19-11-2025
EU-Regionen: Zentralisierung vorerst eingebremst
Die von der Kommission angestrebte Entregionalisierung wurde gestoppt
Die EU-Kommission will offensichtlich das "Europa der Regionen" abwickeln. Foto: bundesregierung.de
Von Wolfgang Mayr
Die EU-Kommission wollte ihre regional organisierten Strukturfonds künftig den Mitgliedsstaaten überantworten. Die Kommission, inzwischen wird sie immer mehr zu einem Kartell der „Vaterländer“, stieß aber auf Widerstand. Aus den Regionen, die vielfach von Konservativen verwaltet werden.
Die Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen, die tragenden Koalitionäre der Kommission, blockten das Vorhaben ab. Die Frage ist, ob die Zentralisierungspläne nur aufgeschoben sind. Kommissions-Präsidentin von der Leyen wickelt nämlich im Zusammenspiel mit den Mitgliedsstaaten die Union Stück für Stück ab. Aus der Union wird ein loses Bündnis der „Vaterländer“, wie es sich rechte Konservative und die Rechtsrechten wünschen.
So verwässerten letzthin die Konservativen gemeinsam mit den Rechtsradikalen das Lieferkettengesetz. Ein Abkommen über verbindliche Menschenrechtsnormen für Unternehmen. Ihre Argumente, das Gesetz behindert das freie Wirtschaften.
So versenkte die Kommission – „juristisch“ begründet – die erfolgreiche Minority Safepack-Initiative des Minderheiten-Dachverbandes Fuen. Sie erklärte sich für nicht zuständig. Neue Mitglieder müssen, heißt es aber in den Unions-Verträgen, vor dem Beitritt ihre Minderheitenprobleme regeln und lösen. Als doch ein Thema der Union?
Seit dem Erstarken kokettiert Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen mit den rechten Fraktionen. Für diese Zusammenarbeit opfert von der Leyen ihren Green Deal, den öko-sozialen Umbau der EU. Prioritäten von gestern, als die Rechten noch Ränder waren.
Konservative und Rechte führen ihren „Kulturkampf“ gegen „Veggie-Burger“, lehnen die Re-Naturierung zerstörter Landschaften ab, die eh schon halbherzigen Bemühungen gegen den Klimawandel werden langsam abgedreht.
Die Flüchtlings- und Migrationspolitik sind ein Flickwerk, die EU reagiert nur auf Herausforderungen, agiert nicht. Jedes Mitgliedsland hantiert – auf Druck rechter Wahlerfolge – mit unterschiedlichen Konzepten, die zu spät umgesetzt werden. Die EU und ihre Mitglieder gestalteten in der Vergangenheit nicht die Migration.
Und die Vaterländer machen sich über die Kommission daran, die EU zu zentralisieren, zugunsten des Mitgliedsländer. So sollen künftig nicht mehr die Regionen, immerhin die vielbeschworene dritte Ebene in der EU-Architektur, die Strukturfonds der EU verwalten, sondern die Einzelstaaten. Dieses Vorhaben wurde vorerst ausgebremst. Was sah diese Abwicklung der Regionen vor?
Offene Nationalisierung
Die Union wollte die bisherige regionale Verwaltung der EU-Struktur- und Kohäsionspolitik (die Politik des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts) den Staaten zu übertragen. Ein krasser Versuch, die Regionen als Mitgestaltende endgültig auszuhebeln. Regionen, die in vielen Fällen auch Siedlungsgebiete sprachlicher und nationaler Minderheiten sind. Nutznießer einer solche Ent-Regionalisierung wären die Mitgliedsstaaten.
Die Kommission wollte die bisherigen 530 Programme – von der Kohäsions- bis zur Agrarpolitik – in einem einzigen Fonds zusammenlegen. Vorbild dafür ist der Recovery Fund zum Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie. Dieser Recovery Fund wird von den Staaten verwaltet, zentralistisch, die Regionen wurden zu Bittstellern degradiert.
Die verschiedenen Struktur- und Kohäsionsfonds – bisher meist erfolgreich regional verwaltet und gemanagt – sollten Instrumente der Mitgliedsstaaten werden. Von wegen Europa der Regionen, Regionen als dritte EU-Ebene, Europa von unten.
Regionaler Widerstand
Dagegen formierte sich regionaler Widerstand. Der Ausschuss der Regionen, ein nur beratendes Gremium, von der Kommission selten zur Kenntnis genommen, kritisierte heftig die geplante Zentralisierung. Die Erfahrungen mit dem Corona-Aufbau-Fonds schrecken ab, sagen Regional-Politiker. Diese zentralisierten Fonds sind bürokratische Monster. Regionale Belange wurden nicht zur Kenntnis genommen.
Die autonome Provinz Bozen/Südtirol und die autonome Region Friaul-Julisch-Venetien in Italien übten heftige Kritik an den Kommissions-Plänen. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher würdigte die Kohäsionspolitik als ein wichtiges Instrument, um Ungleichheiten zu beheben: „Die Regionen wissen am besten, wo Handlungsbedarf besteht. Die Erfahrung mit dem staatlichen Wiederaufbaufonds hat gezeigt, dass eine zentrale Umsetzung weniger erfolgreich ist.“ Die Regionen wollen weiterhin eine tragende Rolle in der Kohäsionspolitik der EU spielen, sagte Kompatscher.
Laut Kompatscher geht es bei dieser Debatte nicht nur um die Strukturfonds, sondern um die regionale EU: „Wir brauchen ein Europa der Regionen – kein Europa der Ministerien.“ Die regionalen Politiker befürchten, dass eine zentralisierte Verwaltung die lokalen Bedürfnisse ignorieren könnte.
In einem Schreiben der Regionalpolitiker aus Italien an die Kommission heißt es, dass es keinen Sinn macht, Gesamtpläne für ganze Staaten zu erstellen. Sinnvoller ist es, weiterhin auf die spezifischen Bedürfnisse der Regionen einzugehen. Konkretes Beispiel: Die Region Basilikata in Süd-Italien hat andere Anforderungen als Südtirol im Alpenraum. Mit diesen Plänen hätte sich die EU noch weiter von seinen Bürgerinnen und Bürgern, warnten die regionalen Regierungschefs.
Protest der Minderheitenparteien
Die Fraktion der Nationalitäten-Parteien, die European Free Alliance, unterstützte den regionalen Protest. Sie befürchtete die Kürzung der regionalen Zuwendungen, zugunsten der Mitgliedsstaaten. Die Kommission wollte offensichtlich die Zeit zurückdrehen, stellte die EFA-Fraktion fest, eine solche Re-Nationalisierung wurde das europäische Projekt gefährden.
Die kritisierte Zentralisierung ist laut EFA bereits jetzt spürbar. Verwalten Mitgliedsstaaten EU-Mittel, wird einseitig umverteilt, kritisieren die EFA-Parteien. Der Vergleich zwischen den Ergebnissen des Kohäsionsfonds, der direkt an die Regionen vergeben wird und der verstaatlichten EU-Fonds verdeutlich die EFA-Kritik: „Regionen, die mit der staatlichen Regierungspartei verbündet sind, profitieren von einer höheren finanziellen Zuweisung, während die Regionen, die gegen die Zentralregierung sind, den Preis dafür zahlen.“ Betroffen davon sind Minderheiten-Regionen, die von regionalen Minderheitenparteien regiert werden.
Regionale Programme sind europäische Projekte
Für die „Freie Europäische Allianz“ sind die regionalen Programme tatsächlich europäische Projekte, die sich am stärksten auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger auswirken. Und, die Kohäsionsprojekte sind eine der Säulen des europäischen Aufbauwerks und einer der Hauptgründe, warum sich Regionen mit diesem politischen Projekt verbunden fühlen.
Die „European Free Alliance“ bekennt sich zur Europäischen Union, zum Europa der Regionen, gegen das Kartell der Vaterländer: „Wir können nicht zu einem Europa zurückkehren, das auf den Interessen der Staaten basiert. Die EU ist viel mehr. Es ist ein Projekt, das alle Europäerinnen und Europäer einbezieht und ihnen dient: ein Europa für alle Regionen.
Die Selbstdemontage hat begonnen
Die Union ist derzeit dabei, sich selbst zu demontieren. Einige Mitgliedsstaaten sind besonders engagiert mit dabei, wie der eifrige ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Er bastelt einer anti-ukrainischen Allianz mit der Slowakei des Robert Fico und mit Tschechien von Andrej Babis. Drei ausgewiesene Gegner der EU.
Orban hofft auf einen Wahlsieg seines freiheitlichen österreichischen Freundes Herbert Kickl, der beste Aussichten hat, bei den nächsten Wahlen „Volkskanzler“ zu werden. Als solcher wird er dann seine „Volksrepublik Österreich“ – seine „Festung Österreich“ – in diese Orban-Allianz einbringen. Eine Wiederauflage des Vielvölkerstaates Habsburg, nur deutlich reaktionärer und ein Vorhof Russlands.
Kippt Frankreich nach der Präsidentschaftswahl 2027 nach rechts und Deutschland 2029 ebenso, wird es diese EU nicht mehr geben. Nur mehr Vaterländer, die keine Rücksicht auf Regionen und Minderheiten nehmen. Die entsprechenden Vorarbeiten leistet die amtierende EU-Kommission.
Siehe auch:
– EU Green Deal
– Region Autonome Vallée d‘Aoste
– Autonomie et Institutions
– Autonome Provinz Bozen/Südtirol
– Autonome Region Friaul-Julisch-Venetien
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