Bundestagswahl 2021: Anerkennung des Genozids an den Yeziden

Nobody’s Listening - Die GfbV bietet aktuell im zkm in Karlsruhe gemeinsam mit internationalen Partnern "eine immersive Kunst- und Virtual-Reality-Ausstellung des vergessenen Völkermordes an der jesidischen Gemeinschaft im Irak" www.gfbv.de

Jan Diedrichsen

Nach der Bundestagswahl am 27. September 2021 laufen derzeit die Sondierungsgespräche zwischen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP. Mit dem bald zu erwartenden Beginn der Koalitionsverhandlungen wird es konkret: Die Parteien müssen sich auf zentrale Politiken der nächsten Jahre einigen. Bei den divergierenden Positionen kommt dem zu verhandelnden Koalitionsvertrag große Bedeutung zu. 2017 umfasste der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD 175 Seiten.

Durch gezielte Einflussnahme bietet sich nun ein „Window Of Opportunity“, um auf die Verhandlungsteams Einfluss zu nehmen und für den Minderheitenschutz, den Schutz der bedrohten Völker weltweit und den Menschenrechten im Allgemeinen wichtige Positionen einzubringen, an denen sich die nächste Regierung wird messen lassen müssen.

In den nächsten Tagen wird VOICES einige Schwerpunkte anführen, die in einen Koalitionsvertrag gehören:

Anerkennung des Genozids an den Yeziden

Es gibt einen zu denken, dass es einer Bundestagspetition bedarf, um das Parlament in Berlin dazu zu bewegen, sich für die Anerkennung des Völkermordes an den Yeziden auszusprechen. Eine Unterschriftenaktion auf den Straßen und im Internet, begleitet von verschiedenen Menschenrechtsaktivist:innen hat es geschafft. Es war eine am Ende knappe und von technischen Problemen des Bundestages begleitete Aktion. Die nötigen 50.000 Unterschriften wurden jedoch zwischenzeitlich vom Petitionsbüro des Deutschen Bundestages bestätigt: Glückwunsch!

Aber warum sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht selbst aktiv geworden? Warum braucht es „den Druck der Straße“, bevor etwas geschieht? Hier wäre eine detaillierte Ursachenforschung interessant. Das Zaudern verwundert.

Es gibt völkerrechtlich und in der Forschung keine belastbaren Zweifel, dass es sich 2014 nicht um einen grausamen Völkermord der ISIS-Schergen gehandelt hat, der noch heute anhält.

Deutschland, das bereits bei der Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern und im Umgang mit dem Völkermord an den Herero und Nama wenig souverän agierte, hätte schon lange aktiv werden müssen.

Dabei wäre Deutschland mit Nichten das erste Land.  Zahlreiche Parlamente und internationale Institutionen haben den Völkermord schon anerkannt (Das Europäische Parlament, Vereinigten Staaten, Frankreich, Schottland, Armenien, Kanada etc).

Die Forderung an die Verhandlungsteams zur Erarbeitung des Koalitionsvertrages ist simpel: Anerkennung des Völkermordes an den Yeziden durch den Deutschen Bundestag!

Der Genozid

In den Sommermonaten 2014 wurden die yezidischen und christlichen Gemeinschaften von Ninive und Shingal (Sinjar) – sowie eine Vielzahl anderer Personen, die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen im Irak angehören – belagert. Der sogenannte Islamische Staat (ISIS) rückte in Irak und Syrien vor. Unter der Androhung von Tod, Versklavung und Zwangskonvertierung verließen Hunderttausende ihre Häuser. Es wird angenommen, dass innerhalb weniger Tage fast 10 000 Yezid:innen getötet wurden. Tausende von Frauen und Mädchen wurden verschleppt und versklavt. Die Gewalt erfasste das gesamte Gebiet, von der Großstadt Mosul bis zu den kleinen Dörfern in der Umgebung von Shingal.

Für den ISIS gelten die Yezid:innen als „Gottlose“  und „Teufelsanbeter“. Die ISIS-Kämpfer waren angewiesen, sie gefangen zu nehmen oder auf der Stelle zu ermorden. Mehr als 200 000 Menschen flohen. Einigen gelang es, in die Autonome Region Kurdistan, nach Syrien oder in die Türkei zu fliehen, aber bis zu 50 000 Menschen saßen auf dem Berg Shingal fest.

Am 7. August 2014 genehmigte US-Präsident Barack Obama Luftangriffe gegen ISIS in Shingal. Kurz darauf warfen US-Flugzeuge Lebensmittel und Wasser für die Zehntausenden auf dem Berg Eingeschlossenen ab. Mit Hilfe der US-Luftangriffe gelang es den kurdischen Kräften, einen Fluchtweg freizukämpfen. Berichten zufolge starben jedoch Hunderte während der Belagerung an Hunger, Durst und Erschöpfung. Kurdische Kräfte befreiten Shingal später im November 2015.

Sowohl ein Ende 2014 veröffentlichter Bericht von Amnesty International als auch der Bericht des Simon-Skjodt-Zentrums beschreiben die systematische Ermordung und Entführung:

In Kocho wurden mehr als tausend Yezid:innen zusammengetrieben und ihrer Wertsachen beraubt. Sie wurden zunächst in zwei Gruppen aufgeteilt: Männer sowie Frauen und Kinder. Überlebende beschreiben, wie die Männer zu Massengräbern gebracht wurden, wo ISIS-Schergen sie filmte, bevor sie das Feuer eröffneten. In der Zwischenzeit wurden junge Frauen und Mütter mit Kindern von älteren Frauen getrennt und dann entführt. Etwa 400 Männer wurden getötet; Hunderte von Frauen wurden entführt und versklavt.

Überlebende des Massakers in Qiniyeh berichten ähnliche Gräueltaten. Dem Amnesty-Bericht zufolge wurden Männer und Jungen über 12 Jahren von den Frauen getrennt, bevor ISIS sie in Gräben am Rande der Stadt brachte. Als die Schießerei begann, überlebten einige junge Männer, indem sie vortäuschten, getötet worden zu sein, und später entkamen. Frauen wurden als Sexsklavinnen für ISIS-Kämpfer verschleppt und gezwungen, zum Islam zu konvertieren.

Obwohl die Massaker in Kocho und Qiniyeh die größten bekannten sind, war der Genozid des ISIS nicht auf diese Dörfer beschränkt. Es wurden zahlreiche Massengräber entdeckt.

Eine UN-Untersuchung der Verbrechen enthält zahlreiche erschütternde Berichte von yezidischen Frauen und Mädchen, die Sklaverei, Missbrauch und Vergewaltigung durch ISIS-Kämpfer beschreiben. Die Überlebenden beschreiben ausgeklügelte und systematische Sklavenbörsen, bei denen versklavte Frauen oft mehrmals verkauft und wiederholt vergewaltigt, geschlagen, bedroht und gewaltsam gezwungen wurden. Die UNO geht davon aus, dass ISIS diese sexuelle Gewalt als Mittel zum Völkermord weiterhin einsetzt. Bis heute werden Tausende Yezid:innen vermisst, darunter rund 3.000 Frauen.

Quellen:

Kikoler, Naomi. ‚Our Generation is Gone‘: The Islamic State’s Targeting of Iraqi Minorities in Ninewa. Simon-Skjodt Center for the Prevention of Genocide, 2015.

Amnesty International UK. „Iraq: Hundreds massacred in ethnic cleansing by Islamic State.“ September 1, 2014.

Office of the High Commissioner for Human Rights. Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the human rights situation in Iraq in the light of abuses committed by the so-called Islamic State in Iraq and the Levant an.

Kurdistan Regional Government – Representation in the United States: ISIS genocide of Yezidis and Christians

 

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