„Ein rabenschwarzer Tag für Europas Minderheiten“

Die Minority-SafePack-Klage der FUEN gegen die Europäische Kommission ist am Mittwoch vom Gericht der Europäischen Union (EuG) abgelehnt worden. Dieses Urteil sei für die Minderheiten in Europa eine riesengroße Enttäuschung, ja ein veritabler Schlag in die Magengrube, schreibt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.

Erschienen als Kolumne VOICES – MINDERHEITEN WELTWEIT im „Der Nordschleswiger“ 

Von Jan Diedrichsen

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat am Mittwoch ein Urteil gefällt, das uns sehr nachdenklich stimmen sollte. Der Gerichtshof gab letztinstanzlich in der Rechtssache Minority SafePack Initiative (MSPI) gegen die Europäische Kommission der Sichtweise der EU-Bürokratie recht. In der Pressemitteilung zur Entscheidung des Gerichts heißt es, die Europäische Kommission habe in ihrem guten Recht gehandelt, als sie die Klage ablehnte. Nach Auffassung des Gerichts „reichen die Maßnahmen, die die Europäische Union bereits ergriffen hat, um die Bedeutung der Regional- oder Minderheitensprachen hervorzuheben und die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern …“

Wir sollten nicht lange herumreden: Dieses Urteil ist für die Minderheiten in Europa eine riesengroße Enttäuschung, ja ein veritabler Schlag in die Magengrube, um es plastisch zu formulieren. Und was noch schlimmer wiegt: Es ist ein deprimierendes Signal für die künftige Rolle der Europäischen Union im Minderheitenschutz. Wir haben es nun amtlich bis auf fromme Sonntagsreden, muss sich die Europäische Kommission nicht weiter anstrengen. Sie tut genug für die Sprachenvielfalt und den Schutz und die Förderung der Minderheiten in Europa. Die Europäische Kommission kann sich nun, mit höchstrichterlicher Zustimmung, ohne schlechtes Gewissen (sofern sie dieses jemals verspürt hat) zurücklehnen und sagen, sie mache alles richtig.

Das Urteil kommt überraschend. In zwei vorherigen Instanzen hatte der EuGH im Sinne der Minderheiten entschieden. Doch nun enden über 10 Jahre MSPI-Kampagne vor Gericht in der juristischen Sackgasse, das ist schon eine herbe Enttäuschung.

Zum FUEN Kongress 2010 in Ljubiana / Laibach in Slowenien war es der Südtiroler Minderheitenexperte Gabriel von Toggenburg, der die Idee einer europäischen Bürgerinitiative für die Minderheiten in Europa erstmals artikulierte. Mit großer Begeisterung wurde die Idee umgesetzt. Nicht zuletzt dem damaligen FUEN-Präsidenten Hans Heinrich Hansen und seiner Vizepräsidentin Martha Stocker war es gelungen, diese Initiative ins Leben zu rufen und erfolgreich auf den Weg zu bringen. Mit vielen Anstrengungen gelang es über 1 Million Unterschriften in Europa zu sammeln.

Die Europäische Kommission hat von Anfang an dem Vorhaben Steine in den Weg gelegt, versucht es zu verhindern, nunmehr mit Erfolg. Ohne dies aktenfest zu benennen, war und ist die Politik der Kommission glasklar: Fragen der Minderheiten gehören allein in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten. Das Thema scheut man im Berlaymont-Gebäude in Brüssel wie der Teufel das Weihwasser.

Die Minderheiten Europas sind politische Kämpfe und das Bohren dicker Bretter gewöhnt und fehlende Anerkennung sowie politische Niederlagen gehören zum Tagesgeschäft vieler Minderheiten. Daher sollte man den politischen Kampfgeist nicht unterschätzen, der ist jetzt auch dringend gefragt.

Es gibt 100 Gründe, warum wir uns weiter auf EU-Ebene für einen effektiven Minderheitenschutz oder einen Minderheitenkodex einsetzen sollten. Ich will hier nur einen dieser Gründe nennen, um die Bedeutung zu unterstreichen: Unter anderem Deutschland drängt auf eine Aufnahme der Balkanstaaten in die europäische Familie. Wie bitte soll das ohne konkrete Vorgaben zur Minderheitenfrage aufseiten der EU funktionieren? Ein Blick nach Bosnien und Herzegowina oder aktuell zwischen Kosovo und Serbien reicht aus. An der Vogel-Strauß-Politik der EU kann man leicht verzweifeln.

Es kommt nun eine große Verantwortung und Aufgabe auf die Dachorganisation der Minderheiten in Europa, die FUEN, zu. Es muss nun eine komplett neue Strategie erarbeitet werden, wie ein Minderheitenschutz auf europäischer Ebene zukünftig aussehen kann, wie dieser durchgesetzt werden kann. Dafür muss die FUEN in einen engen Austausch mit den Mitgliedsorganisationen treten. Denn nur eine gemeinsame Strategie hat die Möglichkeit auf Erfolg. Es braucht die politischen Verbindungen und Erfahrungen aller.

Hierbei ist entscheidend, dass es gelingt, eine über alle Parteigrenzen hinweg und ideologische Instrumentalisierungen verneinende Allianz zu schmieden. Aus dem deutsch-dänischen Grenzland wissen wir aus langjähriger Erfahrung, dass politische Erfolge nur möglich sind, wenn wir politische Vertreterinnen und Vertreter aus allen Lagern zusammenbringen und gemeinsam an dem Ziel arbeiten. Die wiederholten Verteidigungsreden des FUEN-Präsidenten für Viktor Orban („Hexenjagd“) und der Unwillen des FUEN-Präsidiums, sich von der Politik Orbans, – die unter anderem ganz unverhohlen die Instrumentalisierung der Minderheitenfrage in Europa als politisches Kalkül betreibt, – ist aktuell leider eine schwere Hypothek.

Das FUEN-Präsidium muss nun einen Vorschlag erarbeiten und die verschiedenen politischen Akteure, die im Europäischen Parlament, aber auch in den europäischen Regionen wie im deutsch-dänischen Grenzland, in Schleswig-Holstein, in Südtirol, in Sachsen, aber auch in anderen Minderheitenregionen, an einen Tisch bringen. Es bedarf dafür einer Moderatorenrolle mit hoher politischer Glaubwürdigkeit in alle Richtungen.

Vor allem dem Europäischen Parlament kommt eine zentrale Bedeutung zu. Das Parlament hat sich mit beeindruckender Mehrheit für die MSPI ausgesprochen, und die Kommission hat die Abgeordneten ein ums andere Mal mit ihrer unverhohlenen Ablehnung desavouiert. Die erste Reaktion unter anderem von Rasmus Andresen, dem Grünen-Abgeordneten aus Schleswig-Holstein, lässt hoffen, dass es gelingen kann, eine über die Parteigrenzen unterstützende Initiative zu starten.

Der Ball ist bei der FUEN, die nun eine ehrliche und diverse europäische Allianz schmieden muss.

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