Ein Zentralist regiert Katalonien

Das katalanische Parlament hat nach dem separatistischen Wahldebakel den Sozialisten Illa zum Präsidenten gewählt.

Von Wolfgang Mayr

Lange ist es her, dass ein spanischer Zentralist Präsident der Generalitat de Catalunya war. Seit dem 8. August steht der strenge Sozialist Illa der autonomen Region vor. Kein großer Freund autonomistischer Experimente, ein strikter Gegner der Unabhängigkeit.

Salvador Illa und der katalanische Ableger der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, der PSC, hatten die Regionalwahlen deutlich vor den katalanischen Parteien Junts und ERC gewonnen. Viele separatistische Wählerinnen und Wähler blieben aus Frust zuhause, andere wählten den PSC. 

Der Sozialist Illa ließ sich auch von der katalanischen Linken ECR zum Präsidenten der Generalitat wählen, Inbegriff des selbstverwalteten Kataloniens. Präsident Illa kündigte als Schwerpunkt seiner Regierung die “dritte Transformation” Kataloniens an, die Schaffung eines “Raumes für die katalanische Nation” in einem “pluri-nationalen Spanien”. 

Illa holte auch zwei ECR-Vertreter in seine Regierung, verantwortlich für die Sprachpolitik und für die Kultur. Mit dabei auch ein ehemaliger Minister der Puigdemont-Partei Junts (zuständig für Wirtschaft) sowie der Justiz-Minister, der einst zu großen autonomistischen Partei CiU angehörte. 

Die PSC und ECR unterzeichneten vor der Präsidenten-Wahl ein programmatisches Abkommen, mit dem sich Illa die Zustimmung der ECR-Abgeordneten sicherte.

Es sieht die vollständige Übertragung des staatlichen Steuerwesens auf Katalonien vor, die gesamten in Katalonien erhobenen Steuern verbleiben in der Region. Das baskische Modell. Außerdem soll die katalanische Sprache in den Mittelpunkt der Sprachpolitik rücken, ein eigenes Ministerium dafür zuständig sein. Auch die von Illa zitierte Plurinationalität Spaniens, ein Horror für die Rechte aus nationalkonservativer Volkspartei PP und den Neo-Fankisten der Vox, zählt zu den ECR-Forderungen. 

Gejagter Puigdemont

Am Tag der Präsidentenwahl belagerte die Polizei Barcelona auf der Jagd nach dem Rückkehrer Carles Puigdemont. Er sollte verhaftet werden, wegen Veruntreuung öffentlicher Mittel. Puigdemont und seine Regierung, neben der christdemokratischen Junts auch mit dabei die beiden Linkskräfte ECR und Cup, finanzierten aus dem Regionalhaushalt von der spanischen Regierung das für illegal erklärte Unabhängigkeitsabstimmung. Deshalb gilt für Puigdemont nicht die Amnestie.

Der abgesetzte Präsident lebt seit acht Jahren im Exil in Brüssel, den spanischen Haftbefehl ignorierten einige europäische Staaten. Trotz der Polizeipräsenz konnte sich Puigdemont, gewählter Abgeordneter im Parlament in Barcelona, wieder absetzen. 

Die Wahl des Sozialisten Illa zum Präsidenten der katalanischen Region freute die liberalen Medien. Illa gilt Überwinder der Herrschaft der Separatisten, fabulierte die “Frankfurter Allgemeine Zeitung”. Was heißt Herrschaft? Eine Mehrheit der Katalanen hatte in den vergangenen Jahren separatistisch gewählt. Warum die Unterstellung von Herrschaft?

Ähnlich argumentierte “Die Zeit”, der Abspaltungsgegner Illa ist neuer katalanischer Regierungschef. 68 Abgeordnete stimmten für ihn, 67 gegen Illa. Ein Neustart, der nicht nur von der Puigdemont-Partei Junts abgelehnt wird, sondern besonders vehement von der bereits erwähnten spanischen Rechten. 

Separatistenführer?

Es ist verwunderlich, wie Medien Puigdemont betiteln, “Separatistenführer”. Eine Zuschreibung aus der Mottenkiste, Stammesführer, Rebellenführer, Religionsführer, Separatistenführer. Ist dann der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher in Autonomisten-Führer? Markus Söder der Bayern-Führer und Björn Höcke der Sachsen-Führer?

Puigdemont wurde in das Regionalparlament gewählt, für seine Partei Junts. In den vergangenen Jahren vertrat Puigdemont Junts im Europaparlament. 

Axel Schönberger von der Plattform “Solidarität für Katalonien” wirft den spanischen Regierungen vor, die Medienberichterstattung über den Konflikt zwischen Spanien und Katalonien zu beeinflussen und zu lenken. Zweifelsohne ein erfolgreiches Unterfangen. Wie die spanische Politik und Justiz auch kriminalisieren Medien das Recht auf Selbstbestimmung, eine demokratische Abstimmung über die Eigenstaatlichkeit gilt offensichtlich als unerträgliche politische Ungeheuerlichkeit.

Schönberger ergänzt: “Seit sieben Jahren versucht der spanische Staat, Präsident Puigdemont unter Vorwänden und mit einem Vorgehen, das nicht rechtsstaatlich war und ist, verhaften zu lassen.” Bei entsprechenden Gerichtsverfahren beispielsweise in Deutschland und in Italien unterlag Spanien mit seinem Ansinnen.

Schönberger zitiert auch die Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen und den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, die Spanien vorwarfen, im Falle der katalanischen Gefangenen gegen internationales Recht verstoßen zu haben.

Löchrige Amnestie

Salvador Illa ist ein enger Vertrauter des Ministerpräsidenten Pedro Sanchez. Er kann regieren, weil auch Junts, die Partei Puigdemonts, bei Amtsantritt Sanchez das Vertrauen aussprach. Im Gegenzug bot Sanchez eine Amnestie an, für die beiden Rechtsparteien PP Vox Vaterlandsverrat. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, federführend mit dabei der CSU-Abgeordnete Manfred Weber, geißelte die Amnestie als einen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit. Spanien auf dem Weg nach Ungarn, warnten die Konservativen.

Mit dem – geplatzten – Versuch, am 8. August Puigdemont in Barcelona zu verhaften, scheint Ministerpräsident Sanchez die parlamentarische Zusammenarbeit mit Junts aufgekündigt zu haben. 

Das katalanische Nachrichtenportal vilaweb beschreibt den von den liberalen Medien gefeierten angeblichen katalanischen Neuanfang als einen tiefgehenden Bruch der jüngsten katalanischen Geschichte. Einige Minister der katalanischen Regionalregierung gelten als ausgesprochene spanische Nationalisten, für die der Staat über alles geht. 

Salvador Illa, der neue starke Mann in Barcelona steht für die konsequente pro-spanische Strömung im PSC, kommentiert vilaweb. Trotz des neuen Ministeriums für die katalanische Sprache ließ Bildungsministerin Esther Niubo´ unmissverständlich wissen, dass die Schule nicht dazu da ist, das Katalanische zu retten, sondern um zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Deutlicher kann eine Absage gar nicht sein, an Katalonien und seine Autonomie. 

Die katalanische Sprache ist gefährdet, nicht das Spanische, das Staatssprache in Spanien ist und auch die Staatssprache von Mexiko bis nach Chile. Eine imperiale Sprache.

Der anti-separatistischen “Abneigung” europäischer Medien und Politik stellt Timothy William Waters seine These “Grenzänderung als Lösung” gegenüber. Waters, einst Mitarbeiter des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Professor an der Maurer School of Law und Mitarbeiter des Center for Constitutional Democracy plädiert in seinem Buch “Boxing Pandora” für die demokratisch legitimierte Änderung von Grenzen und für die Gründung neuer Staaten. 

Waters hinterfragt das aktuelle System, wonach Grenzen nicht angerührt werden dürfen. Genauso widerspricht er der These, dass die unveränderliche Beibehaltung der Grenzen die Welt stabilisiert. 

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