04-06-2023
Entwicklung der Situation im Kosovo
„Grund für die aktuellen Unruhen ist sicherlich die schlechte und planlose politische Führung der Kosovo-Politik aus Belgrad, jedoch auch die unnachgiebige und teilweise intolerante Politik der Regierung Kosovos gegen die dort lebenden Minderheiten, darunter vor allem Serben.“

Von Belma Zulcic, Gesellschaft für bedrohte Völker. Sektion Bosnien und Herzegowina
In den letzten Jahren entzündet sich die Situation im Kosovo immer wieder, so zuletzt auch Ende Mai 2023. Bei den letzten Ausschreitungen, die am 26.Mai 2023 begonnen haben, wurden unter anderem auch 30 KFOR-Soldaten aus dem Nato-Mandat, die den Frieden im Kosovo wahren sollen, verletzt, einige von ihnen auch schwer. Auch unter den Demonstranten und Vertretern der Kosovo-Polizei gibt es zahlreiche Verletzte. Der Anlass für die letzten Ausschreitungen liegt in der Unzufriedenheit der im Norden Kosovos lebenden Serben, die schon seit Tagen gegen die angekündigte Einsetzung kosovo-albanischer Bürgermeister in den Gemeinden Zvecan, Leposavic, Zubin Potok und einem Teil von Kosovska Mitrovica protestieren und die Ernennung von Serben an diese Posten fordern. Als am 26.Mai der neuernannte kosovo-albanische Bürgermeister in das Rathaus von Zvecan einziehen sollte, wollten die Demonstranten ihn gewaltsam daran hindern, sodass die kosovarische Polizei mit Tränengas gegen die Menschenmenge vorging. Als die Situation in den folgenden Tagen weiter eskalierte, nachdem serbische Demonstranten die Stadtverwaltung in Zvecan stürmen wollten, schritten auch KFOR-Soldaten ein, sodass die serbischen Demonstranten auch diese angriffen.
Grund für die aktuellen Unruhen ist sicherlich die schlechte und planlose politische Führung der Kosovo-Politik aus Belgrad, jedoch auch die unnachgiebige und teilweise intolerante Politik der Regierung Kosovos gegen die dort lebenden Minderheiten, darunter vor allem Serben.
Die im April 2023 abgehaltenen Wahlen im Kosovo wurden von den dort lebenden Serben nach Anweisung der Führung aus Belgrad und dem Präsidenten Serbiens, Aleksandar Vucic, boykottiert, sodass von den insgesamt etwa 45.000 registrierten Wählern die Wahl nur etwa 1.500 Menschen angetreten hatten. Zuvor wurde in einer Reihe von Friedensgesprächen unter Anleitung der EU eine Annäherung der Stellungen der Regierungen Kosovos und Serbiens vorgenommen, diese blieb jedoch ohne einen wirklichen Abschluss. Beschlossen wurde nur, dass man weiter verhandeln sollte. Obwohl bei den Verhandlungen deklarativ eine Bereitschaft beider Seiten zur Gründung einer Gemeinschaft von Gemeinden mit serbischer Mehrheit im Norden Kosovos erklärt wurde, lehnt die Kosovo-Regierung diese Gründung nun vehement ab mit der Begründung, sie wollen nicht eine zweite Republika Srpska (wie dies in Bosnien und Herzegowina der Fall ist) in ihrem Land haben.
Wie sich die Situation weiterentwickeln wird, ist schwer vorhersehbar. Serbien hat seine Streitkräfte in höchste Gefechtsbereitschaft gesetzt, aber gleichzeitig hat Aleksandar Vucic in Serbien viele Schwierigkeiten mit wachsender Unzufriedenheit der Menschen mit seiner Regierungsart. Nach dem in einer Grundschule in Belgrad verübten Massaker am 3.Mai dieses Jahres, als 10 Menschen, vor allem Schüler, getötet wurden, gibt es jede Woche große Proteste in Belgrad, an denen der Rücktritt von Vucic gefordert wird. In einem Versuch gegen die Proteste vorzugehen, hatte Aleksandar Vucic am 26.Mai eine Versammlung seiner Unterstützer organisiert, bei dem die Regierung sogar Menschen aus allen Teilen Serbiens nach Belgrad gebracht und teilweise sogar ihr Kommen erzwungen wie auch mit einem Entgelt belohnt hatte. Trotz eines ungeheuren Aufwandes erlebte Vucic ein Riesenfiasko. Die Proteste gegen ihn werden immer massiver, während seine Unterstützung schwindet.
Viele Jahre lang hat Vucic, wie auch seine Vorgänger, einen großen Teil der Unterstützung aus der Bevölkerung gerade wegen seiner kämpferischen Rhetorik zu der Frage Kosovos erhalten. Noch immer gehören die Phrasen „Kosovo ist Serbien“und „Wir werden Kosovo nie aufgeben“ zu den wirksamsten Propagandamitteln und Slogans in Serbien. Nun scheint es jedoch einen immer größeren Teil der Bevölkerung zu geben, der erkannt hat, dass die Regierung keinen wirklichen Plan und keine Möglichkeiten hat, die Versprechen einzulösen. Denn Kosovo gehört längst nicht mehr zu Serbien und von Tag zu Tag verliert Serbien dort immer mehr an Einfluss und Stärke. Nicht wenige Menschen in Serbien sehen die Ereignisse im Kosovo aus den letzten Tagen als einen Versuch Vucics, von der aktuellen Situation im Lande abzulenken und eine neue Krise im Kosovo zu eröffnen.
Die Nato hat bereits angekündigt, zusätzliche Soldaten in den Kosovo zu schicken, um eine Eskalation der Situation zu verhindern. Russland als ihr engster Verbündeter hat Serbien seine vollkommene Unterstützung zugesichert und erklärt, dass die aktuellen Ereignisse im Kosovo zu einer ernsthaften Krise und einer Explosion in der Region führen können. Dies wirft die Sorgen der Eröffnung einer „zweiten Front“ in Europa durch Russland, das gerne von seinem Angriffskrieg auf die Ukraine ablenken möchte, wieder neu auf.
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