Friedensschluss oder Diktatfrieden?

Viereinhalb Jahre nach dem von Russland vermittelten Waffenstillstandsabkommen im Zweiten Karabachkrieg (09.11.2020) scheint es zu einem auch international begrüßten Friedensschluss zu kommen.

Vartan Oskanian, ehemaliger Außenminister der Republik Armenien (Civilnet Newsletter.edition, https://mailchi.mp/64b567b248d6/armvote21_june18-13360436?e=b731f2e6cc) Paschinjans Friedenspolitik – eine Meisterklasse in Kapitulation Civilnet

Vartan Oskanian, ehemaliger Außenminister der Republik Armenien (Civilnet Newsletter.edition, https://mailchi.mp/64b567b248d6/armvote21_june18-13360436?e=b731f2e6cc) Paschinjans Friedenspolitik – eine Meisterklasse in Kapitulation Civilnet

Von Tessa Hofmann

Noch ist unklar, wann und wo der Vertrag unterzeichnet werden soll. Klar ist jedoch bereits die Einseitigkeit dieses Vertragswerks, das armenische humanitäre und politische Interessen völlig unberücksichtigt lässt. 

Entsprechend groß ist die Kritik vor allem in der weltweiten armenischen Diaspora, wo drei Viertel der armenischstämmigen Weltbevölkerung leben: die Nachfahren all jener, die bereits ihre Heimat verloren haben, die die derzeitige armenische Regierung nicht mehr als Westarmenien, sondern allenfalls als „historisches Armenien“ bezeichnet haben möchte. Auch Berg-Karabach (12.000qkm) gehört inzwischen zu diesen entarmenisierten Gebieten.

In seiner Rede vom 13. März 2025 erklärte der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew, dass das Vertrauen in Armenien gleichwohl „nahe Null“ sei. Er wiederholte die Forderung Aserbaidschans nach Änderungen der armenischen Verfassung und der Auflösung der Minsker Gruppe der OSZE. Er warf der französischen Regierung außerdem vor, die regionalen Spannungen durch Waffenlieferungen an Armenien zu verschärfen, und beschuldigte Armenien, sich „auf einen neuen Krieg vorzubereiten“. Der armenische Regierungschef Paschinjan stimmt zwar der Streichung der Präambel in der derzeitigen armenischen Verfassung grundsätzlich zu, doch setzt eine derartige Veränderung die Verabschiedung einer neuen Verfassung sowie ein Referendum voraus, das Paschinjan unter den derzeitigen Verhältnissen vermutlich verlieren würde. Denn auch in Armenien wächst der Unmut über Paschinjans Nachgiebigkeit.

In einem Interview am 14. März erklärte der stellvertretende Außenminister Aserbaidschans, Elnur Mammadow, dass sowohl Armenien als auch Aserbaidschan nach der Unterzeichnung des Vertrags ihre gegenseitigen Klagen vor internationalen Gerichten zurückziehen werden. Am 14. März bestätigte der armenische Außenminister Ararat Mirsojan, dass Armenien und Aserbaidschan ihre internationalen Klagen gleichzeitig zurückziehen werden, sobald der Vertrag in Kraft tritt. „Wenn der Vertrag in Kraft tritt und die beiden Seiten ihre Klagen zurückziehen, verpflichten sich beide Seiten gleichzeitig, in Zukunft keine Klagen mehr gegeneinander zu erheben, die sich auf die Streitigkeiten beziehen, die vor der Unterzeichnung des Vertrags zwischen den beiden Seiten bestanden haben. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Seiten bei allen Streitigkeiten, die wir jetzt haben, versöhnen müssen“, sagte Mirsoyan.

Mirsojan stimmte auch der aserbaidschanischen Forderung nach Auflösung der Minsk-Gruppe der OSZE zu, die bis 2023 die armenisch-aserbaidschanischen Friedensverhandlungen moderiert hatte.

Darüber hinaus hegt Aserbaidschan Bedenken hinsichtlich der Präsenz der Beobachtermission der Europäischen Union (EUMA) entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze. In seiner Rede am 13. März kritisierte Präsident Alijew die Mission und warf ihr vor, an den Grenzen Aserbaidschans nachrichtendienstliche Tätigkeiten auszuüben.

Nachfolgend veröffentlichen wir einen kritischen Kommentar des ersten Außenministers der postsowjetischen Republik Armenien.

14. März 2025 14:23

Kommentar von Vartan Oskanian, ehemaliger Außenminister Armeniens (1998–2008)

In einem tragikomischen Tiefpunkt der modernen armenischen Diplomatie hat Regierungschef Nikol Paschinjan einmal mehr das volle Ausmaß seiner politischen Inkompetenz, strategischen Kurzsichtigkeit und erstaunlichen Kapitulationsbereitschaft offenbart – und das alles nur für den Erhalt seiner eigenen Herrschaft. Seine jüngste Ankündigung, mit der er den Abschluss der Verhandlungen über ein sogenanntes „Friedensabkommen“ mit Aserbaidschan feierte, sollte nicht mit einer diplomatischen Leistung verwechselt werden. Es ist in der Tat das bisher deutlichste Eingeständnis, dass Paschinjan die nationalen Interessen Armeniens am Verhandlungstisch vollständig aufgegeben hat.

Beginnen wir mit den eklatanten, unentschuldbaren Versäumnissen, die den Kern dieser Schande bilden. Das Abkommen erwähnt Berichten zufolge nicht den Rückzug Aserbaidschans aus den souveränen Gebieten Armeniens, die es weiterhin besetzt hält. Es sagt nichts über die Freilassung armenischer Gefangener aus, die illegal in Baku festgehalten werden, und es erkennt auch nicht die Notlage der gewaltsam vertriebenen armenischen Bevölkerung in Bergkarabach an oder bekräftigt ihr Rückkehrrecht. Dies sind keine bloßen Versehen – es handelt sich um bewusste Auslassungen, die auf die Aufgabe grundlegender nationaler Anliegen hinauslaufen. Paschinjan unternimmt nicht einmal den Versuch, dieses ohrenbetäubende Schweigen zu rechtfertigen. Der Kern des Konflikts wird einfach vom Tisch gewischt, als wäre er irrelevant. Und wenn das allein das Abkommen nicht schon als nationale Blamage und Verrat disqualifiziert, dann besiegelt das kumulative Muster der Zugeständnisse, die unter seiner Führung von Armenien erzwungen wurden, ganz sicher diesen Eindruck.

Nach Paschinjans eigenen Aussagen hat Armenien zwei letzte Zugeständnisse gemacht, die das Abkommen nun, in seinen Worten, „unterzeichnungsreif“ machen. Aber bereit für wen? Bereit vielleicht für Aserbaidschan, das durch militärische Aggression und diplomatischen Druck bereits greifbare territoriale und politische Gewinne erzielt hat. Was dieses Abkommen erreicht, ist nicht Frieden – es ist die formelle Kodifizierung des Abstiegs Armeniens in die Unterordnung. Es belohnt die Anwendung von Gewalt, legitimiert die Kriegsbeute und behandelt die armenische Souveränität als verhandelbaren Punkt auf einer Wunschliste aserbaidschanischer Forderungen.

Und doch wird selbst dieser Akt der Selbsterniedrigung möglicherweise nicht endgültig sein. Es zeichnen sich aktuell zwei mögliche Szenarien ab, von denen eines düsterer ist als das andere. Im ersten Szenario könnte Aserbaidschan – nachdem es sich schriftliche Zugeständnisse von Armenien gesichert hat – beschließen, das Dokument überhaupt nicht zu unterzeichnen. Stattdessen könnte es sich dafür entscheiden, abzuwarten, in der Zuversicht, dass Armenien die vereinbarten Maßnahmen einseitig umsetzen wird – wie die Änderung seiner Verfassung und die Abschaffung der Minsker Gruppe der OSZE. Im zweiten Szenario könnte Aserbaidschan das Dokument feierlich unterzeichnen, die Ratifizierung im Parlament jedoch verweigern, so wie es die Türkei 2010 mit den unglückseligen armenisch-türkischen Protokollen getan hat. Diese Taktik würde es Baku ermöglichen, weiterhin Druck auszuüben und unter dem Vorwand „unerfüllter Verpflichtungen“ weitere armenische Zugeständnisse zu erzwingen. Diese schmerzhafte Episode hätte der armenischen Diplomatie dauerhaft in Erinnerung bleiben müssen. Stattdessen erleben wir unter Paschinjan eine fast exakte Wiederholung dieser Demütigung. Wieder einmal bietet Armenien im Vorfeld große Zugeständnisse an, während sich sein Gegenüber das Recht vorbehält, die Umsetzung zu verschleppen, mehr zu verlangen und letztlich einen Rückzieher zu machen, wenn der armenische Widerstand zu groß wird.

Unabhängig davon, welchen Weg Aserbaidschan wählt, ist das Ergebnis dasselbe: die fortgesetzte Aushöhlung der Würde, Souveränität und Sicherheit Armeniens. Zu den alarmierendsten Elementen gehört die Aussicht auf Verfassungsänderungen unter ausländischem Druck – ein Akt, der an politische Selbstzerstörung grenzt. Es ist nichts weniger als nationale Selbstkannibalisierung. Allein der Gedanke, dass Armenien seine Grundgesetze neu schreiben könnte, um die Vorbedingungen eines Aggressorstaates zu erfüllen, ist ein düsteres Echo der schlimmsten Appeasement-Katastrophen der modernen Geschichte nach Konflikten.

Sollte dieses Abkommen unterzeichnet werden, läutet es nicht den Beginn einer neuen Ära des Friedens ein. Vielmehr wird es das formelle Ende des armenischen Kapitels in der langen und tragischen Geschichte Bergkarabachs einläuten. Dies ist kein Frieden, der durch Dialog und Versöhnung gewonnen wurde; es ist ein Frieden, der durch Zwang, Ungleichgewicht und strategisches Vakuum erzwungen wurde. Es wird nicht mit Würde, sondern mit Resignation – vielleicht sogar mit Verzweiflung – unterzeichnet werden.

Und machen wir uns nichts vor: Aserbaidschan ist sich dessen vollkommen bewusst. Sie wissen, dass sie kein Abkommen mit der armenischen Nation oder dem armenischen Volk unterzeichnen. Sie unterzeichnen ein Abkommen mit Nikol Paschinjan und seinem kleinen Kreis politischer Loyalisten, deren oberstes Anliegen nicht die nationale Integrität, sondern das persönliche Überleben ist.

Indem er so viel für so wenig aufgibt, mag Paschinjan eine Unterschrift erhalten, aber keinen Frieden, keine Sicherheit und schon gar nicht die Vergebung der Geschichte.

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