11-08-2025
Armenien-Aserbaidschan: Langer Weg zum Friedensvertrag
"Frieden" gibt es nur im Tausch gegen Land, Armenien muss auf Arzach verzichten

Sangesur-Korridor. Quelle: Civilnet, www.civilnet.am/en/news/967844/opinion-the-dead-end-corridor/
Von Tessa Hofmann
Der Konflikt um die seit annähernd drei Jahrtausenden überwiegend von Armeniern bevölkerte Region Arzach – international als Berg-Karabach bekannt – wird in der Regel als zwischenstaatlicher Konflikt der südkaukasischen postsowjetischen Republiken Armenien und Aserbaidschan dargestellt.
Eine sehr vereinfachende und die Wirklichkeit verzerrende bzw. ignorierende Darstellung. Denn tatsächlich bildete das Unabhängigkeitsbestrebungen der indigenen armenischen Bevölkerung Arzachs die Konfliktursache: Nach 70 Jahren der Zwangszugehörigkeit zu Sowjetaserbaidschan hatten die dortigen Armenier genug von der aserbaidschanischen Oberherrschaft.
„Gelöst“ wurde dieser Konflikt durch die genozidale Aushungerung der Arzacher Bevölkerung 2022-2023 und ihre völkerrechtswidrige Vertreibung ab dem 19. September 2023, nachdem der Regierungschef der Republik Armenien, Nikol Paschinjan, im Oktober 2022 in Prag erklärt hatte, Berg-Karabach gehöre zu Aserbaidschan. Als Regierungschef der Republik Armenien war er zwar zu dieser Verzichtserklärung nicht legitimiert, aber was soll`s? Er bekam den Beifall der EU und USA.
Von nun an ging es nur noch darum, wer den armenisch-aserbaidschanischen Friedensschluss vermittelt. Die Regierungen Irans, der Türkei, Russlands, Frankreichs und der USA wetteiferten um diese Rolle.
And The Winner is… Donald Trump
Am Ende machte der Staat das Rennen, der dem Südkaukasus am entferntesten liegt und dort bislang das geringste militärische, ökonomische oder politische Engagement gezeigt hat: die USA. Am 9. August 2025 paraphierten auf Einladung Trumps Aserbaidschans Präsident Ilham Alijews und der armenische Regierungschef Paschinjan im Weißen Haus eine gemeinsame Verzichtserklärung auf militärische Intervention, deren Inhalt erst am 11. August bekannt gegeben werden soll. Die euphorischen Äußerungen, die Trump, Paschinjan und Alijew anlässlich der Verzichtserklärung von sich gaben, erwecken den Eindruck, dass nun nach 35 Jahren des Konflikts alles in Ordnung sei.
„Armenien und Aserbaidschan verpflichten sich, alle Kämpfe für immer einzustellen, den Handel, den Reiseverkehr und die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen und die Souveränität und territoriale Integrität des jeweils anderen zu respektieren“, schwärmte Trump und machte vergessen, dass eine Verzichtserklärung noch kein Friedensschluss ist.
Tatsächlich war bereits Ende März 2025 die Rede davon, dass der Friedensvertrag unterschriftsreif sei. Aber anscheinend war er es dann doch nicht, da Aserbaidschan immer wieder Forderungen nachschob, die sich der armenischen Bevölkerung und insbesondere den armenischen Intellektuellen schlecht vermitteln ließen.
So forderte Aserbaidschan von seinem Nachbarland, dass es seine Verfassung ändern und insbesondere deren Präambel streichen müsse, die die Vereinigung mit Berg-Karabach zum Staatsziel erklärte. Nikol Paschinjan wich diesem Verlangen mit der Behauptung aus, dass in Armenien internationales vor nationalem Recht gelte und daher eine Verfassungsänderung gar nicht nötig sei; falls aber doch, müsse diese mit einem Referendum durchgeführt werden, das zeitlich erst nach den nächsten Wahlen im Juni 2026 möglich sei. Unklar ist derzeit, ob Alijew weiterhin auf der armenischen Verfassungsänderung beharrt. Bei genauerem Hinsehen bleiben viele Fragen offen.
TRIPP-Korridor: armenische Sackgasse oder US-Deal?
Trump wäre nicht der Deal-versessene Geschäftsmann, wenn er sich nicht seine Rolle als selbsternannten Friedensstifter mit einem Geschäftsabkommen entlohnt hätte. Dieses betrifft den Verbindungskorridor, den Aserbaidschan auf der Grundlage des Waffenstillstandsabkommens vom 10. November 2020 durch armenisches Hoheitsgebiet in seine (bis 1921 ebenfalls armenisch bevölkerte) Exklave Nachitschewan und damit zum „Bruderstaat“ Türkei schlagen möchte.
Am 9. August ging es entsprechend in Washington nicht nur um Fortschritte bei der Finalisierung eines Friedensabkommens. Die USA unterzeichneten separate Abkommen mit Aserbaidschan und Armenien, um die Kooperation in den Bereichen Energie, Handel und Technologie, einschließlich künstlicher Intelligenz, auszubauen. Trump hob zudem die Beschränkungen für eine militärische Zusammenarbeit mit Baku auf, die 1992 unter der Regierung von George H.W. Bush aufgrund des Ersten Karabach-Krieges (1990-94) verhängt worden waren.
Ein entscheidender Punkt bei den Wirtschaftsbeziehungen ist die Wiedereröffnung von Handelsrouten im Südkaukasus, die seit den 1990er Jahren geschlossen waren. Von besonderer Bedeutung ist der sogenannte knapp 40 Kilometer lange Sangesur-Korridor, der in „Trump-Route für internationalen Frieden und Wohlstand“ (TRIPP) umbenannt werden soll.
Washington soll Pachtrechte für den Transport-Korridor erhalten, das Projekt jedoch unter armenischer Gerichtsbarkeit stehen. Die USA sollen das Land an ein privates US-Unternehmen verpachten, das Bau und Verwaltung übernimmt. In diesem Zusammenhang ist die Rede von einer Eisenbahnlinie, Öl- und Gasleitungen sowie Glasfaserleitungen, um den Transport von Gütern und Menschen zu ermöglichen. Die Verhandlungen über den Betreiber des Korridors beginnen am 11. August 2025.
Längst nicht alle selbst ernannten oder faktischen Experten teilen die Begeisterung über die Vereinbarungen zum TRIPP-Korridor. Hier möchte ich die Bedenken zitieren, die der ehemalige Außenminister der Republik Armenien (1998-2008), Wardan Oskanjan (Wartan Oskanian), am 9. August 2025 über den TRIPP-Korridor geäußert hat; in seiner Amtszeit war der in Aleppo geborene und aufgewachsene Oskanjan ein ausgewiesener Vertreter einer multipolaren, auf Interessenausgleich beruhenden Außenpolitik Armeniens.
Wardan Oskanjan: Der Sackgassen-Korridor
In Washington empfing US-Präsident Donald Trump Nikol Paschinjan und Ilham Alijew. Das Treffen wird wahrscheinlich mit einer Vereinbarung über eine Transitroute zwischen Aserbaidschan und seiner Exklave Nachitschewan enden – präsentiert als von den USA vermittelter Durchbruch, vielleicht sogar unter dem Namen „Trump Route for International Peace and Prosperity“ (TRIPP).
Bevor jemand applaudiert, lassen Sie uns eines klarstellen: Es spielt keine Rolle, ob der Korridor von Armenien, den Vereinigten Staaten oder einem „internationalen Betreiber“ betrieben wird, ob er für hundert Jahre, zehn Jahre oder ein Jahr gepachtet wird, ob er als neutrale „Sjunik-Straße“ präsentiert oder in diplomatische Euphemismen verpackt wird.
Die Tatsache, dass Armenien bereit ist, die Kontrolle über einen Teil seines Hoheitsgebiets – vorübergehend oder dauerhaft – abzugeben, ist inakzeptabel. Der eigentliche Skandal ist nicht, ob das Abkommen gut oder schlecht ist, sondern dass es überhaupt existiert.
Seit Jahren wird der sogenannte „Sangesur-Korridor“ von Baku als politische Waffe eingesetzt, um die Souveränität Armeniens zu untergraben und die Nachkriegsordnung neu zu schreiben. Anstatt diese Prämisse rundweg abzulehnen, hat die Vermittlung Washingtons sie nun weiter legitimiert, indem sie eine von Aserbaidschan erfundene Forderung in einen Punkt für „kreative Problemlösungen“ verwandelt hat. Das ist diplomatisch gesehen so, als würde man darüber verhandeln, wie viel von seinem Vorgarten man abgeben will, anstatt darauf zu bestehen, dass der Zaun dort bleibt, wo er hingehört.
Durch „technische“ Diskussionen über Verwaltungsmodelle, Pachtbedingungen und die Neutralität des Betreibers wird Armenien in eine Falle gelockt, die den Korridor als unvermeidlich behandelt. Sobald sich die Debatte von der Frage, ob der Korridor existieren soll, zu der Frage verschiebt, wie er funktionieren könnte, ist das Grundprinzip der Souveränität bereits kompromittiert.
Lassen Sie uns klarstellen: Armenien hat niemals zugestimmt, einem anderen Land extraterritorialen Zugang durch Sjunik zu gewähren. Das armenische Recht verbietet ausdrücklich die Verpachtung von Land für solche Zwecke.
Die Initiative „Crossroads of Peace“ – Armeniens eigener Rahmen – bietet regionale Konnektivität auf der Grundlage von Souveränität, Gerichtsbarkeit, Gegenseitigkeit und Gleichheit. Ein „TRIPP“-Abkommen, das einen Straßenabschnitt langfristig (bis zu 99 Jahren) unter US-Kontrolle stellt, verstößt gegen alle vier Grundsätze. Der Iran hat bereits deutlich gemacht, dass er keine ausländische militärische oder politische Präsenz in Sjunik tolerieren wird.
Diese Warnungen sind nicht nur reine Rhetorik: Sjunik ist sowohl eine strategische Lebensader für Armenien als auch ein wichtiges Bindeglied in der Nord-Süd-Achse. Es zu einem Verhandlungsobjekt für geopolitische Machenschaften zu machen, gefährdet sowohl die Sicherheit Armeniens als auch die regionale Stabilität.
Befürworter werden argumentieren, dies sei ein pragmatischer Kompromiss, um die Friedensgespräche voranzubringen. Aber welche Art von Frieden beginnt mit der Aushöhlung der Souveränität einer Seite? Einige mögen behaupten, eine Präsenz der USA biete eine „neutrale Garantie”. Neutralität ist jedoch bedeutungslos, wenn die Vermittlung des Korridors an sich bereits den Forderungen Aserbaidschans entspricht.
Wenn das Ziel echter Frieden sein soll, müssen beide Seiten auf ihn vertrauen. Falls Aserbaidschan darauf besteht, dass es normalen armenischen Straßen nicht ohne einen „Trump“-Korridor vertrauen kann, um Nachitschewan zu erreichen, dann erfordert die Gegenseitigkeit einen „Trump“-Korridor innerhalb Aserbaidschans, damit Armenier für Handel und Reisen sicher Zugang zum Kaspischen Becken haben.
Das Treffen zwischen Paschinjan, Alijew und Trump mag in einigen Kreisen als diplomatischer Meilenstein gefeiert werden. In Wahrheit läuft es jedoch Gefahr, zu einem Vorzeigeprojekt zu werden, das eine inakzeptable Konzession im Friedensprozess zementiert. Die Debatte über den Korridor hätte niemals geführt werden dürfen. Anstatt kluge Kompromisse über seine Bedingungen zu begrüßen, besteht die einzige prinzipielle Haltung darin, ihn rundweg abzulehnen.
Siehe auch:
– Sangesur-Korridor
– “Das Gedächtnis der Menschheit ist nicht so kurz, wie die Täter vermuten”
– Armenien und der Aghet
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