Afrika – Sezessionistische Bewegungen drängen auf Emanzipation (2)

Die von den postkolonialen Staaten übernommen Kolonialgrenzen verhindern die Entkolonisierung

Die äthiopische Zentralregierung zerschlug gemeinsam mit der Armee aus Eritrea die sezessionistische Bewegung in Tigray. Foto: tplf

Die äthiopische Zentralregierung zerschlug gemeinsam mit der Armee aus Eritrea die sezessionistische Bewegung in Tigray. Foto: tplf

Von Wolfgang Mayr

 

Das verdeutlichen die Beispiele Südkamerun, Südsudan, Somaliland, das senegalesische Casamance. Diese Regionen fühlen sich vom postkolonialen Staat “verraten”, der Kampf um Land und Ressourcen beispielsweise in der Westsahara, in Katanga oder Cabinda geht trotz Entkolonisierung weiter, die regionalen Eliten bündeln Gruppeninteressen, die staatlichen Behörden reagieren gewaltsam auf substaatliche Forderungen, die Mobilisierung der Menschen aufgrund so genannter „Identitätsmarker“ wie Sprache, Religion, Kultur sowie die Unterstützung durch Diasporagemeinschaften.

In den vergangenen zehn Jahren entstanden 25 Sezessionsbewegungen, der Sezessionismus ist aber weiter verbreitet. Die Erfolge sind überschaubar. Seit dem südsudanesischen Referendum 2011 ist es keiner afrikanischen Sezessionsbewegung gelungen, die Unabhängigkeit, ein Selbstbestimmungsreferendum oder auch nur eine Vereinbarung über eine sinnvolle Dezentralisierung zu erreichen.

Die Sezessionsbewegung der Azawad im westafrikanischen Mali ist eine der wenigen, die in den letzten zehn Jahren in Verhandlungen mit den Zentralbehörden über eine Dezentralisierung einbezogen wurde. Nach einem Versuch, im Norden Malis 2012 einen unabhängigen Staat unter Führung der Tuareg zu gründen, wurden die von der MNLA angeführten Sezessionisten von einer Koalition islamistischer Milizen militärisch niedergeschlagen. Die MNLA und andere Gruppen schlossen 2015 ein Abkommen mit den malischen Behörden, das zu einer weiteren Dezentralisierung hätte führen sollen. Das Abkommen wurde nicht umgesetzt.

Andere Sezessionsbewegungen waren in den letzten Jahren in Westafrika aktiv. Die Gespräche zwischen der senegalesischen Regierung und einer zersplitterten Casamance-Bewegung haben bisher zu keiner Einigung geführt. Neue Konflikte sind wieder aufgebrochen.

 

Fanal Biafra

Biafra bleibt weiterhin das zentrale Element in der Neugestaltung des postkolonialen Afrikas. Es gibt jedoch noch andere Beispiele, wie den Fall von West-Togoland in Ghana, der 2017 wieder aufbrach oder die Sezessionsbestrebungen der Yoruba, die die Oduduwa-Republik im Südwesten Nigerias ausriefen.

In Nordafrika lehnt die Besatzungsmacht Marokko die Forderungen der Saharuis nach einem Referendum weiterhin ab. Marokko verschärfte seine Repressionen gegen die sahaurische Bevölkerung. In Libyen strebten einige Amazigh-Städte im Nafusa-Gebirge eine kulturelle Autonomie an, in der östlichen Cyrenaica-Region wird die Loslösung von Libyen gefordert.

Die Forderung nach Selbstbestimmung in der mehrheitlich von Amazarenern bewohnten Kabylei wurde von den algerischen Behörden mit anhaltender Repression beantwortet. Nach Massenprotesten 2016 haben einige Gruppierungen im nordmarokkanischen Rif vorgeschlagen, die in den 1920er Jahren gegründete Rif-Republik wieder ins Leben zu rufen.

Im Sudan sollte das Abkommen von 2020 die vom Krieg verwüsteten Regionen Darfur, Süd-Kordofan und Blauer Nil ein gewisses Maß an Dezentralisierung bringen wird. Der jüngste Krieg zwischen dem Militär und den Islamisten trug zu einer weiteren nachhaltigen Verwüstung der genannten Regionen bei. In Darfur verübten die Islamisten wieder einen Völkermord an der dortigen schwarzafrikanischen Bevölkerung.

 

Es gärt zwischen Ost- und Zentral-Afrika

Weiter südlich, in der ostafrikanischen Region, bemüht sich der de facto unabhängige Staat Somaliland um die internationale Anerkennung. Mit begrenztem Erfolg. Somalia lehnt das Recht des Somalilandes auf Unabhängigkeit ab und bietet eine föderale Lösung an.

Das Medieninteresse in der Region richtete sich auf Äthiopien, das 2020 gemeinsam mit der Armee von Eritrea Krieg gegen die Region Tigray führte. Tigray forderte eine stärkere Beteiligung an der Zentralmacht (wie es in der Zeit von 1991 bis 2018 der Fall war), die Ausweitung der Autonomie der Region Tigray. Andere Autonomie- und/oder Unabhängigkeitsforderungen wurden in den letzten zehn Jahren in anderen äthiopischen Bundesstaaten wie Oromia oder Somali erhoben.

Ebenfalls in Ostafrika haben mehrere Gruppen in der kenianischen Küstenregion 2012 und 2013 für einen eigenen Staates demonstriert. Ein Staat, der um die Städte Monbasa und Lamu herum entstehen sollte. Ursache für die Proteste waren die beklagte die wirtschaftliche und politische Marginalisierung. Mit einer Reform reagierte Kenia 2013, so wurden Finanz- und Verwaltungsbefugnissen an die Bezirksregierungen übertragen. Die Dezentralisierung entschärfte den Konflikt, die Dezentralisierung beseitigte aber nicht die wirtschaftlichen Missstände.

Auch in Zentralafrika gärt es, nämlich in Südkamerun (auch bekannt als Ambazonien) und Cabinda, den beiden wohl aktivsten Sezessionsbewegungen in der Region. In beiden Fällen ist ein bewaffneter Konflikt zwischen der nationalen Armee (Kamerun bzw. Angola) und mehreren sezessionistischen Gruppen im Gange. In Kamerun haben Gespräche stattgefunden, die jedoch bisher zu keinen Ergebnissen geführt haben.

 

Und im Süden?

Auch in Angola gibt es Spannungen in der nordöstlichen Region. Dort fordert die Organisation MPPLT eine größere Autonomie für ihr Land, für Lunda Tchokwe. Es wurde aber auch Forderungen nach Sezession für den gesamten Osten des Landes formuliert. Nach Ansicht der MPPLT war Lunda Tchokwe nie formell Teil der portugiesischen Kolonie Angola und hätte daher das Recht auf Selbstbestimmung. Eine Argumentation, die sich mit der der Sezessionisten von Cabinda deckt.

2021 wurde ein MPPLT-Protest von der angolanischen Polizei niedergeschlagen, mehrere Demonstranten wurden dabei getötet. In der Nähe von Lunda-Tchokwe, aber auf der anderen Seite der internationalen Grenze, haben einige Gruppen im alten Königreich Barotseland Forderungen nach Autonomie oder sogar Abspaltung von Sambia erhoben.

Die Barotseland-Bewegung behauptet, dass Sambia eine Vereinbarung aus dem Jahr 1964 nicht eingehalten hat. Diese Vereinbarung sieht vor, daß das Gebiet ein gewisses Maß an Devolution hätte genießen sollte. Die Bewegung wirft sambischen Behörden vor, ihr Land wirtschaftlich marginalisieren. Proteste gab es 2010 bis 2014, drei Politiker der Barotseland-Bewegung wurden wegen angeblichen Betrugs verurteilt.

Relativ ruhig ist die Lage im südlichen Afrika. Dennoch sind auch dort einige Sezessionsforderungen erhoben worden. Während Namibias kaprivianische Selbstbestimmungsforderungen seit Jahren weitgehend ruhen, hat es in Simbabwes westlicher Provinz Matabeleland einen „Aufschwung des ethnischen Bewusstseins pro-Mthwakazi“ gegeben. Eine Reihe von politischen Organisationen und Parteien haben sich seit 2000 etabliert und fordern die Abspaltung Matabelelands von Simbabwe. Sie begründen ihre Forderungen mit der wahrgenommenen Diskriminierung des Ndebele-Volkes durch die Shona, die die Mehrheit im Land stellen.

Unterdessen haben in Südafrika mehrere afrikanische und/oder burenstämmige Gruppen erfolglos Forderungen nach der Wiederherstellung getrennter politischer Einheiten für die Bevölkerungsgruppen erhoben. Vor allem Weiße und Farbige. Seit 2016 fordert die Cape Independence Party ein Referendum über die Abspaltung ihrer Kap-Nation von Südafrika.

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