10-01-2025
Grönland, Trump und die historische Verantwortung Dänemarks
Der erneute Vorstoß des kommenden amerikanischen Präsidenten, Grönland solle ein Teil der USA werden, setzt Dänemark unter Druck. Dänemark muss sich jetzt mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinandersetzen, meint Jan Diedrichsen.
Von Jan Diedrichsen
Es ist nicht allein Theaterdonner, wenn Donald Trump auf Nachfrage den Einsatz von Waffengewalt bei der Übernahme Grönlands nicht ausschließt – es ist ernst zu nehmen. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass ein NATO-Mitglied ein anderes wegen Territorien angreift – aber in dieser neuen Weltordnung, in der zunehmend das Recht des Stärkeren gilt, darf auch das eigentlich Undenkbare nicht mehr ausgeschlossen werden.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie schnell geopolitische Tabus fallen können. Nun scheinen die USA unter Trump einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Und gerade Dänemark, das sich – auch wegen der strategischen Rolle Grönlands in der Arktis – traditionell eng an Washington orientiert, muss sich dieser neuen Realität stellen.
Doch dieser geopolitische Druck trifft Dänemark an einer Stelle, die tiefer geht als nur strategische Interessen. Grönland ist nicht nur ein autonomes Territorium mit wertvollen Rohstoffen und einer strategisch günstigen Lage – es ist auch ein Ort, an dem die Narben der dänischen Kolonialgeschichte bis heute spürbar sind.
Walter Turnowskys Bericht auf „voices“ beleuchtet, wie Dänemarks Selbstbild als “gute Kolonialmacht” in Grönland zunehmend bröckelt. Historische Übergriffe wie das sogenannte Kinderexperiment, bei dem grönländische Kinder ihren Familien entrissen und nach Dänemark gebracht wurden, um aus ihnen „kleine Däninnen und Dänen“ zu machen, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis Grönlands eingebrannt. Diese und andere Maßnahmen führten bei den Betroffenen zu Entfremdung, Entwurzelung und Identitätskonflikten.
Gegenwärtig erleben wir in Grönland Demonstrationen in Städten wie Nuuk, Ilulissat und Aasiaat, aber auch in Kopenhagen und anderen Städten, die auf die anhaltende kulturelle Diskriminierung und die häufige Trennung grönländischer Kinder von ihren Eltern durch die dänischen Behörden aufmerksam machen. Diese Proteste unterstreichen die wachsende Kluft zwischen Dänemark und Grönland und die dringende Notwendigkeit einer ehrlichen Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte.
Inmitten dieser Spannungen erneuert Trump sein Interesse an Grönland und heizt damit die Debatte um die Unabhängigkeit der Insel weiter an. Der grönländische Ministerpräsident Múte B. Egede betont, dass die Insel nicht zum Verkauf stehe und die Zukunft Grönlands von den Bewohnern selbst bestimmt werden müsse. Dennoch bleibt die wirtschaftliche Abhängigkeit von Dänemark ein zentrales Thema, und die Aussicht auf Unabhängigkeit wirft Fragen nach der wirtschaftlichen und politischen Stabilität auf.
Dänemark darf sich nicht der Illusion hingeben, diese Situation einfach aussitzen zu können. Es braucht eine ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte. Vorbild könnten die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen sein, die in Norwegen, Schweden und Finnland die Verbrechen an den Samen untersucht haben. Solche Prozesse schaffen nicht nur Gerechtigkeit für die Betroffenen, sondern stärken langfristig den Zusammenhalt in einem gemeinsamen Staatsgebilde.
Die dänische Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) hat mit ihrer Entschuldigung für die historischen Übergriffe bereits Schritte in diese Richtung unternommen. Aber Worte allein reichen nicht aus. Es braucht konkrete Taten und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Grönland, um Vertrauen wieder aufzubauen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Denn eines ist klar: Nur ein selbstbewusstes, historisch anerkanntes Grönland kann der Versuchung widerstehen, sich als geopolitisches Faustpfand missbrauchen zu lassen. Die Lösung kann nur eine engere und gerechtere europäische Zusammenarbeit sein – und nicht das Preisschild, das Trump der Insel so gerne anheften würde.
SHARE