14-02-2025
Kanada / Quebec – Wird der Parti Québécois wieder stärkste Partei?
Die Chancen stehen nicht schlecht. Die Umfragewerte zeigen nach oben. US-Präsident Trump steuert auch dazu bei
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Die drei PQ-Vorsitzenden Rene Levesque, Jacques Parizeau und Paul Saint-Pierre Plamandon. Foto: Nationalia.Ciemen.ca
Von Wolfgang Mayr
US-Präsident Trump heizt den US-Partnern ein, Zölle künftig auf Waren aus der EU, Annexion der dänischen Autonomie-Insel Grönland und des Nachbarstaates Kanada.
Seine Expansionspläne, von Konservativen und Populisten kleingeredet, stärken in Grönland den Wunsch nach Unabhängigkeit. Genauso in der französischsprachigen Provinz Quebec in Kanada.
Das Trump-Gerede, Trump-Versteher verteidigen diese außenpolitischen aggressiven Provokationen als “kreativ”, lässt in Quebec eine totgeglaubte Partei wie einen Phönix aus der Asche wieder auferstehen, schreibt das online-Magazin “Nationalia” der katalanischen NGO Ciemen.
Der Parti Québécois (PQ) ist dieser Phönix. Bei den letzten Wahlen 2022 schrumpfte der PQ zu einer Kleinstpartei zusammen, mit nur mehr drei Abgeordneten ist der PQ im 125-köpfigen Provinzparlament vertreten. Bei verschiedenen Wahlen einige Jahre zuvor stellte der PQ bis zu 80 Abgeordnete. Eine satte Mehrheitspartei.
Das Trump-Gepoltere und der innerkanadische Streit um eine Föderalisierung des Staates lässt den PQ wieder anwachsen. Laut letzten Umfragen würden 35 Prozent der Wählenden den PQ wählen.
Schwierige Ausgangslage
Sonderlich glücklich hatte die moderate linke Unabhängigkeitspartei als Regierungspartei nicht agiert. 1970 trat der PQ erstmals zu Wahlen an, die Zustimmung war zaghaft. Nur eine Handvoll Abgeordnete vertraten den PQ im Parlament. 1976 stellte der PQ mit 71 die weitaus stärkste Fraktion. Die Wahlen waren für den PQ meist eine Achterbahnfahrt, es gab glänzende Siege und dann wieder schmerzhafte Einbrüche. 2008 schaffte der PQ dann wieder 51 Abgeordnete, 2012 54.
Die liberalen Gegenspieler, der Parti Liberal, strikt antiseparatistisch und konsequent unionistisch, regierte die Provinz von 2003 bis 2018. Nur zwischen 2012-2014 regierte der PQ, erstmals mit einer Frau, Pauline Marois, an der Spitze. Doch lange hielt diese Regierung nicht durch.
Die separatistische Basis reagierte frustriert auf die PQ-Regierung, mehrere Korruptionsskandale rüttelten das separatistische Lager durch. Bei den vorgezogenen Neuwahlen 2014 verdrängten die Liberalen den angeschlagenen PQ von Platz eins, seitdem steckt die Partei in einer tiefen Krise.
Der PQ rutschte von 30 Abgeordneten weit nach unten, auf derzeit drei Mandate. Die auf Marois folgenden Akteure wie Pierre Karl Péladeau und Jean-François Lisée konnten nicht an die Erfolge früherer Jahre anknüpfen.
Der ehemalige Unabhängigkeitsbefürworter François Legault, einst im PQ aktiv, inzwischen Vorsitzender der Mehrheitpartei Coalition Avenir Québec, verdrängte erfolgreich die liberale und separatistische Konkurrenz.
Nationalismus ohne Unabhängigkeit
Legault gründete 2011 seine Mitte-Rechts-Partei CAQ. Sein Ziel, das Souveränitätsstreben von Quebec und den kanadischen Föderalismus zu versöhnen. Seine Coalition Avenir Québec setzt auf die Stärkung der regionalen Wirtschaft und auf die Stärkung der “französischen” Identität Quebecs. Coalition Avenir Québec säkularisierte die Provinz, förderte eine scharfe Trennung von “Staat” und Kirchen und erklärte das Französische zur einzigen offiziellen und gemeinsamen Sprache Québecs.
Die Regierung Legault regulierte drastisch die Einwanderung, begründete dies mit einer begrenzten Aufnahmekapazität sowie der schwierigen sprachlichen Integration der Zuwanderer, dem fehlenden Wohnraum und nicht vorhandenen Jobs.
Diese Politik Quebecs stand im krassen Gegensatz zur gesamtkanadischen Trudeau-Regierung, die auf religiösen Pluralismus, Zweisprachigkeit und auf eine großzügige Einwanderung setzte.
Trotzdem stellten Legault und seine Coalition Avenir Québec die kanadische Föderation nicht in Frage. Wohl aber ein weiteres Unabhängigkeits-Referendum.
Nervender Parteichef
Im kanadischen Parlament nervte letzthin immer wieder Paul St.Pierre Plamondon vom PQ die Regierung mit seiner Forderung nach einem dritten Referendum.
St. Pierre Plamondon konnte sich bei Vorwahlen seiner Partei durchsetzen. Er versucht die geschrumpfte Partei wieder aufzurichten und brachte auch die Frage nach der staatlichen Unabhängigkeit wieder ins Spiel.
Erfolgreich war St. Pierre Plamondon damit nicht, bei den Wahlen 2022 schaffte sein PQ nur mehr drei Abgeordnete. Das schlechteste Ergebnis der PQ-Geschichte, während die CAQ von François Legault bei zwei Wahlen jeweils die absolute Mehrheit holte.
St. Pierre Plamondon beherrscht die Kunst der Provokation. In seiner ersten Pressekonferenz kündigte er an, keinen Treueid auf König Charles III. zu leisten. Das kanadische Parlament reagierte auf diese antimonarchistische Attacke auf das Commonwealth und schaffte den seit 1867 geltenden Eid ab.
Die verschiedenen losgetretenen Polemiken von St. Pierre Plamondon bleiben nicht wirkungslos. 2023, ein Jahr nach der katastrophalen Wahlschlappe, führte der PQ erstmals wieder in den Umfragen. Seine direkte Sprache, Kritiker werfen dem Parteichef Populismus vor, kommt an. Genauso seine Wendigkeit, Positionen aufzugeben, sich neu zu positionieren.
Trotz auch der parteiinternen Kritik schafft es St. Pierre Plamondon, mit seinen Ideen Interesse zu wecken. Und, bei den Wahlen im nächsten Jahr will er die amtierende Coalition ablösen. Dabei hilft ihm der Zentralismus der Trudeau-Regierung.
Erfolglose Autonomieverhandlungen
Quebecs Ministerpräsident Legault scheiterte bisher, von der Bundesregierung mehr Befugnisse und Ressourcen in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Finanzen, Sprache oder Einwanderung zu erhalten. Die PQ-Abgeordneten geißeln die autonomistische Strategie der Regierungspartei, sie ist gescheitert. Die öffentliche Debatte wendet sich wieder der Unabhängigkeitsoption zu.
In Kanada und in Quebec stehen sich, wie anderswo auch im Westen, konträre Konzepte gegenüber. Globalisierungsbefürworter und Verfechter regionaler Identitäten, Universalismus und kultureller Relativismus, individuelle und kollektive Rechte.
Der PQ sucht sich eine Nische, der Coalition AQ werfen die Separatisten einen “rhetorischen Nationalismus” vor, den linken Separatisten von Quebec Solidaire “Dogmatismus” und “Wokismus”.
Der Regierung Legault wirft der PQ den Ausverkauf “nationaler Interessen” vor, zugunsten internationaler Konzerne. Auch bei der Verhandlung um die Erneuerung eines Vertrages über die Wassernutzung ließ sich CAQ von den Nachbarn Neufundland und Labrador über den Tisch ziehen, so der Vorwurf. Und das, ohne die vorhanden territorialen Streitigkeiten zu klären.
Quebec Solidaire kopiert die US-amerikanische Linke, lautet der Vorwurf des PQ, kritisiert den institutionellen Rassismus, weiße Privilegien und die Cancel Culture von rechts.
Republikanisiert sich der Parti Québécois?
Sein Programm ist ein Mix auch gegensätzlicher ideologischer Positionen: Der PQ will das Überleben der französischen Sprache in Quebec sichern, verteidigt den Säkularismus, drängt auf die Kontrolle der Einwanderung, fordert saubere in Quebec erzeugte Energie und will im wirtschaftlichen Wettbewerb die Unternehmen des Landes unterstützen. Als Vorbilder zitiert der PQ die dänischen und britischen Sozialdemokraten.
Der PQ hat sich von seinen einstigen strikten linken Positionen entfernt, ein Thema bleibt aber zentral: Die Eigenstaatlichkeit, die Souveränität Quebecs per Referendum.
Beim ersten Referendum 1980 stimmten 40,44 Prozent der Wählenden für die Eigenstaatlichkeit. Das zweite Referendum von 1995 scheiterte knapp, 49,42 Prozent. Die Souveränitätsbewegung brach daraufhin ein.
Es siegte der Status Quo, wie beim schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 auch. Offensichtlich überzeugte die Eigenstaatlichkeit allein nicht. Es geht um den Mehrwert für die Bürger:innen, kommentiert das online-Magazin “Nationalia” der katalanischen NGO Ciemen.
Deshalb koppelt der PQ an das Referendum inzwischen mehr als nur den Traum eines eigenen Staates: So soll die Staatsverschuldung gesenkt und die öffentliche Verwaltung bürgernäher sowie effizienter werden. Diese Botschaft scheint aber noch nicht angekommen zu sein.
2026 letzte Chance
Zwar würde laut jüngster Umfrage eine Mehrheit der Québécois für den PQ stimmen, aber nur 37 Prozent davon für einen eigenen Staat Quebec.
Trotzdem, PQ-Vorsitzender Paul St-Pierre Plamondon hält am Ziel Unabhängigkeit fest. Gewinnt er im nächsten Jahr die Wahlen, will er abermals ein Referendum wagen.
Laut “Nationalia” ist 2026 die letzte Chance für Quebec, eine Bewährungsprobe, die mit Abstand kritischste. Scheitert der PQ abermals, ist die angestrebte Eigenstaatlichkeit nur mehr Teil der Geschichte, Vergangenheit.
Siehe auch:
– Gouvernement du Québec
– Wahlergebnisse Quebec
– Die Entwicklung des Nationalismus in Quebec
– Quebec and the Struggle over Sovereignity
– Separatismus, Kanada als Vorbild?
– Quebec, zwischen Partnerschaft und Souveränität
– Vive le Quebec Libre
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