21-03-2023
Die Autonomie des Szeklerlands: unerfüllbarer Traum?
Auch 2023 ist der 10. März als „Freiheitstag der Szekler“ mit Kundgebungen im Szeklerland im Herzen Transilvaniens begangen worden. Die ungarischen Szekler gedenken an diesem Tag dreier Märtyrer, die 1854 einen Aufstand gegen die Habsburger Kaiser planten und dafür hingerichtet wurden.
Kundgebung für die Autonomie des Szeklerlands auf dem Heldenplatz in Budapest. Foto: Attila Dabis
Von Thomas Benedikter
Auch 2023 ist der 10. März als „Freiheitstag der Szekler“ mit Kundgebungen im Szeklerland im Herzen Transilvaniens begangen worden. Die ungarischen Szekler gedenken an diesem Tag dreier Märtyrer, die 1854 einen Aufstand gegen die Habsburger Kaiser planten und dafür hingerichtet wurden. Organisiert werden diese Kundgebungen von einer überparteilichen Plattform, dem Szekler Nationalrat (SZNT), der seit 2003 für die Autonomie des Szeklerlands und die Rechte der ungarischen Minderheit kämpft. Seit 2012 dient der „Szekler Freiheitstag“ insbesondere dazu, den Autonomieforderungen der Szekler Gehör zu verschaffen. Die bisher größte Demonstration dieser Art spielte sich im Oktober 2013 ab, als 120.000 Menschen eine 54 Kilometer lange Menschenkette quer durch das Szeklerland bildeten.
Politisch geschürte Missverständnisse
Für nationalistische Rumänen ist Autonomie hingegen ein rotes Tuch. In den Jahresberichten des Geheimdienstes werden die Autonomieforderungen der Szekler als «ethnischer Extremismus» geführt, als ob Territorialautonomie gleichbedeutend mit Sezession oder Umsturz wäre. Die rumänischen Parteien verbreiten immer noch den Irrglauben, dass Territorialautonomie die Integrität Rumäniens untergrabe und gar Sezessionen Vorschub leiste. Viele Beispiele von Autonomie zeigen hingegen, dass sie die Identifikation von Minderheiten mit dem Zugehörigkeitsstaat eher gestärkt hat.
Der Wunsch nach einer Autonomie für das Szeklerland wird seit über 30 Jahren in der rumänischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Je länger die Autonomie von rumänischer Seite tabuisiert oder ignoriert wird, desto weniger greifbar wird sie für die ethnischen Ungarn, sagt der ungarische Politikwissenschaftler und Redakteur einer Zeitschrift für Minderheitenrechte Attila Dabis. Dabis versucht einerseits Missverständnisse auszuräumen, andererseits unrealistische Erwartungen zurecht zu rücken. In seinem Werk „Misbeliefs about Autonomy“ (Peter Lang Verlag, 2021) geht Dabis auf die Machbarkeit und Verfassungsmäßigkeit der angestrebten Territorialautonomie des Szeklerlands ein. Die heutige Verfassungsordnung Rumäniens würde durch eine Sonderautonomie nicht gesprengt, betont Dabis, genau so wenig wie jene Italiens durch die Südtirol-Autonomie oder jene Serbiens durch die Autonomie der Vojvodina. In seiner vergleichenden Analyse entkräftet Dabis diesen auch stark vom rumänischen Nationalismus geprägten Verdacht.
Ohne Autonomie keine Möglichkeit, Politik vor Ort zu gestalten
Für sein aktives Eintreten für die Autonomie des Szeklerlands erhielt Attila Dabis 2018 ein dreijähriges Einreiseverbot nach Rumänien. Ein Jahr nach Ablauf der Frist kehrte der junge Mann nach Siebenbürgen zurück. In einem Interview mit der rumänischen Tageszeitung „Libertatea“ vom 11.8.2022 sprach er sich wieder für eine Autonomie des Szeklerlands aus. Ein Verzicht der Szekler auf Selbstverwaltung und Mitbestimmung in ihrer Region käme nicht in Frage. Gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Szekler Nationalrats, Balázs Izsák, focht er die Entscheidung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 an, die Europäische Bürgerinitiative zu den nationalen Regionen nicht zu registrieren, und gewann den Prozess im Jahr 2019. Sein Engagement wurde auch durch die Feststellung bestärkt, dass die mehrheitlich von Ungarn bewohnten Regionen bei von der EU finanzierten Projekten ins Hintertreffen geraten, was laut Dabis auf das mangelnde Mitbestimmungsrecht zurückzuführen ist.
In einer Autonomie des Szeklerlandes hört die Souveränität des Staates nicht auf zu existieren. Die Gesetzgebung der regionalen Autonomie müsste mit den Gesetzen des Staates übereinstimmen. Eine Steuerautonomie wie beispielsweise in Katalonien würde die wirtschaftliche Benachteiligung des Szeklerlandes beenden und eine stärkere Bindung der Ungarn an den rumänischen Staat nach sich ziehen, wie das Beispiel Südtirols in Bezug auf Italien zeigt. Zwar war die größte Partei der Ungarn Rumäniens, die Sammelpartei der Ungarn Rumäniens RMDSZ (Demokratische Allianz der Ungarn Rumäniens), seit der Wende 1989 fast ununterbrochen an der Regierung in Bukarest beteiligt. Einige wichtige Minderheitenrechte werden in Rumänien geschützt. Doch in der konkreten Selbstverwaltung gibt es in den 32 Jahren nach der Wende kaum Fortschritte, auch nicht im Kerngebiet des Szeklerlands. Dabis ist überzeugt, dass kein Ausweg aus dieser Stagnation an der Autonomie vorbeiführt.
Das letzte Kapitel dieser Auseinandersetzung spielte sich im April 2020 ab. Nachdem das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf eines ungarischen MPP-Abgeordneten zur Einführung von Autonomie im Szeklerland am 28.4.2020 aufgrund eines Terminverfalls durchgewunken hatte, lehnte der Senat in Bukarest den Vorschlag tags darauf sofort und ohne Diskussion ab. In ihren Erklärungen übertrafen sich die rumänischen Parteien in der Schärfe der Zurückweisung des Autonomieanspruchs. Sogar der deutschstämmige Staatspräsident Klaus Iohannis ließ sich zu einer abfälligen Bemerkung über die Autonomievorschläge der Szekler hinreißen.
Welche Perspektiven für Territorialautonomie in Rumänien?
In den letzten 22 Jahren haben die politischen Vertreter der Ungarn nicht weniger als 16 Vorschläge für ein Autonomiestatut vorgelegt, ohne den geschlossenen Widerstand der rumänischen Parteien aufbrechen zu können. Bestehen dennoch Möglichkeiten, in ganz Rumänien ein gewisses Maß an Regionalisierung einzuführen und damit dem Szeklerland eine Art Sonderautonomiestatus einzuräumen, etwa nach dem Vorbild des asymmetrischen Regionalismus in Italien und Spanien? Eher das Gegenteil ist im heutigen Rumänien der Fall: es gibt Diskussionen um die Rezentralisierung, z.B. beim Bildungswesen. Dies würde bedeuten, dass den bestehenden Bezirken Finanzen und Entscheidungsmacht genommen werden. Diese haben zwar gewählte Bezirksräte und Bezirkspräsidenten, aber keinerlei legislative Befugnisse. Keine gesamtstaatlich-rumänische Partei will heute eine echte Dezentralisierung.
Auf dem Tisch liegt die Stärkung der Minderheitenrechte, insbesondere der Sprachenrechte, auch die Frage der Kulturautonomie der ethnisch-sprachlichen Minderheiten. Ein dementsprechender Gesetzentwurf der RMDSZ, 2005 vorgelegt, ist aber nie behandelt worden. Unter den Ungarn Rumäniens gibt es auch die Befürchtung, dass die Sammelpartei RMDSZ auch als Selbstverwaltungskörperschaft institutionalisiert werden könnte und dadurch noch mehr Machtkonzentration und Klientelismus gefördert würde. Kulturautonomie würde zwar dem Bedarf der verstreut in kleineren Gemeinden im Westen und Norden Siebenbürgens lebenden Ungarn entgegenkommen. Für die Szekler im angestrebten Autonomiegebiet wäre es allemal zu wenig.
Die Ungarn des Szeklerlands erwarten sich von Territorialautonomie echte Gleichberechtigung in der Politik, im Wirtschaftsleben, im öffentlichen Dienst, bei Sprachenrechten. Sie sind die ständige Unterordnung unter die Staatssprache, unter die zentrale Bürokratie, die Vorgaben der Zentralregierung, die alle maßgeblichen Entscheidungen trifft, leid. Ein Grundproblem besteht darin, dass es trotz Minderheitenschutz bei Sprachenrechten und im Bildungswesen keine echte Gleichberechtigung zwischen Rumänen und Ungarn gibt. Rumänen lernen fast nie Ungarisch. Was die Ungarn Rumäniens stört, ist die indirekte Diskriminierung, das Fehlen echter Gleichstellung, der ungleiche Zugang zu höheren Positionen und zum öffentlichen Dienst im Allgemeinen. Die Ungarn wollen sprachlich gleichberechtigt sein und gleiche Chancen auf sozialen Aufstieg haben wie ethnische Rumänen. Die Ungarn verlangen echte Gleichstellung in ihrer angestammten Region. Den Rahmen dafür müsste eine Territorialautonomie bilden.
Das vorgeschlagene Autonomiegebiet des Szeklerlands und heutige Distriktgrenzen
Quelle: Von Andrein - Eigenes Werk. References:Consiliul National Secuiesc: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5554534 – Public Domain
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