Nordafrika-Westsahara: Unter marokkanischer Herrschaft

Die Sahrauris und ihre Befreiungsbewegung in der politischen Sackgasse (2)

Ein halbes Jahrhundert marokkanischer Besatzung machte die Sahrauis im eigenen Land zu einer schrumpfenden Minderheit, sagte die sahaurische Aktivistin Yaguta El-Mokhtar Moulay auf der Ciemen-Coppieters-Tagung in Barcelona. Foto: Gerard Magrinya

Ein halbes Jahrhundert marokkanischer Besatzung machte die Sahrauis im eigenen Land zu einer schrumpfenden Minderheit, sagte die sahaurische Aktivistin Yaguta El-Mokhtar Moulay auf der Ciemen-Coppieters-Tagung in Barcelona. Foto: Gerard Magrinya

Von Wolfgang Mayr

 

Die katalanische NGO Ciemen organisierte (19. Juni) in Barcelona in Zusammenarbeit mit der Coppieters Foundation, dem Think Tank der Europäischen Freien Allianz, die Dialogreihe “Die Herausforderung des Friedensaufbaus”. Coppieters fördert “innovative Lösungen in den Bereichen Minderheitenrechte, Selbstbestimmungsprozesse, Friedensförderung und Verteidigung der Menschenrechte“.

Während die Kurden in der Türkei, wenn auch eingeschränkt, politisch mitmischen, wie auch in Syrien und im Irak, ist die Lage der Sahrauis viel schwieriger. Darauf verwies Yaguta El-Mokhtar Moulay vom Sahrauischen Observatoriums für Naturressourcen und Umweltschutz. Trotz einer überschaubaren internationalen Anerkennung steckt die Demokratische Arabische Republik Sahara in einer politischen Sackgasse.

Nach fünf Jahrzehnten marokkanischer Herrschaft über den größten Teil des Territoriums “normalisierte” sich die Besatzung, wird international zur Kenntnis genommen und offensichtlich akzeptiert. Europäische Länder und multinationale Unternehmen machten sich zu Komplizen der marokkanischen Besatzungsmacht, kritisierte Mokhtar Moulay die EU-Staaten.

Marokko schaffte unumkehrbare Tatsachen, so stellen “die Sahrauis in den besetzten Gebieten nicht einmal mehr 20 Prozent der Bevölkerung. Wir sind eine Minderheit in unserem eigenen Land. Auf die militärische Besatzung folgte ein demografischer Austausch. Marokko will die Westsahara von Sahrauis säubern und sie mit Marokkanern füllen, um uns für immer in Flüchtlingslagern abzuschieben. Sie vertrauen auf den Lauf der Zeit. Und die Zeit spielt sicherlich nicht zu unseren Gunsten“, räumte die sahrauische Aktivistin ein.

Laut El-Mokhtar Moulay stehen wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt. Marokko versuchte mit der EU Fischerei-, Bergbau- und weitere Abkommen zu unterzeichnen. Da die europäische Justiz aber immer wieder Einspruch dagegen erhebt, sucht Marokko nun nach alternativen Abkommen mit Indien und Russland.

Die Sahrauis gingen davon aus, dass Marokko die Westsahara verlassen würde, sobald die Phosphate und der Fischfang zur Neige gingen. Doch jetzt gibt es noch eine andere Ressource: erneuerbaren Energien. Und das bedeutet, dass Marokko in der Westsahara bleiben wird, die “internationale Gemeinschaft” hat sich damit schon abgefunden, arrangiert.

 

Autonomie, die Lösung?

Mit dem Ziel, die internationale Kontrolle über die Westsahara zu konsolidieren und zu legalisieren, legte Marokko der UNO 2007 einen Autonomieplan vor. Die Autonomie ist für Marokko die „einzige realistische Lösung“. Die Befreiungsfront Polisario lehnt diese “realistische Lösung” strikt ab, drängt auf die Dekolonisierung als einen Schritt hin zur Eigenstaatlichkeit.

Offensichtlich scheint sich Marokko nicht so sicher zu sein, tatsächlich die Westsahara zu “besitzen”, sagte die sahrauische Aktivistin El-Mokhtar Moulay beim Ciemen-Seminar in Barcelona. Immerhin erklärte sich Marokko 1975 bereit, dem Dreimächteabkommen mit Mauretanien und Spanien beizutreten. Ein Abkommen, erläuterte El-Mokhtar Moulay, das die spanische Kolonialherrschaft nicht beendet hat. Der große Streitpunkt. 1979 zog sich Mauretanien aus “seinem” Gebiet aus der Westsahara zurück und erkannte das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung an.

Marokko blieb bisher die Erklärung schuldig, wie die Autonomie ausgestattet sein soll. Die Marokkaner legten nur ein dürftiges, inhaltsleeres dreiseitiges Dokument vor, kritisierte El-Mokhtar Moulay. Sie bedauerte, dass über die Verletzungen der Menschenrechte und die Rechte der Völker hinweggegangen wird, auch ein Produkt der internationalen Entwicklung. Als Beispiel zitiert El-Mokhtar Moulay zwei umstrittene Vereinbarungen Marokkos mit Israel, im Tausch mit der Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Sahara durch die USA.

 

Was können die Sahrauis tun?

El-Mokhtar Moulay geht davon aus, dass die Polisario weiterhin Widerstand leisten wird. Widerstand auf verschiedenen Ebenen. “Wir vertrauen trotz allem immer noch auf das internationale System,” erklärte El-Mokhtar Moulay. Die Sahrauis verdeutlichen Energieunternehmen, die in den besetzten Gebieten tätig sind, dass erneuerbare Energien keine Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen. Unternehmen wie Voltalia, Acciona, Nordex, Ortus, Siemens Gamesa, Enel und GE Vernova. Marokko riegelte die Abbaugebiete in der Westsahara fast hermetisch ab. Ein Bespiel dafür, dass der Aktionsradius für den Widerstand immer enger wird.

Also was tun? Für die sahrauische Aktivistin ist klar: “Am Ende sind es die Menschen, die sich fragen müssen: Wollen wir eine Welt, in der jeder nur sein individuelles Leben lebt oder eine Welt, in der Rechte respektiert werden und wir in Frieden zusammenleben? Die Staaten können durch die Mobilisierung des Volkes, der Straße und der Wahlurne unter Druck gesetzt werden.“

Die kurdische Politikwissenschaftlerin Koç schlug vor, die Schlupflöcher des derzeitigen Systems zu nutzen: “Wir sind uns bewusst, dass die Vereinten Nationen ein zahnloser Tiger sind. In einem multipolaren Kontext müssen wir Völker also eine Diplomatie der Gelegenheiten einsetzen. Der Multipolarismus führt zu einem Wettbewerb zwischen den Staaten und somit zu Chancen, die die Völker haben können, wenn wir uns organisieren.“

El-Mokhtar Moulay hingegen kritisiert die Staaten und die “Staatengemeinschaft”: „Wir können keinem Staat vertrauen. Spanien zum Beispiel: In der Öffentlichkeit verteidigt Spanien die Palästinenser, gleichzeitig werden spanische Waffen an Israel verkauft … Immer weniger Länder scheinen bereit zu sein, irgendetwas für eine faire internationale Solidarität zu tun, in einer Welt, in der es immer schwieriger wird, sich zurechtzufinden.“

Siehe auch:
Ciemen
Ideas for Europe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen von Google

Zurück zur Home-Seite