13-05-2025
Russland-Befreiung vom Nationalsozialismus: Und was war mit dem Hitler-Stalin-Pakt?
Der russische Kriegspräsident Putin zelebrierte am 9. Mai seinen Krieg gegen die Ukraine als Forstsetzung des sowjetischen „Großen vaterländischen Krieges“

Abschluss der Deutsch-Sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrages am 28. September 1939. Von links nach rechts: Hintergrund: Richard Schulze-Kossens (Ribbentrops Adjutant), Boris Schaposchnikow (Generalstabschef der Roten Armee), Joachim von Ribbentrop, Josef Stalin, Vladimir Pavlov (sowjetischer Übersetzer); Vordergrund: Gustav Hilger (deutscher Übersetzer) Alexey Schkvarzev und Wjatscheslaw Molotow. Foto: Wikimedia Commons
Von Wolfgang Mayr
Bei all den Soldaten und ihren Waffen auf dem „roten Platz“ in Moskau wird wohl das Herz der pro-russischen Pazifisten und Antifaschisten höhergeschlagen haben. Das friedliche und proletarische Russland manifestierte Stärke gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus. In der Ukraine, so die Botschaft an die Welt.
Und dieses angebliche antinazistische Russland pflegt beste Kontakte zu den europäischen Rechtsradikalen verschiedener Prägung, wie der Lega in Italien, der AfD in Deutschland, dem RN in Frankreich. Putin-Russland zieht die Fäden im rechtsradikalen Netzwerk in Europa.
Aber die Ukraine ist nazistisch und muss deshalb überfallen werden, befreit werden. Putins Propaganda, der neben dem chinesischen KP-Chef und dem brasilianischen Präsidenten auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, korrupt, nationalistisch, strikt antiwestlich kräftig zu applaudierte.
Ja, die Sowjetunion befreite 1945 die überlebenden Jüdinnen und Juden aus den KZ der Nazis in Osteuropa. Es waren ukrainische Soldaten der Roten Armee, die die jüdischen Insassen von Auschwitz befreiten. Die Rote Armee besiegte die Wehrmacht des Dritten Reichs und stoppte damit den Völkermord der Deutschen an den europäischen Juden.
Nur die halbe Wahrheit
Das ist nur ein Teil der „Wahrheit“. Die Rote Armee der Sowjetunion besetzte das von den Nazis befreite Osteuropa. Wobei es auch jede Menge einheimische Nazis gab, die Pfeilkreuzler in Ungarn, die Eiserne Garde in Rumänien oder slowakischen Klerikalnationalisten des Josef Tiso. Die Sowjetunion installierte in Osteuropa prosowjetische Filialen, initiierte ethnische Säuberungen, wie einst vereinbart im Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Osteuropa wurde zu einem sowjetischen Hinterhof, russisch dominiert, weite Landstriche wurden russifiziert.
Die Linke hat diesen Hitler-Stalin-Pakt, Putin auch, verdrängt und vergessen. Nazi-Deutschland und die Sowjetunion teilten sich Osteuropa auf, mit den entsprechenden brutalen „ethnischen Flurbereinigungen“. Der US-Historiker beschreibt beeindruckend in seinen „Bloodlands“ den „ethnischen Umbau“ Osteuropas. Die Blaupause für die stalinistische Politik der Kolonialisierung Osteuropas.
Der Hitler-Stalin-Pakt mündete letztendlich in den Angriffskrieg Nazi-Deutschlands gegen Polen, der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg. Stalin stand Pate. Die beiden „Führer“ teilten sich Polen auf, Nazis und Sowjets verfolgten massenhaft Polinnen und Polen, Jüdinnen und Juden. Nicht „nur“ sie, viele Völker fielen diesem Pakt zum Opfer, wie die Belarussen, sie wurden zwischen den beiden Mächten zerrieben.
Rote Massenmorde
Die Sowjetunion agierte schon vor dem Pakt mit Hitler ähnlich wie Hitler. Gewährte der bolschewistische Massenmörder Lenin den nicht russischen Republiken, wie der Ukraine auch, ein gewisses Maß an kultureller und sprachlicher Selbständigkeit, ließ Lenin-Nachfolger Stalin die Sowjetunion russifizieren. Die Sowjetunion als Groß-Russland.
Besonders im Visier damals schon die Ukraine. Die stalinistische Bürokratie unterband repressiv den kulturellen ukrainischen Frühling und brach mit einer „Hungerpolitik“ die ukrainische Selbstbehauptung. Zwischen 1931 und 1933 verhungerten in der Ukraine geschätzte vier Millionen Menschen, es könnten auch mehr gewesen sein. Die US-amerikanische Historikerin Anne Appelbaum belegt in ihrem Buch „Roter Hunger“ den geplanten, also gezielten Massenmord an den Ukrainerinnen und Ukrainer.
Tragisch ist die ukrainische Geschichte. Ukrainerinnen und Ukrainer waren willige Helfer der Nazis, beteiligten sich an den Massenmorden an den Juden. Das wird von Putin immer wieder zitiert, wie auch von seinen „linken Lautsprechern“ in Europa. Aber, die Wehrmacht und die SS führten in der Ukraine einen Ausrottungskrieg. Mehr als vier Millionen Ukrainer:innen wurden von den Deutschen ermordet, insgesamt fielen im Zweiten Weltkrieg bis zu zehn Millionen Menschen den braunen und roten Massenmördern zum Opfer.
Das befreite Osteuropa wird zum sowjetischen Vorhof
In Deutschland lange verdrängt, wie die Shoah auch. Verdrängt auch, wie das siegreiche Stalin-Regime nach 1945 in den eroberten Gebieten zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer Millionen Menschen nach Sibirien deportierte, vergewaltigen und ermorden ließ. Befreiung sieht doch anders aus. Was verwundert, wieviel Opfer von damals sich wünschen, wieder freiwillig Teil der „ruski mir“ – der russischen Welt zu werden. Ostdeutschland, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, nach den Wahlen im Herbst möglicherweise auch Tschechien.
Ein Chronist jener Zeit, der Schriftsteller Wassili Grossman, arbeitete in zwei großen Werken – „Leben und Schicksal“ und „Stalingrad“ – das industrielle Morden der Nazis und die entgrenzte sowjetische Gewalt auf: „Doch die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird auch in die Geschichte der Menschheit eingehen als Epoche der verbrecherischen Ausrottung riesiger europäischer Bevölkerungsschichten, basierend auf Gesellschafts- und Rassentheorien. Die Gegenwart schweigt darüber mit verständlicher Diskretion.” Immer noch.
Französische Linke um den Historiker Stéphane Courtois richteten ganz in diesem Sinne ihr Augenmerk auch auf das Morbide des Kommunismus, nachzulesen im “Schwarzbuch des Kommunismus”. Eine Dokumentation auch des millionenfachen Mordes unter Hammer und Sichel.
Stalins Biograf Dmitri Wolkogonow schätzte, dass von 1929 bis 1953 bis zu 22 Millionen Menschen durch die sogenannten Säuberungen zu Tode kamen. Die Zahlen bestätigte auch der Soziologe Gunnar Heinsohn, allein für den Zeitraum des “Großen Terrors” zwischen 1936 und 39 bezifferte Heinsohn auf 4,4 Millionen Opfer.
Befreiung?
Kriegspräsident Putin möchte die untergegangene Sowjetunion wieder zum Leben erwecken. Dazu gehörte auch die Ukraine. Dort „säubert“ seine Armee in der besetzten Ost-Ukraine erbarmungslos das Land. Die Opfer sind russischsprachige Ukrainer:innen. Keine Nazis. Aus der östlichen Ukraine, aus dem russischsprachigen Krywyj Rih, stammt auch Präsident Selenskyj. Russischsprachig auch er, viele seiner jüdischen Verwandten wurden Opfer der Nazis. Selenskyj ein Nazi?
Wie sein geistiger Vorfahre, Stalin, lässt Putin die annektierten ukrainischen Gebiete russifizieren. Dort wird gefoltert, ermordet, vergewaltigt, deportiert und „ethnisch gesäubert“. Stalin lässt grüßen. In der zusammengebombten Stadt Melitopol ließ Putin, um seinen Vorfahren und Idol zu ehren, eine Stalin-Büste aufstellen.
Am 9. Mai feierte Putin also seinen russischen „Großen vaterländischen Krieg“ gegen die Ukraine. Wer dort mitfeierte, macht sich am Krieg auch schuldig.
Warum nicht am 23. August dem Hitler-Stalin-Pakt gedenken? Den Opfern dieses Pakts? Wie der Ukraine.
Links zum Nachlesen:
– Der Krieg und seine Opfer
– 8. Mai, der Tag des Sieges
– 8. Mai Geschichte und Gegenwart
– Stimmen zum Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion
– 81 Jahre nach dem „Unternehmen Barbarossa“
– Das vergessene Massaker von Korjukiwka
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