess sein.” Aber es ist weiterer Schritt, erwachsen zu werden“, fügte Savikataaq hinzu.

Savikataaq erinnerte daran, wie schwer sich die Regierungen von Nunavut taten und tun, freie Stellen in der öffentlichen Verwaltung mit Inuit zu besetzen. Die Beschäftigungsziele sind bisher eindeutig verfehlt worden. Er vermutet, dass es schwierig sein wird, mehr Personal zu finden. „Wenn wir nicht bereit wären, hätten wir nicht verhandeln sollen“, sagte er der CBC. Quassa stimmte zu: “Das ist etwas, was wir uns vorgestellt haben. Wir werden zu einem wichtigen Akteur in Kanada.“

Für Premier Akeeagok ist es an der Zeit, dass Entscheidungen für Nunavummiut von Nunavummiut getroffen werden. „Wird es eine Herausforderung sein? Absolut“, bestätigte Akeeagok im CBC-Interview. „Wir hatten schon immer die Vision, dass Nunavummiut die eigenen Entscheidungen für die Zukunft trifft.“

 

Ein Deal, der seit 25 Jahren vorbereitet ist

Zusätzlich zum Land erhält Nunavut jährlich 85 Millionen US-Dollar von der Bundesregierung. Weitere 67 Millionen US-Dollar für Übergangsmaßnahmen und 15 Millionen US-Dollar für die Ausbildung.

Das Bundesparlament muss mehrere Nunavut betreffende Gesetz ändern oder gar aufheben, um den Land-Transfer abwickeln zu können und dem Territorium mehr Selbstverwaltung übertragen zu können. So muss der Nunavut Act aufgehoben werden, ein Bundesgesetz, mit dem der Bund bisher öffentliches Land und die Rechte an Gewässer kontrollierte.

Zum öffentlichen Land gehören alle Onshore-Gründe, die derzeit der kanadischen Regierung gehören und umfassen Flußufer, Mineralien, Öl, Gas sowie Gebäude und sonstige Strukturen.

Das Parlament von Nunavut erhält zusätzliche Wirtschafts-Kompetenzen zur Bewirtschaftung des Landes und zur Nutzung der Rohstoffe. Dafür wird ein Territorialminister als letzter Entscheidungsträger über Projektvorschläge nach dem Nunavut Planning Act verantwortlich sein.

Ex-Premier Savikataaq drängte auch auf die Übernahme der Offshore-Ressourcen. Die Verhandlungen darüber sollen zeitnah aufgenommen werden.

Savikataaq schlug auch vor, den öffentlichen Dienst zu dezentralisieren. Nicht nur in der Hauptstadt Iqaluit soll es öffentliche Jobs geben, sondern auch in den übrigen Gemeinden.

Oft schon kündigte das liberale Kanada den indigenen Völkern gegenüber Aussöhnung, Versöhnung und Wiedergutmachung an. Manches geschah. Der Dialog auf Augenhöhe findet aber noch immer nicht statt, das Ernstnehmen. Denn, warum werden die indigen geprägten Territorien im kanadischen Norden nicht endlich zu gleichwertigen Provinzen, die indigenen Völker und ihre Provinzen zu eigenständigen Rechtssubjekten?

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