01-09-2024
Das Leuchten der Rentiere: Ein Weckruf aus dem Land der Sami
Die Sami, das letzte indigene Volk Europas, kämpfen seit jeher um ihre Existenz. Der Streaminganbieter Netflix macht die Geschichte der Sami nun mit seiner neuesten Produktion einem globalen Publikum zugänglich. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, schreibt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne „Voices – Minderheiten weltweit“.
Von Jan Diedrichsen
Mit „Das Leuchten der Rentiere“ bringt Netflix erstmals eine Geschichte aus dem Land der Sami auf die Bildschirme der Welt – und trifft damit einen Nerv, der weit über die Grenzen Skandinaviens hinausgeht. Der Film basiert auf Ann-Helén Laestadius’ gleichnamigem Roman und thematisiert das, was seit Generationen in der Region geschieht: das langsame Verschwinden einer Kultur, die von Umweltzerstörung, Rassismus und staatlicher Ignoranz bedroht ist.
Die Sami, das letzte indigene Volk Europas, kämpfen seit jeher um ihre Existenz. Sie leben in den nördlichen Teilen von Schweden, Norwegen, Finnland und Russland, einem Gebiet, das sie als das Land der Sami bezeichnen. Ihre Lebensgrundlage, die Rentierzucht, wird durch den Klimawandel und die Industrialisierung zunehmend bedroht. Wälder werden gerodet, Bergbauprojekte verschlingen das Land, und die Rentierweiden, die für das Überleben der Sami von entscheidender Bedeutung sind, schrumpfen rapide.
Doch es sind nicht nur äußere Einflüsse, die den Sami zu schaffen machen. Wie Laestadius in ihrem Roman und nun auch der Netflix-Verfilmung eindrucksvoll schildert, leiden die Sami auch unter Rassismus und einer systematischen Marginalisierung. Diese äußert sich in einem oft übersehenen, aber tief verwurzelten Hass, der sich nicht selten gegen die Rentierherden richtet, die für die Sami mehr sind als nur ein wirtschaftlicher Faktor – sie sind ein integraler Bestandteil ihrer Identität und Kultur.
„Das Leuchten der Rentiere“ greift diese Realität auf und erzählt die Geschichte der jungen Elsa, die als Kind miterlebt, wie ein Rentierkalb brutal getötet wird. Dieser Akt der Gewalt, der weit mehr als nur ein Verbrechen gegen ein Tier darstellt, verfolgt Elsa ihr Leben lang. Der Film zeigt eindrücklich, wie diese und andere Übergriffe, die von der Polizei oft nur als „Diebstahl“ abgetan werden, die samische Gemeinschaft zutiefst erschüttern und zu einem schleichenden Verschwinden ihrer Kultur führen.
Regisseurin Elle Márjá Eira, selbst Sami und Rentierbesitzerin, bringt in ihrem Film eine Authentizität ein, die weit über das hinausgeht, was man in Mainstream-Produktionen normalerweise sieht. Sie zeigt nicht nur das Leiden der Sami, sondern auch ihre Widerstandskraft. Die Kamera fängt die weite, karge Schönheit des Landes ein und unterstreicht damit die tiefe Verbundenheit der Sami mit ihrer Heimat und den Rentieren, die für sie heilig sind. Diese Verbundenheit spiegelt sich auch in der traditionellen Kleidung und den Liedern wider, die im Film vorkommen.
Die Geschichten der Sami sind nicht nur Erzählungen aus der Vergangenheit – sie sind hochaktuell und spiegeln die fortwährende Unterdrückung indigener Völker weltweit wider. Dass Netflix diese Geschichte nun einem globalen Publikum zugänglich macht, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Ann-Helén Laestadius, die selbst Hunderte Polizeiberichte über getötete und verstümmelte Rentiere gelesen hat, die nie zu einer Anklage geführt haben, schafft es mit ihrem Werk, das Schweigen zu brechen. Doch der Film zeigt nicht nur die Dunkelheit und das Leid, sondern auch die Hoffnung und die Möglichkeit des Wandels. Wie Laestadius selbst sagt: „Ich habe keine Sprache und keine Rentiere, aber mein Herz ist samisch, und niemand kann mir das nehmen.“ Der Netflix-Film zeigt: Die Identität der Sami mag bedroht sein, aber sie ist nicht verloren.
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