30-09-2021
GfbV fordert Selbstbestimmungsrecht für Sahrauis – Erneute EU-Schlappe vor Gericht
From the #saharawi refugee camps, A message of gratitude to the #European_Court . Desde los campamentos de refugiados saharaui, mensaje de agradecimiento al #Tribunal_europeo
Von Jan Diedrichsen
Nach 2018 hat sich die Europäische Union erneut eine schallende Ohrfeige vor dem Europäischen Gerichtshof eingefangen. Die Richter kassierten ein Agrar- und Fischereiabkommen, das es Marokko erlaubt hätte, Waren aus der Westsahara in die EU-Mitgliedsstaaten zu exportieren. Bereits 2018 hatten die Richter in Luxemburg im Streit um die Gültigkeit eines EU-Fischereiabkommens mit Marokko in einem Urteil bekräftigt, dass die Westsahara nicht Teil des Staatsterritoriums Marokkos sei (hier die gestrige Urteilsbegründung im Wortlaut).
Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert von der EU und der deutschen Bundesregierung, dass nun das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstbestimmung endlich zur Anwendung gelangen müsse und ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara für Klarheit sorgen muss, alles andere sei ein Bruch des Völkerrechts.
„Die Westsahara ist nicht einfach ein Teil Marokkos, über den die Regierung in Rabat frei verfügen kann“, bekräftigt Nadja Grossenbacher, GfbV-Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung. „Die Sahraouis, die die Region seit jeher bewohnen, müssen Entscheidungen über ihr Territorium und die dazugehörigen Fischgründe selbst treffen – und mit niemand anderem darf die EU darüber verhandeln.“
Seit Jahren streiten Sahrauis und Marokko über die Nutzung von Ressourcen in der besetzten Westsahara. Während das Königreich davon ausgeht, alle natürlichen Bodenschätze und Ressourcen ohne Auflagen nutzen zu können, werfen die Sahrauis Marokko vor, ein völkerrechtswidrig besetztes Territorium auszubeuten.
Die Klage war von der „Polisario-Front“ eingereicht worden, die eine Unabhängigkeit der Westsahara von Marokko anstrebt. In seinem Urteil stellte das Gericht fest, dass die Polisario-Front „international als Vertreter des Volkes der Westsahara anerkannt ist“ und dass die EU die Zustimmung des saharauischen Volkes nicht eingeholt habe, bevor sie das Abkommen mit Marokko unterzeichnete.
Oubi Bachir, der Polisario-Vertreter für die EU, feierte in einer auf Twitter veröffentlichten Nachricht „einen großen Sieg für die Wüstenfrage“. Später forderte er die EU-Staats- und Regierungschefs auf, dem Gerichtsurteil Folge zu leisten und sagte in einer Erklärung, dass „ihre Missachtung der europäischen Justiz weiterhin den Prozess der Entkolonialisierung der Westsahara behindert“.
Das marokkanische Außenministerium kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen und bezeichnete es als „voreingenommene und ideologisch motivierte Entscheidung“.
Marokko betrachtet die an Bodenschätzen reiche Westsahara als seine „südlichen Provinzen“ und lehnt jegliche Maßnahmen ab, die es als Bedrohung seiner territorialen Integrität betrachtet. Marokko annektierte die ehemalige spanische Kolonie im Jahr 1975 und bekämpfte die Unabhängigkeitsbewegung der Polisario-Front.
Die Sahrauis leben im westlichen Teil der Wüste Sahara, in Südmarokko, einem Großteil Mauretaniens und den äußersten Südwesten Algeriens.
Wie bei den meisten in der Sahara lebenden Völkern ist die saharauische Kultur eine Mischung aus berberischen, afrikanischen und arabischen Elementen. Sie weist hauptsächlich Kernmerkmale der Berber mit arabischen Kulturelementen auf. Die privilegierte Stellung der Frauen in den saharauischen Stämmen ist eine berberische Tradition, die der Ankunft des Islam und der Araber vorausging, sowie Merkmale, die den ethnischen Gruppen der Sahelzone gemeinsam sind. Die Saharauis setzen sich aus vielen Stämmen zusammen und sprechen größtenteils den Hassaniya-Dialekt des Arabischen, und einige von ihnen sprechen in Marokko noch Berberisch.
Siehe als Quelle:
https://www.theguardian.com/world/2013/jul/16/women-western-sahara-independence-morroco
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